11. Ellie

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11. Ellie

Was will Ava nur bezwecken? Offensichtlich hat sie Travis zum Frühstück eingeladen. Dass ausgerechnet ich neben ihm sitzen muss, ist schon grenzwertig, aber zu allem Überfluss befindet sich außerdem mir gegenüber Fynn.

Das gesamte Frühstück über unterhalten sich Ava und Travis angeregt. Fynn wirft gelegentlich einen Kommentar hinein, während ich stumm bleibe. Ich starre gebannt auf meinen Teller und spiele mit den Brotkrümeln. Anfangs hat Ava versucht, mich in die Unterhaltung einzubeziehen. Jedoch habe ich immer nur ‚hm' oder ‚ja' von mir gegeben. Schließlich hat sie bemerkt, dass mir die Situation sichtlich unangenehm ist – was eigentlich nicht sein sollte, da in der Runde praktisch nur Vertraute sind – und hörte auf.

Auf einmal gähnt Ava übertrieben laut und meint, dass sie müde sei, weil sie gestern Nacht zu wenig geschlafen habe. Innerhalb Sekunden werden Travis und ich aus der Wohnung vertrieben. Betrübt atme ich aus. Ich wollte mich eigentlich noch bei Fynn bedanken. Gestern ist er sofort im Schlafzimmer verschwunden, nachdem er gekocht und mir ein T-Shirt zum Schlafen gegeben hatte.

Schweigend steigen Travis und ich in den Aufzug ein. Vor Nervosität umklammern meine Finger fest den Träger meiner Tasche. Kaum zu glauben, dass wir einst beste Freunde waren, die einander ununterbrochen etwas zu erzählen hatten.

Er räuspert sich. „Wo musst du hin?"

„Ins Studentenheim", erwidere ich, um Leichtigkeit bemüht.

Er kratzt sich am Hinterkopf. „Hättest du ... hättest du was dagegen, wenn ich ein Stück mitgehe?" Hoffnungsvoll sieht er mich an.

„Ja."

Ich schulde ihm eine Entschuldigung.

Seine Schulter sacken nach unten.

„Ich meine, ich hätte nichts dagegen", berichtige ich mich schnell.

Er lächelt. Ich wage es, den Blick vom Boden abzuwenden und ihn zum ersten Mal seit langem direkt anzusehen. Travis hat nichts falsch gemacht. Er verdient es nicht, von mir so behandelt zu werden, als wäre er der Böse gewesen.

Seine blauen Augen strahlen wie eh und je. Insgesamt hat er sich zu einem Mann verwandelt, dessen Gesamtpaket einen faszinierenden Eindruck hinterlässt.

Da es Sonntag ist, herrscht wenig Verkehr. Travis und ich gehen nebeneinander her. Links und rechts ragen dickstämmige Bäume in den Himmel, durch deren Äste einzelne Sonnenstrahlen fallen.

Ich fasse all meinen Mut und beginne: „Wie ... Wie ging es dir in den letzten Jahren?"

Er stößt einen tiefen Luftzug aus und antwortet: „Nicht blendend, aber auch nicht schlecht. An so vielen Orten, an denen ich war, fühle ich mich hier am wohlsten."

Mir geht es genauso, füge ich im Stillen hinzu. Mit dieser Stadt verbinde ich zu viele Erinnerungen, die mich prägen. Was ich jedoch am meisten vermisst habe, war die Atmosphäre. Erinnerungen können leicht beeinflusst, verändert oder gar vergessen werden. Die Atmosphäre andererseits nicht. Sie scheint aus Molekülen zu bestehen, die sich zu einer schwer zerstörbaren Substanz zusammensetzen. Hat sich eine Zelle mit dieser vermischt, wird der gesamte Körper davon abhängig – auf ewig.

„Und ... was ist mit Katherine und Ben? Geht es ihnen gut?"

„Klar, sind ständig unterwegs." In seiner Stimme schwingt ein Hauch von Bitterkeit mit.

Plötzlich verspüre das dringende Bedürfnis, ihn über den Rücken zu streichen und zu trösten. Bereits in der Kindheit wurde er oft allein zurückgelassen, weil seine Eltern bei Ausgrabungen waren. Ich kann mich an unzähligen Tagen erinnern, an denen er entweder bei mir oder bei Ava übernachtet hat. Wenn es Sommer war, haben wir drei ein Zelt im Garten aufgebaut und dort drin geschlafen. Travis ist stets der erste gewesen, der eingeschlafen ist, obwohl er es am nächsten Morgen abgestritten hat. Irgendwann habe ich dann vorgeschlagen, dass derjenige, der am längsten aufbleibt, den anderen Zwei Kohlenstriche ins Gesicht malt.

The Right One - Dir hinterherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt