EXTRA: Liam vs. Helena

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Der Schlag traf mich ins Gesicht, meine Lippe platzte auf und der metallische Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus. Doch anstatt jetzt auf ihn los zu gehen, tat ich etwas, das ihn noch viel mehr in Rage brachte, ich entblößte meine nunmehr blutigen Zähne zu einem breiten Grinsen.

„Du schlägst wie ein Mädchen", provoziere ich ihn. Dieser kleine Pisser konnte mich vom ersten Tag an nicht leiden. „Heidi" hatte er mich genannt und spielte damit auf das bekannte Model an. Ich entsprach einfach nicht dem Klischee eines Gefängnisinsassen. Ich war ihm nicht hässlich genug, nicht dumm genug und nicht arm genug. Ich war sozusagen, ein High Society - Knacki. Dabei ließ er völlig außer Acht, dass uns hier alles eins verband: Wir waren alle Straftäter. Verbrecher. Und vermutlich war ich einer der Bösartigsten. Doch bevor er oder einer seiner Kumpels ein weiteres Mal ausholen konnte, ging einer der Wärter dazwischen und drängte uns auseinander.

„Aufhören. Beruhigt euch, sonst gibt es Konsequenzen, für jeden! Auch für Sie, Winterfeld!", bellte der Wachmann und warf jedem von uns einen warnenden Blick zu.

„Ich schlag dir noch deine verdammte Fresse ein, Heidi, du brauchst gar nicht so blöd zu grinsen. Warts nur ab, bis wir mal alleine sind", drohte Thorsten, mein bester Freund und ignorierte dabei den Wärter. Thorsten war ein Mann mittleren Alters, mit reizlosem Aussehen und einer platten Nase, die davon zeugte, dass sie schon mehr als einmal gebrochen worden war.

„Ich freue mich auf ein Rendezvous zu zweit. Ich weiß ja, dass du nicht genug von mir kriegen kannst", erwiderte ich und dachte nicht daran, ihm den Gefallen zu tun und auf mein süßes Lächeln zu verzichten. Auch nicht, als mir Handschellen angelegt wurden. Die Besuchertür, zu der ich gebracht werden sollte, öffnete sich und Daniel, mein Herzblatt, trat heraus. Sein Blick war verwirrt, aber streng. Als er mich sah, seufzte er und schüttelte tadelnd den Kopf. Ich rollte die Augen. Seine Moralpredigt konnte er sich jetzt sparen. Vorsorglich setzte ich eine Unschuldsmiene auf, und da meine Hände gefesselt waren, deutete ich mit dem Kinn zu Thorsten und seiner Clique.

„Er hat angefangen!", beteuerte ich wie ein kleiner Junge und schenkte auch meinem Lieblingsjustizvollzugsbeamten ein liebreizendes Lächeln. Daniel jedoch ersparte mir tatsächlich vorerst eine Belehrung, aber er ersparte mir auch übertriebene Freundlichkeit, als er meinen Arm ergriff und mit liebevoller Gewalt dem Wärter abnahm und mich zu dem Besucherraum zog, aus dem er eben gekommen war.

Es war für mich erst das zweite Mal, dass ich dort jemand anderen, als meinen Anwalt empfing. Beim ersten Mal war es mein Vater gewesen. Dieser verdammte Bastard. Ich wünschte, sie hätten mich nicht von ihm weggezogen, als ich auf ihn losgegangen war. Wären sie ein paar Sekunden später gewesen, hätte ich ihm mit etwas Glück sein scheiß Genick gebrochen. Oder zumindest sein Gesicht zu Brei geschlagen. Aber Fortuna hatte mir seit meiner Geburt den Rücken zugekehrt und offenbar hatte sie nicht vor, das allzu bald zu ändern. Seit dem Besuch hatte mein Vater sich bei mir nicht mehr Blicken lassen. Ebenso wenig wie meine werte Frau Mutter. Nicht einmal Anna war zu mir gekommen. In den letzten Jahren, hatte ich mich damit abgefunden allein zu sein. Aber das war nicht schlimm. Es passte mir sogar ganz gut, denn für eine andere Person war in meiner Zukunft kein Platz. Und wer auch immer diese Autorin sein sollte, die mich interviewen wollte, hätte sich besser einen anderen Straftäter ausgesucht. Daniel betrat mit mir den Raum und ich schenkte dem Boden mehr Beachtung, als meinem Besuch. Als ich auf dem freien Stuhl am Besuchertisch Platz nahm, ließ Daniel mich jedoch noch nicht los.

„Reiß dich zusammen, Liam. Du willst doch nicht auf den letzten Metern alles aufs Spiel setzen!", konnte Daniel wenigstens eine kleine Predigt doch nicht sein lassen. Daniel seufzte und die Tür ging noch einmal auf. Der zuständige Aufpasser kam herein und Daniel ließ uns allein. Sowie die Tür erneut ins Schloss gefallen war, breitete sich eine angespannte Stille in dem Raum aus. Meine Lippe pochte, bei jedem Herzschlag und durch meinen Kiefer zog immer wieder ein stechender Schmerz. Ich versuchte ihn so gut es ging wegzuatmen. Wenn Mrs. Autorin glaubte, dass ich jetzt hier den Anfang machte, hatte sie sich geschnitten.

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