XVII

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Am Freitag konnte ich mich überhaupt nicht konzentrieren, ich war den gesamten Tag nervös und zappelig. Mrs. Walsh hatte mit M. Aprice gesprochen, der mir daraufhin die individuelle Stunde freigab. Das war einerseits sehr gut, andererseits hatte ich so, wartend in meinem Zimmer, viel mehr Zeit, mir Sorgen zu machen. Je länger ich nachdachte, desto absurder kam mir das vor, was ich gestern erfahren hatte.

Ich war das Produkt eines Fluches, der dazu dienen sollte, eine andere Person ins Leben zurückzuholen. Das klang nicht nur nicht real, sondern komplett unmöglich und eher so, wie die überspannte Fantasie eines kleinen Kindes. Ich konnte es beinahe nicht glauben, selbst daran zu glauben, dass in mir Jemand anderes schlummerte. Oder auch nicht, denn schließlich hatte besagte Person bereits mit mir gesprochen.

,,Oh Gott!" Stöhnte ich und vergrub mein Gesicht in meiner Bettdecke. Meine Gedanken spielten verrückt, es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte eine Kopfschmerztablette geschluckt. Aber Mrs. Walsh hatte mir ausdrücklich gesagt, ich solle keine Medikamente einnehmen, da ich meine volle Aufmerksamkeit bräuchte. Endlich um kurz vor halb vier machte ich mich panisch vor Nervosität auf den Weg zu dem Übungsraum, in dem was auch immer man mit mir vorhatte stattfinden würde. Ich öffnete die schwere Tür und stand nun Mrs. Walsh, der Schulkrankenschwester Anne und einem Mann, den ich nicht - oder noch nicht - kannte gegenüber.
,,Hallo Faye, schön, dass du da bist." Mrs. Walsh lächelte mir aufmunternd zu und deutete auf ihre Begleiter.
,,Das sind Anne, die Krankenschwester und Mr. Graves, ein Lehrer der Oberstufe."

Ich nickte schüchtern und ließ unerwähnt, dass ich Anne bereits kannte. Mr. Graves musterte mich unverhohlen, seine kalten grauen Augen schienen mich förmlich zum schrumpfen zu bringen. Der Lehrer hatte volles dunkelbraunes Haar, dass er nach hinten gekämmt hatte und sich über den Ohren etwas lockte. Er überragte die Direktorin bestimmt um anderthalb Köpfe und war somit auch eine ganze Ecke größer als ich. Er hatte eine Hakennase, die ihm wie der Schnabel eines Adlers aus dem Gesicht stach. Und genauso musterte er mich auch. Wie ein Raubvogel, der seine Beute erspäht hat. Die Krankenschwester Anne, die neben Mr. Graves wie ein Küken wirkte, strich sich ihre dunkelblonden Haare zurück und lächelte mich freundlich an.

,,Hallo Faye." Zwitscherte sie.
,,Ihr kennt euch?" Fragte Mr. Graves. Seine Stimme klang gemein und irgendwie auflauernd, als hoffte er, wir würden irgendetwas verraten, dass wir getan hatten.
,,Ja, Faye war bei mir, weil sie zusammengebrochen ist."

Peinlich berührt inspizierte ich den Boden und bekam so nicht mit, wie Mr. Graves mir einen eisigen Blick zuwarf. Zumindest tat ich so, obwohl es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. Mrs. Walsh meldete sich nun auch endlich zu Wort und erlöste mich aus dieser Situation.
,,Faye, ich möchte, dass du ganz genau weißt, worauf du dich da einlässt. Es ist sehr gefährlich und du könntest dabei sterben. Wenn du dich nicht ganz genau an die Anweisungen hältst, sind wir alle in Gefahr. Deswegen ist es sehr wichtig, dass du jetzt aufmerksam zuhörst und dir genau merkst, was ich dir erkläre."
Ich nickte nur nervös.

,,Also, fangen wir von vorne an. Es gibt eine Taktik, eine Art Waffe, mit der man ein Wesen - egal, welcher Art - vernichten kann. Es ist eine Art Blitz, nur tausend mal präziser und gefährlicher. Man braucht dazu drei Elementbändiger mit verschiedenen Elementen, die ihre Kräfte vereinen müssen, um diesen Blitz zu erzeugen."
Das erklärte zumindest, warum außer mir noch drei Personen anwesend waren.
,,Der Blitz ist sofort tödlich, niemand kann so etwas überleben."

Erschrocken ruckte mein Kopf nach oben. Tödlich?! Warum hatte ich denn eigentlich eingewilligt, mitzumachen? Wenn ich doch sowieso sterben würde, brauchte man doch gar nicht versuchen, wen auch immer aus mir zu vertreiben!
,,Okay, das klang jetzt sehr missverständlich." Lenkte Mrs. Walsh ein. Etwas missverständlich?! Das war ja mal überhaupt nicht missverständlich, sondern sonnenklar! Ich würde sterben.
,,Wenn alles gut läuft, stirbst du allerdings natürlich nicht."
Ich atmete gut hörbar aus.

,,Man muss die innere Person herauslassen und im letzten Moment, bevor die Seele des Wirts den Körper endgültig und unumkehrbar verlassen hat, die zweite Person gezielt töten." Mrs. Walsh strich sich mit der flachen Hand über den Hals, um mir zu demonstrieren, was man mit dem Ding in mir anstellen wollte. Ich schluckte und versuchte, die gesagten Worte zu verarbeiten.

,,Aber... ist ein Stromschlag oder Blitz nicht gefährlich, weil er das Herz aus dem Rhythmus bringt?" Wollte ich schüchtern wissen. Ich formulierte es als Frage, aber eigentlich war es eher eine Art Warnung. Das mit dem Stromschlag wusste ich leider zu gut. Wenn man einen Stromschlag bekam, wurde das Herz aus dem Takt gerissen. Die Folge? Herzstillstand. Meine Oma war an einem Stromschlag umgekommen.

,,Prinzipiell natürlich schon, aber wir spielen hier ja nicht mit echten Blitzen herum." Die Schulleiterin lachte kurz auf, als hätte sie einen besonders guten Witz gemacht. ,,Diese Art von Blitz ist natürlich auch tödlich, aber sie bringt das Herz nicht so durcheinander. Wie es sich letztendlich anfühlt und was dabei mit dem Körper passiert, beziehungsweise was schlussendlich den Tod herbeiführt, wissen wir auch nicht. Niemand hat einen solchen Angriff je überlebt und wenn wir es bei dir anwenden, wirst du in diesem Moment nichts spüren."
,,Ähm... okay." Ich widmete meine Aufmerksamkeit wieder dem Boden und hörte zu, wie Mrs. Walsh mir erklärte, was ich zu tun hatte.

,,Also Faye, du musst dich sehr genau konzentrieren in dann dein Element gebrauchen. Wenn alles richtig läuft, wird deine zweite Person zum Vorschein kommen und wir können sie eliminieren."
Eliminieren. Das klang wie in einem schlechten Krimi. Ich nickte trotzdem und sah dann nervös auf.
,,Legen wir jetzt sofort los?"

,,Natürlich." Mrs. Walsh deutete auf die Mitte des Raumes. ,,Stell dich da hin und auch es so, wie ich es dir gesagt habe."
Ich nickte erneut und tat wie mir befohlen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Mrs. Walsh ihre Rechte Hand nach vorne hielt und Mr. Graves und Anne ihre dahinter legten.
,,Fang an."

Ich streckte meine rechte Hand aus und konzentrierte mich. So banal es auch klang, aber das schien tatsächlich der wichtigste Teil überhaupt zu sein. Dass man sich konzentrierte.
Ich stellte mir vor, wie einfach kleine Flammen auf meiner Handfläche tanzten und es funktionierte tatsächlich. Nur, dass abgesehen davon rein gar nichts geschah. Ratlos sah ich zu den Erwachsenen.
,,Vielleicht solltest du etwas anspruchsvolleres probieren." Schlug Anne vor, als sie meinen Blick bemerkte. ,,Vielleicht ein Feuerball oder eine andere Form aus Feuer."

Ich stellte mir ein Feuerquadrat vor. Irgendwie fand ich die Vorstellung lustig, geometrische Formen auf meiner Handfläche entstehen zu lassen. Plötzlich zischte es und Funken stoben in alle Richtungen, die Flammen erloschen.
,,Was bitte war das?" Fragte Mr. Graves mich vorwurfsvoll. ,,Was für einen Mist wolltest du darstellen?"

,,Ein Feuerquadrat?" Sagte ich fragend und zog eingeschüchtert die Schultern hoch.
,,Ein Feuerquadrat." Äffte Mr. Graves mich nach und zog verärgert seine Hand zurück.
,,Bist du so dumm oder tust du nur so? Man kann doch verdammt nochmal mit Feuer kein Quadrat formen, wenn man noch ein Anfänger ist! Was kommt als nächstes? Ein verfluchter Feuer-CD-Player?"

,,Lass gut sein, Phillip, sie ist noch unerfahren." Versuchte Mrs. Walsh den aufgebrachten Lehrer zu beruhigen und er kam tatsächlich wieder runter.
,,Wie wäre es mit einer Feuerblume?" Schlug ich vor, Anne nickte ermunternd.

Also schloss ich erneut die Augen und malte mir aus, wie auf meiner Handfläche eine Blume wuchs, wie aus der Erde. Als ich die Augen öffnete, befand sich tatsächlich etwas Unkraut-ähnliches auf meiner Hand und ich musste unwillkürlich grinsen. Doch damit war sofort Schluss, als ich spürte, wie sich in mir etwas regte. Ich verlor die Kontrolle und sah machtlos zu, wie die Blume sich aufrichtete und wuchs, immer weiter und weiter, sich um mich schlang und mich wie eine Schlingpflanze. Und dann hörte ich eine Stimme in meinem Kopf.

Endlich! Lass es raus! So lange habe ich gewartet, nun wird die Vollendung ihren Weg finden.

Obwohl mein Verstand mir befahl, sofort die Augen aufzumachen und das hier zu beenden, zwang ich mich, nichts dergleichen zu tun. Erneut erklang das böse Lachen, welches ich bereits gehört hatte. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, als hätte jemand anderes meinen Körper übernommen und dann wurde alles schwarz.

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(1368)
So, endlich mal wieder ein Kapitel. Nur leider werde ich es euch noch sehr lange vorenthalten müssen, da ich wieder vorschrieben will.
Ich widme dieses Kapitel erneut Lahula04vie , die immer fleißig votet und meine Bücher liest. Sorry, das ich bei deinem noch nicht weitergekommen bin...

🖤MissWriter13

FeuerseeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt