VI - Du sollst nicht töten

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Ich werde ihn töten.

Dunkelheit umhüllt ihn wie ein Mantel, lässt ihn mit den Schatten an der kalten, nassen Wand nahezu verschmelzen. Ungesehen. Ungeahnt. Die frühe Nacht beginnt die Stadt zu verschlingen. Autos und Regen vereinen sich zu einem lauten, trommelnden Konzert. Angelockt von diesen trostlosen Klängen kriecht das Gesocks aus dem Untergrund wie das Ungeziefer aus dem Erdboden. Die Nässe bahnt sich unbarmherzig ihren Weg durch seinen schwarzen Pullover und hinterlässt eine unangenehme Kälte auf seiner Haut. Tropfen rinnen über seine Stirn, fallen von seinen Brauen auf seine Wimpern und er blinzelt sie fort. Ein Rinnsal fließt zwischen seinen Schulterblättern entlang, malt eine feuchte Spur zwischen ihnen.

„Hast du sie? Sind sie gut geworden?", er beobacht den schlanken Mann, der sein Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt hat, weil er in der einen Hand seine braune Aktentasche und in der anderen den schwarzen Regenschirm hält. Er kneift seine Augen leicht zusammen, bildet sich ein, ihn so noch schärfer sehen zu können.

„Ja, es gibt bereits Interessenten", der Mann versucht den Regen zu übertönen und spricht dennoch gedämpft, in dem vergeblichen Versuch das Gespräch vor den Ohren Dritter zu verbergen. Dann lauscht er der Stimme am anderen Ende der Leitung, ehe er weiter spricht:

„Ach übrigens, Balthasar, rate mal, wer wieder aufgetaucht ist?"

Der Mann kommt näher, ist nur noch wenige Schritt von ihm entfernt. Er kann ihn klar und deutlich erkennen. Den schwarzen Filzmantel, in den er sich hüllt, die Lackschuhe an seinen Füßen. Dieses Gesicht mit den zurückgekämmten, dunkelblonden Haaren über der hohen Stirn und das schiefe Grinsen auf den schmalen Lippen. Er wird es niemals vergessen.

Er tritt aus der Dunkelheit in das flackernde Licht einer Straßenlaterne. Der Mann bleibt erschrocken stehen, die Augen sind geweitet, der Mund klappt auf und die Stimme versagt.

„Du?", krächzt er und er weiß, dass er auf ihn einreden will, doch dazu lässt er es nicht kommen. Das Smartphone rutscht von seiner Schulter und fällt scheppernd zu Boden. Er streckt seine Hände nach dem Mann aus. Dieser zuckt zurück, doch er ist schneller. Seine Finger legen sich um den Hals und er schiebt ihn vor sich her. Im Vorbeigehen tritt er das Handy ein paar Meter in die Gasse hinein. Schließlich drückt er ihn gegen die heruntergekommene Hauswand der alten Schlachterei. Sein panisch verzerrtes Gesicht liegt in dem Schatten, den er auf ihn wirft. Er ist kleiner. Schwächer. Unterlegen.

„Bitte", fleht der Mann, ehe er noch fester zufasst, sodass die Worte ersterben. Der Mann strampelt, greift nach seinen Handgelenken, versucht seine Finger zu lösen. Zwecklos. Er lässt nicht los. Die Muskeln an seinem Armen und seinen Schultern spannen sich an. Seine Wut kriecht durch sie hindurch, lässt ihn stärker werden.

Ich werde ihn töten. Endlich.

Die Adern in den hervorquellenden Augen, beginnen zu platzen. Die Wangen blähen sich auf. Die Lippen öffnen sich zu stummen Schreien.

„Hör auf, bitte", bringt der Mann mit letzter Kraft hervor.

Ein weiteres Geräusch gesellt sich plötzlich zu dem Prasseln des Regens, dem Dröhnen der Autos und dem erstickenden Röcheln des Mannes. Es sind schnelle Schritte, die sich ihnen nähern. Er presst seine Zähne aufeinander, drückt den Hals in seinen Händen zusammen, als könnte er ihn einfach zerquetschen. Die Schritte bleiben stehen. Hinter ihm hört er heftiges Atmen. Das Zappeln seines Opfers wird schwächer. Es erstirbt. Ein kurzes Zucken umspielt seine Mundwinkel. Er lässt ihn einfach fallen und dreht sich gemächlich um. Das war sein Moment, er hatte nicht beabsichtigt, ihn mit jemandem zu teilen. So lange hatte er bereits auf diesen Augenblick gewartet. Er spürt die Anspannung in seinem ganzen Körper, wie sie ihn fast zerreißt. Langsam führt er seine Hände zueinander, drückt seine Finger hinab, bis er das erlösende Knacken hört und spürt. Es lindert seine Erregung ein wenig. Wie ein Ventil.

Die Person vor ihm schlägt sich ihre Hände vor den Mund, als er mit ruhigen, schweren Schritten auf sie zugeht. Die blaugrünen Augen sind weit aufgerissen und ihr Gesicht ist bleich wie der abgeplatzte Putz der Wand.

Sie hat zu viel gesehen.

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Dies war der Einstieg, der Prolog in unsere Geschichte. Wir hoffen er hat euch ein wenig Lust auf mehr gemacht. 😉

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