Prolog

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Die Luft war stickig und warm und roch nach Alkohol, als Jako den Club betrat und sich seinen Weg zwischen den abgeschrammten Stühlen und wenigen Gästen suchte. Mit einem leisen Ächzen ließ er sich auf einen der Lederüberzogenen Barhocker fallen. Fast sofort bekam er ein Glas mit klarer, goldener Flüssigkeit entgegen geschoben, die im Glas sacht hin und her schwappte. In der dämmrigen Beleuchtung, die wohl der Zigarrenrauch zu verschulden hatte, funkelte es fast hypnotisierend.
Nach ein paar Schlucken erst konzentrierte der Langhaarige sich dann auf die Musik, die heute anders schien. Die Sängerin war natürlich die Selbe, die seidige Stimme von Lara Hamzehpour hätte er unter Tausenden erkannt und wie immer ließ der sanfte Klang einen Schauer über seinen Rücken laufen.
Doch die zweite Stimme, die ab und zu ein paar Zeilen mitsang und die Melodie, die der Pianist spielte, das kannte er nicht. Überrascht die Stirn runzelnd drehte er sich zum Barmann und winkte den Burschen zu sich. Oft spielten sie hier Lieder von ihm, deshalb war er ein bisschen beleidigt. Aber nur ein bisschen.
„Wer spielt?", fragte er und zeigte mit dem Glas in Richtung des alten Eichenklaviers, dass auch er Mal hatte spielen dürfen.
„Felix Denzer", der Barmann zeigte ein Grinsen, das Jako dazu veranlasste eine Hand über seinen Geldbeutel zu legen. „er ist neu in der Stadt." Der Bursche zog beide Augenbrauen hoch, stützte sich mit beiden Unterarmen auf der Platte ab und schien auf Jakos Reaktion zu warten. Ein Geschirrtuch hing über seiner Schulter, ein Putzlappen steckte in seiner Hintertasche.
Jako nickte nur abwesend und nippte an seinem Glas, sprach ein paar Zeilen innerlich nach.
Crystal sparrow come with me
Cause I recognized
That you, just like me
Das Lied gefiel ihm.
Wer auch immer dieser Felix war, er war begabt. Jako fragte sich, ob es komische wirken würde, wenn er den schlacksigen Typen hinter der Bar jetzt bat sie miteinander bekannt zu machen. Er entschied sich es zu probieren. „Kannst du uns vorstellen?"
Der Typ sah ihn von der Seite an und schien zu überlegen. „Ja", sagte er dann und das beunruhigende Grinsen kehrte zurück. Auch schien er noch etwas hinzufügen zu wollen, doch dazu kam er schon nicht mehr, denn die Tür flog mit einem lauten Knall auf und schepperte gegen die Wand.
Die Gäste waren zusammengezuckt, alle Gespräche waren verstummt.
Verwunderung und genervte Wut wurden zu Angst, als man erkannte, wer dort in der Tür stand.
Florian Mundt trat als erstes über die Schwelle, die Lippen zu einem überheblichen Grinsen verzogen, die Augen in grausemen Amüsement funkelnd. Er schien es zu genießen, welche Angst sein Auftauchen hervorrief.
Hinter ihm sein zweiter Schatten und allgegenwärtiger Leibwächter Max Krüger, der für seine Größe erstaunlich beängstigend wirkte und eine steinernde Maske aufgesetzt hatte. Nur seine Augen funkelten belustigt wie kleine Saphire im Licht, dass durch die schmutzigen Fenster drang.
Jakos Herz machte einen kleinen Aussetzer und fast wäre ihm sein Glas aus der Hand gerutscht. Schnell stellte er es weg. Eigentlich hatte er es immer geschafft, gerade diesen Beiden aus dem Weg zu gehen oder sich zumindest im Hintergrund zu halten. Eigentlich wollte er es dabei belassen.
„Keine Begrüßung?", Flo breitete spöttisch die Arme aus. Immernoch Schweigen. Einige Gäste rutschten nervös hin und her, Andere waren aufgesprungen und versuchten weiter zurück zu weichen. Neben Jako murmelte der Barmann etwas, was nach "So ein Mist..." klang, ehe er die Schultern straffte und sich etwas gerader hinstellte. „Was möchtet ihr trinken?" Jako wusste nicht, ob er das dumm oder tapfer finden sollte. Er selber allerdings mischte sich unter die Menge der Zurückweichenden um nicht entdeckt zu werden. Wäre er doch heute bloß nicht hergekommen.
„Marti, mein alter Freund.", Florian hatte den Barmann wohl gerade erst erkannt, denn er schlenderte jetzt betont bequem zu ihm hinüber. Jako war sich ziemlich sicher, dass Flo und der Bursche hinter der Bar keine 'alten Freunde' waren, so wie dieser jetzt zusammenschrumpfte.
Max hatte noch immer nichts gesagt, sondern stand nur mit verschränkten Armen da und taxierte den jungen Mann mit dem angedeuteten Bart.
„Rick hat mir zugesteckt, dass unsere letzte Zahlung nicht getätigt wurde.", fuhr Flo fort und klang dabei gefährlich ruhig. Jako wusste, von welcher Art von Zahlung er redete, doch auch ohne sein Hintergrundwissen war es klar. Es wunderte ihn nur, dass Flo persönlich kam.
Martis Blick war nicht zu deuten und er schrumpfte auch nicht mehr zusammen. Gerade wollte er wohl zu einer Erklärung ansetzen, dass die Bar ihm gar nicht gehörte und er deshalb auch keine Zahlungen tätigen konnte (oder er wollte die übliche "Aber ich hab kein Geld"-Ausrede herauskramen), doch wieder kam er nicht dazu.
„Will denn niemand die Polzei verständigen?"
Jako konnte nicht erkennen, von wem diese Frage gekommen war, erst als die Menge an Gästen sich plötzlich teilte, sah er den blonden Mann mit dem dunklen Bart, der empört neben dem Klavier stand und sich umsah.
Flos Überraschung war nicht von langer Dauer. Schnell hatte er wieder das beunruhigende Lächeln, mit dem er sich nun an den Mann wandte, der töricht genug gewesen war, so etwas laut auszusprechen. „Das würde Niemand wagen.", erklärte er liebenswürdig. Und selbst wenn, dann wären die Polizisten entweder bestochen worden oder hatten zu große Angst vor Flos Macht.
„Ich traue mich.", der junge Mann reckte trotzig sein Kinn vor und erwiderte Flos Blick. Jako hätte sich gerne die Hand vor die Stirn geschlagen. Nur schwer konnte er einen Fluch unterdrücken. So viel Dummheit auf einem Haufen musste verboten werden!
„Nein.", Flo war bis auf wenige Zentimeter an ihn heran getreten, sie waren etwa gleich groß. Max knackte hinter ihm mit den Fingerknöcheln. „Soll ich?", seine Stimme war fast ausdruckslos, doch Jako erkannte ein vorfreudiges Funkeln in seinen Augen. Scheinbar hatte er länger Niemanden mehr zusammenschlagen dürfen. Flo antwortete jedoch nicht, sondern starrte nur den Blonden vor sich an.
Der Schlag kam so plötzlich, dass er Jako garantiert erwischt hätte, doch Flo wich mit Leichtigkeit aus, packte den Arm und warf den Blonden über seine Schulter, sodass er mit einem lauten Runk auf den Holzboden knallte. Unnatürlich laut, in der Stille, die eingetreten war. Einige Gäste zuckten mitfühlend zusammen, doch niemand tat etwas.
Der Dunkelhaarige hob einen Fuß, als wollte er den Kopf des am Boden Liegenden zertreten und Jako entschied, dass es jetzt Zeit war einzugreifen. In einer einzigen Bewegung zog er einen Revolver aus dem versteckten Holster hervor, legte an, lud die Waffe und schoss. Das Ganze hatte vielleicht drei Sekunden gedauert. Der Schuss sirrte so scharf an Flos Kopf vorbei, dass es eine seiner längeren Haarsträhnen abfetzte und zwei Gläser hinter ihm klirrend zerspringen ließ.
Alle Köpfe fuhren zu Jako herum, der den Lauf noch immer auf Flo gerichtet hatte, das Gesicht zu einem eisigen Pokerface verzogen, die langen Haare offen über die Schultern fallend.
Max hatte sich wohl als Erster wieder gefasst. Er zog seinerseits eine Waffe und richtete sie auf Jako.
Die Botschaft war klar.
Drück ab und dein Kopf ist über den ganzen Boden verteilt, mein Freund.
Flos Überraschung legte sich wenige Augenblicke später. Er ließ den Fuß sinken und drehte sich zu Jako. „Lange nicht gesehen.", stellte er düster fest. War das Wut in seiner Stimme, oder bloß Verachtung? Jako wusste es nicht.
„Nicht die schlechteste Zeit meines Lebens.", er hielt Flos brennendem Blick stand, was nur Wenige von sich behaupten konnten. „Nimm die Waffe runter Frodo.", dass Jako den Kleineren bei seinem Spitznamen genannt hatte, schien dem gar nicht zu gefallen, denn er entsicherte mit einem leisen Klicken seine Waffe und ließ die Schultern ein Mal kreisen. „Wenn nicht?" Offensichtlich gab er sich auch immer noch Mühe, so kurz angebunden zu reden wie möglich, um sein Image vom groben Schläger aufrecht zu erhalten. Das hätte Jako belustigt, kannte er doch die wahre Persönlichkeit von Flos zweiter Hälfte, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre.
„Willst du das wirklich riskieren?" Jako sah ihn nicht an, da er noch immer im Richtung Flo starrte, doch er merkte, wie Frodo den Griff um seine Waffe veränderte. Jako deutete es richtig und musste ein verächtliches Schmunzeln unterdrücken. Seine Fähigkeiten waren dem Kleineren wohl in Erinnerung geblieben.
Flo starrte ihn voller Verachtung an und Jako gab sich Mühe voller Verachtung zurück zu starren. Um sie herum war es totenstill, einige Gäste schienen den Atem anzuhalten.
„An eurer Stelle würde ich die letzte Zahlung einfach vergessen.", Jako erlaubte sich ein provozierendes Grinsen, das irgendwie nicht in sein Gesicht zu passen schien. „Vielleicht haben eure Laufburschen es einfach eingesteckt?"
Ja, er spielte hier mit mehr als nur Feuer aber seine Verachtung für die beiden Gesetzlosen wollte unbedingt an die Luft, so sehr hatte sie sich aufgestaut.
Flo schien sich jetzt zusammenreißen zu müssen, seine Fäuste zitterten und seine Entspanntheit ließ langsam nach.
„Wollt ihr nicht langsam gehen?", Jako tat als müsse er auf die Uhr schauen.
„Ich kann ihn treffen."
Es war eine einfache Aussage, eine Feststellung, die Frodo da getätigt hatte und er klang überzeugt.
„Könntest du.", gab Jako zu. „Ich aber auch. Wollen wir wirklich prüfen, wer von uns Beiden schneller schießen kann? Das Thema hatten wir doch schon Mal."
Natürlich hätte auch Flo seine Waffe ziehen können und dann hätte Jako zwei Pistolen gegen sich gehabt, doch das hätte trotzdem nichts genutzt, wenn Flo hinterher tot wäre. Vor allem Frodo würde das Leben seines besten Freundes und Anführers ganz sicher nicht aufs Spiel setzten um Jako die Kugel zu geben, zumal sie das alles friedlich lösen könnten.
„Wir gehen.", brachte Flo gepresst hervor. Frodo schien erst wiedersprechen zu wollen, doch widerstrebend steckte er die Waffe weg und ging an Flo vorbei zum Ausgang.
Kurz vor der Tür drehte Flo sich noch ein Mal um, durchbohrte Jako mit seinem Blick und sagte einfach: „Diesmal hattest du Glück, Jako. Vertrau bloß nicht darauf, dass Frodo beim nächsten Mal nicht schießen wird." Dann war er weg.
Jako wartete noch einige Wimpernschläge, dann löste er die Ladung aus seinem Revolver wieder, steckte ihn weg und ging zu dem Blonden hinüber, der noch immer am Boden lag, allerdings gerade dabei war sich aufzurichten, als Jako ihm an der Hand auf die Füße half. „Das war leichtsinnig.", kommentierte er und überprüfte sein Gegenüber auf etwaige Verletzungen.
„Sagt er Richtige." Der Blonde musterte ihn. „Danke."
„War nicht nur wegen dir.", Jako ging wieder zur Bar, wo noch sein Glas stand und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
„Du kanntest die schon vorher.", der Blonde folgte ihm und setzte sich neben ihn. „Oder?"
„Jeder kennt Florian.", stellte Jako fest. „Außer dir offensichtlich."
„Aber Niemand hat sich ihnen entgegen gestellt.", erinnerte sein Gegenüber. „Du hattest Mal mit ihnen zu tun, vielleicht wart ihr sogar Freunde." Es war keine Frage.
Jako musterte den Mann und bewertete ihn noch ein Mal neu. Scheinbar war er doch nicht vollkommen dumm, sondern einfach nur leichtsinnig und lebensmüde.
„Lange Geschichte.", Jako nahm einen Schluck aus seinem Glas. Es war offensichtlich, dass er diese Geschichte noch nicht erzählen wollte.

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