2. Donnerschlag

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Bis auf die Straßenlaternen war die Stadt dunkel, doch die kleinen Gasflammen konnten nichts ausrichten gegen die Schwärze der Nacht. Der dichte Regen hatte Jako schon wenige Meter von ihrer Haustür entfernt bis auf die Knochen durchnässt, sodass der Umhang mit schwerem Gewicht an seinen Schultern zog während er durch die dunklen Straßen eilte.
Er wusste wo er hin musste. Natürlich wusste er es. Jeder wusste es, doch nur die wenigsten trauten sich auch wirklich das große Anwesen zu betreten. Es war schon beinahe provozierend, so prachtvoll wie Flo seine Behausung gab. Jako war schon oft dort gewesen, hatte schon oft dort gespeist und hatte auch so manche schlechte Erinnerungen an dieses Haus, dem er sich jetzt über einen großen freien Platz näherte. Die Umgebung wirkte ausgestorben, doch er wusste, dass ihn gerade mindestens zehn Augenpaare aus den Schatten beobachteten. Nur wo diese waren, das wusste er nicht.
Unbehelligt kam er bis zum großen, schmiedeeisernen Tor. Natürlich war es unverschlossen. Niemand wäre töricht genug, um ungebeten Flos Besitztum zu betreten, wenn er überhaupt so weit kam.
Jako öffnete den Riegel, der das Tor vor dem unkontrollierten Aufschwingen bewahrte, und stieß die beiden Torflügel mit beiden Händen von sich. Unter lautem Scheppern krachte das Tor in den Anschlag und Schwang zurück, um nach noch lauterem Scheppern schließlich wieder in seiner Ausgangslage zu verharren. Jako war derweil dem gepflasterten Weg zum erleuchteten Hauseingang gefolgt und tat nun die letzten Schritte hinauf auf die ebenso steinernen Stufen.
Die Tür öffnete sich, ehe er eine Hand auf die eiserne Klinke legen konnte. Er trat ein, eine steinerne Maske aufgesetzt und die Angst versteckend, die seine Eingeweide noch immer zu Eis gefrieren ließ. Nicht Angst um ihn selber, auf sich konnte er getrost alleine aufpassen. Er hatte Angst um Felix, der in den letzten Monaten für ihn eine bessere Familie geworden war, als Flo und Frodo und Rick und Steve und die ganzen Männer hinter ihnen innerhalb von mehreren Jahren. Und auch wenn er sich oft über das mütterliche Getue des Blonden lustig machte, darüber, dass er noch nicht ein Mal schießen konnte, so freute es ihn im Nachhinein immer wieder, wenn Felix ihm eine Standpauke hielt, weil er sich Sorgen gemacht hatte.
Mit strammen Schritten durchquerte Jako den kaum erleuchteten Flur, genau auf die hölzerne Tür zuhaltend, unter der ein schwacher Lichtschein hindurch fiel. Gedämpfte Stimmen waren zu hören, dann Gelächter und wieder Stimmen. Gewollt heftig ließ Jako die Doppeltür aufschlagen, ohne anzuhalten.
Die Männer die an dem langgezogenen Tisch im hinteren Teil des rechteckigen Raums saßen machten ein überraschtes Gesicht. Es waren etwa Vierzehn, die dort saßen, aber nur vier von ihnen schenkte Jako Beachtung. Flo saß dort, wie gewohnt an seinem Kopfende, machte ein Gesicht, als hätte er nicht mit Jako gerechnet, obwohl der es besser wusste. „Du hast aber lange gebraucht.", stellte er nur fest.
Neben ihm, an der langen Wand des Raums und so Jako und der Tür zugewandt, lehnte Frodo, die Arme verschränkt und ein unübliches, ja fast schadenfrohes Grinsen aufgesetzt.
Auch Rick und Steve waren da, saßen sich in der Mitte des Tisches gegenüber, Steve hatte sich zu ihm umgedreht.
Jako fixierte seinen Blick auf Flo. „Du hättest ruhig aufräumen können, wenn du schon Besuch erwartest.", stellte er fest und erlaubte sich einen abwertenden Blick auf die Füße eines toten Mannes, die hinter einem der Sofas zu seiner rechten Seite hervorlugten.
„Ach", Flo machte einen abwinkende Handbewegung, schwang die Füße vom Tisch und stand auf. „ignorier' den einfach. Ich wollte unserem Gast nur zeigen, was wir mit Leuten machen, die uns im Weg stehen." Jako zwang sich dazu, seinen Blick nicht von Flo abzuwenden. Erstens, weil er das Blickduell, was sie sich gerade lieferten, auf keinen Fall zuerst beenden wollte, und zweitens um sich daran zu hindern, den Tisch noch ein weiteres Mal nach Felix abzusuchen.
„Wo ist er?", Jakos Stimme hallte hart im plötzlich so stillen Raum wieder. Langsam schien das zur Gewohnheit zu werden.
„Keine Sorge.", Flo kam direkt vor ihm zum stehen. „Es geht ihm noch gut." Er hob die Hand und machte eine auffordernde Geste, ohne die Männer in seinem Rücken anzusehen. Stuhlbeine schabten über den Boden und zwei Personen verließen eilig den Raum.
„Du scheinst dich ja noch gut zu erinnern, wo ich wohne.", stellte Flo jetzt fest und begann vor Jako auf und ab zu schreiten, wie ein Raubtier, dass sich sicher war, dass seine Beute in der Falle saß und nur auf den richtigen Moment wartete um zuzuschlagen. Jako wusste, dass dieser Eindruck gewollt war und er wusste auch, dass Flo das tat, weil er Bewegung brauchte, wenn er nervös war. „Wieso hast du uns nie besucht?"
„Ich hatte versucht, euch aus dem Weg zu gehen.", antwortete Jako und verfolgte Flo mit dem Blick.
„Ach stimmt", Flo nickte und gestikulierte mit der linken Hand wage in der Luft, als versuche er sich an etwas zu erinnern, dass er eigentlich wusste. „da war ja was. Und sag mir, warum du uns jetzt mit deiner Anwesenheit beehrst?" Dumpfes Gelächter vom Esstisch, Einige warfen sich schadenfrohe Blicke zu. „Und das auch noch bei solch einem Wetter?" Er deutete auf die Wasserpfütze, die sich um Jakos Füße auf den lakierten Holzplanken gebildet hatte und stetig anwuchs. „Willst du nicht deinen Mantel ausziehen?"
Jakos Gesicht zeigte noch immer keine Regung, obwohl er innerlich kochte vor Wut und Angst. „Du weißt, warum ich hier bin.", stellte er klar.
„Du hast Recht.", Flo lächelte gehässig, als habe ihr ganzes Gespräch nur auf diesen Moment abgeziehlt. „Fast hätt' ich's vergessen."
Wie auf's Stichwort flog die Tür auf, durch die eben zwei der Männer verschwunden waren. Steve trat hindurch und blieb nach ein paar Schritten abwartend stehen, sich zur Tür umblickend und mit einer einladenden Geste in den Raum deutend. Jako sah zur Tür, genau wie Flo, Frodo und die restlichen Männer es taten, als Felix in den Raum gestolpert kam. Er fing sich und wischte sich einige Haare aus der Stirn, in dem kläglichen Versuch seine Angst zu verbergen, die Jako so genau aufblitzen sehen konnte, als sich ihre Blicke begegneten.
„Sehr schön.", Jakos Stimme war etwas rauer geworden. Er schluckte und räusperte sich kurz, ehe er weiter sprach und ohrfeigte sich innerlich dafür, seine Gefühle nicht mehr so gut im Griff zu haben, wie er es früher getan hatte. „Dann können wir ja gehen." Er wollte an Flo vorbei schreiten, doch der streckte den Arm aus und blockierte seinen Weg, noch ehe Jako ganz neben ihm war. Er wackelte mahnend mit dem Finger vor Jakos Nase und schnalzte dabei mit der Zunge, als sei Jako ein ungeduldiges Kind. Dann wandte er sich zu Felix, Rick und Steve und ging mit großen Schritten auf sie zu. „Wir sind noch nicht fertig Jako.", erklärte er, während er um Felix herumschritt, wie ein Käufer der seine Ware beobachtete. Jako bemerkte, wie Felix versuchte, Flo im Blick zu behalten ohne sich umzuwenden und wie er ihn mit den Augen verfolgte und kam zu dem Schluss, dass Felix im Anbetracht der Panik, die er wirklich verspürte, diese wohl doch ganz passabel verstecken konnte.
Er antwortete nicht, sondern beobachtete Flo weiterhin nur, der mittlerweile mit der linken Hand ein Messer zwischen seinen Fingern wirbeln ließ und immer noch Kreise um Felix zog, wie ein hungriger Hai. Die Spannung, die sich seit seinem Eintreffen im Raum aufgebaut hatte, schien kurz vor der Entladung zu stehen. „Keine Kommentare?", fragte der Schwarzäugige jetzt und zog eine Augenbraue hoch. „Keine Fragen? Kein Betteln?" Bei den letzten Worten blieb er stehen und sah auf Felix. Dieser schloss kurz die Augen und schluckte, ehe er sie wieder öffnete.
„Gut.", Flo zuckte die Schultern. „dann sehen wir Mal, wie viel er aushält." Und mit diesen Worten zog er die aufblitzende Schneide des Messers über Felix Wange.

Jako schaffte einen Schritt, dann wurde der erste Schuss abgefeuert. Die Kugel schlug neben seinem rechten Fuß in eine Holzplanke ein und veranlasste Jako dazu sofort wieder stehen zu bleiben. Vor Wut bebend starrte er zu Flo, der mit einem sadistischen Funkeln in den Augen zurück starrte. Noch immer waren zehn Revolverläufe auf Jako gerichtet, Frodo lud gerade nach.
Langsam, als würde er hoffen es bliebe dann unbemerkt, ließ Jako seine Hand zu seinem Hüftholster wandern, wurde aber von einem erneuten Schuss, der nur Zentimeter von seinem Ellenbogen dahin rauschte, davon abgehalten. Wütend funkelte er Frodo an, der ihm mit einem liebenswürdigen Lächeln antwortete. „Komm Jako, leg die Waffe auf den Boden."
Jako sah zu Felix, suchte seinen Blick, versuchte ihm irgendwie sein Bedauern zu übermitteln. Aber Felix sah ihn nicht an, er hielt die Augen geschlossen, während aus dem frischen Schnitt über seinem Wangenknochen dunkelrotes Blut in seinen Bart sickerte. Jako atmete tief durch und nickte dann Frodo zu, während er langsam das ledernde Holster öffnete und seinen Revolver heraus zog. Die andere Hand erhoben hockte er sich hin, wie um den Revolver auf den Boden zu legen, hob ihn jedoch im letzten Moment an und schoss. Glas splitterte und noch bevor die anderen Männer dazu kamen, doch noch zu schießen, hatte er gleich ein weiteres Mal abgedrückt und sie in komplette Dunkelheit gehüllt. Noch in dieser Sekunde lösten sich aus elf Läufen gleichzeitig Schüsse, wie ein verfielfachter Donner nach dem doppeltem Blitz.
Jako rollte sich bei Seite, bis er an den Rand eines der Sofas stieß, dann erhob er sich langsam. Wie durch ein Wunder schien er nicht getroffen, so fern er das in Dunkelheit und Adrenalinrausch feststellen konnte.
Ihm kam zu gute, dass er seinen Plan von Anfang an gekannt hatte und sich so die Einrichtung und die Standorte der Personen im Raum genau merken konnte. Im Gegensatz zum Rest der Anwesenden, denn innerhalb von wenigen Herzschlägen war ein Lautstärkepegel entstanden, den man getrost als "ohrenbetäubend" bezeichnen konnte.
„Verdammter Mist, holt Kerzen und macht Licht!", schrie Flo. „Jako, das-" Er verstummte in einem schmerzerfüllten Aufkeuchen und Jako hörte etwas zu Boden gehen.
„Flo!", das war Frodo gewesen, Jako fand, dass der Kleinere ihm ein wenig zu nah war und wich eilig ein paar Schritte bei Seite.
„Mach doch endlich einer Licht!", fauchte Rick.
„Kümmer' du dich doch darum!", keifte Steve zurück.
Jako blinzelte, in der Hoffnung seine Augen würden sich dann schneller an die Allumfassende Dunkelheit gewöhnen, während er so leise wie möglich in die Richtung schlich, in der Felix vorhin noch gestanden hatte.
Ein dumpfes Rumpeln ertönte und er hörte Felix gedämpft aufschreien. Links von ihm, vielleicht drei Schritte. Jako war sich sicher, dass ihnen nicht viel Zeit blieb, also machte er die drei Schritte zurück in Richtung Raummitte und schaffte es blind in die Luft greifend ein Handgelenk zu schnappen. Er konnte nur hoffen, dass es wirklich Felix war, und stürmte dahin, wo er die noch offene Tür vermutete. Tatsächlich schafften sie es durch den Türrahmen und über den Flur, wurden nur kurz an der Haustür aufgehalten, jedoch auch nicht für lange.
Erst als sie an die frische Luft brachen und der Regen Jako ins Gesicht schlug, löste sich der Eisklumpen in seinem inneren ein Stück auf. Und als er den Kopf wandte und Felix neben sich über den unebenen Weg sprinten sah, begann er vollends zu schmelzen.
Sie rannten durch Flos Vorgarten, hörten hinter sich noch immer ihre Verfolger durcheinander rufen, die wohl mittlerweile eine Kerze gefunden hatten. Ein paar Schüsse zerrissen die Dunkelheit, doch keiner traf, was Jako optimistisch stimmte. Vielleicht würden sie hier ja doch heile raus kommen.
„Was hast du mit Flo gemacht?", fragte Jako, als er die wutverzerrte Stimme hinter sich im Hauseingang hörte.
„Niedergeschlagen.", Felix grinste schief, er musste fast schreien, damit Jako ihn durch den Wind verstand. „Ich kann zwar nicht schießen, aber zuschlagen kann ich!", sie wichen einem von Flos Geflogsleuten aus, der versuchte sie zu erwischen. „Und wo sollen wir jetzt hin? Sie wissen von unserer Wohung, sie haben mich am Ende der Straße aufgegabelt."
Jako hätte sich gern dafür getreten, dass ihm das nicht aufgefallen war. „Wir gehen zu ein paar alten Freunden!", antwortete er.
„Wollen die dich auch umbringen?"
„Was wären das denn für Freunde, wenn sie das nicht wollten?", Jako grinste ihn an und Felix grinste zurück, dann bogen sie um die nächste Ecke.

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