4. Trommelwirbel

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Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Jako die Augen wieder aufschlug. Trotz der trockenen Kleidung war ihm unter der dünnen Decke noch immer kalt und er hatte das Gefühl, sein Kopf stünde kurz vor dem Platzen. Als er sich aufrichtete, war es, als sei sein Gehirn mit Wasser gefüllt.
Seine Nase war zu.
Im Nachhinein betrachtet, war es wohl nicht ganz so klug gewesen, des Nachts durch den strömenden Regen zu laufen.
Als Felix neben ihm schnarchend einatmete und sich auf die andere Seite drehte, wandte Jako den Blick auf ihn. Auch seine Nase schien zu zu sein, des weiteren war sie rot und wirkte geschwollen. Ein merkwürdiges Gefühl der Schuld stieg in Jako auf, als er den verschorften Schnitt betrachtete. Er konnte jetzt nachvollziehen, warum Felix so wütend geworden war, als er sich aus Unachtsamkeit mit dem Messer verletzt hatte. Außerdem fragte er sich, was sein bester Freund wohl jetzt tun würde, wenn er damals wohl nicht eingegriffen hätte. Entweder wäre er jetzt tot, ermordet im Widerstand gegen Flos Macht, oder er hätte die Stadt verlassen und würde nun irgendwo anders in frieden leben. Einen kleinen Moment lang, fragte Jako sich, was passieren würde, wenn er jetzt aufstehen und gehen würde. Er glaubte nicht daran, dass Flo sie in Ruhe lassen würde, selbst wenn er zu ihm ginge. Und töten würde er ihn auch nicht, wenn es anders ginge. Er wollte Jako leiden sehen, hatte jedoch noch die Hoffnung, dass er ihm nützlich sein könnte. Und an Felix' Sicherheit würde seine Abwesenheit auch nichts ändern.
„Denk gar nicht erst daran zu verschwinden."
Jako riss erstaunt die Augen auf, als Felix sich wieder zurück drehte und ihn verschlafen anblinzelte. „Woher-"
„Glaubst du wirklich, es fällt mir nicht auf, wenn du mich minutenlang stumm anstarrst?", Felix wischte sich über die Augen. „Wie spät haben wir's?"
„Mindestens Mittag.", Jako wandte den Kopf ab, weil er merkte, dass er rot wurde. „Wir sollten langsam aufstehen." Damit schwang er die Füße aus dem Bett und lief barfuß aus dem Zimmer. Seine Socken hingen noch immer vor dem Feuer im Herd, wie er feststellte. Sie waren mittlerweile trocken und zudem angenehm warm, was man von Fußboden nicht behaupten konnte. Seine Stiefel schienen noch nicht ganz getrocknet, aber das war nicht schlimm. Auf dem Herd stand eine eiserne Kanne mit Tee, wie er mit einem Blick hinein feststellte. Als Felix den Raum betrat und sich an den Tisch setzte, folgte er ihm mit zwei Tassen und zwei Scheiben trockenen Brots.
„Was haben wir jetzt vor?", erkundigte Felix sich, nachdem sie einige Zeit schweigend am Tisch gesessen hatten.
Jako sah ihn nicht an, sondern inspizierte die Kerbe vor sich im Tisch. „Wir warten, bis Tommy und Andre zurück kommen, dann besprechen wir uns mit ihnen."
„Woher kennst du sie?", fragte Felix und nahm einen Schluck von dem bitteren Tee, der immerhin noch heiß genug war, um die Kälte zu vertreiben, die der Regen und der Wind in ihm hinterlassen hatten.
„Hab sie Mal bedroht.", antwortete Jako kurz angebunden.
„Auf Flos Befehl?", hakte Felix nach. Die Tatsache, dass der langhaarige Mann darauf hin nichts mehr sagte, war Antwort genug.
Wieder schwiegen sie kurz, bis Felix erneut die Stimme erhob. „Erinnerst du dich an mein erstes Zusammentreffen mit Rick und Steve?"
„An jedes Wort.", Jako fuhr mit der Fingerspitze die Maserungs des Tisches nach, sein Ton zeigte, dass er jetzt vorsichtig war, was er sagte.
„Hatten sie recht?", ließ Felix nicht locker. Nun hob Jako doch den Blick und sah ihm dirket in die Augen. „Mit was?", fragte er. „Mit der Feststellung, dass ich Flo betrogen habe, oder mit der Warnung, du solltest mir lieber nicht vertrauen?" Felix blieb, im Gegensatz zu Jako, der sich in Rage zu reden schien, so ruhig wie schon ihr ganzes Gespräch über. „Mit der Warnung.", erklärte er.
Jako sah ihn an. Sein Blick huschte von Felix' einem Auge, zu seinem anderen und wieder zurück. „Du kannst mir vertrauen. Ich habe-" Felix unterbrach ihn mit einer abwinkenden Handbewegung. „Mehr will ich nicht wissen. Wenn du sagst, ich kann die vertrauen, dann vertraue ich dir. Ich will nichts von dem hören, was du getan hast. Kein Wort, verstanden?"
Jako nickte, fast ein wenig verdutzt, aber ungleich erleichterter als zu Beginn ihres Gesprächs.
„Entschuldigt die Unterbrechung.", mischte sich wieder eine neue Stimme ein, die Felix noch nicht kannte. Er wandte den Kopf zur Tür, wo ein kräftiger Mann mit schwarzen Haaren stand, die ihm offen über die Schultern fielen. Er trug einen flauschigen Pelzmantel und einen ebenso flauschigen Pelzhut, was ihm eine ungemeine Ähnlichkeit mit einer alten Freu verlieh, was Felix irgendwie lächerlich fand. Aber er war schlau genug, das nicht auszusprechen. Hinterher, würde er sie noch raus werfen.
„Andre!", Jako umarmte auch diesen alten Freund kurz und grinste ihn dann an. „Lange nicht gesehen!"
„Warst ja zu beschäftigt damit, dir mächtige Feinde zu machen.", kommentierte Andre trocken, ehe sie beide kurz auflachten. „Du kennst mich doch.", grinste Jako, ehe er sich zu Felix drehte. „Felix, das ist Andre. Andre, das ist Felix." Felix hob kurz die Hand und beobachtete die beiden Männer dann weiter.
„Tommy kommt auch gleich, er besorgt noch was.", erklärte Andre und warf seinem Mantel über einen der Stühle. „Lars hat mir vorhin noch so einiges erzählt. Flo lässt die Stadt nach euch absuchen, ich würde in nächster Zeit erst Mal nicht vor die Tür gehen."
„Oh.", Jako verzog das Gesicht. „Das ist nicht gut. Was meinst du, wie lange dauert es, bis sie uns hier finden?"
„Ein paar Tage, höchstens.", Andre schnaubte. „Wenn ihr Pech habt, steht er schon übermorgen vor der Tür."
„Dann müssen wir weg.", Jako sah zu Felix, dann zurück zu Andre. „Wie schnell könnt ihr ihn unbemerkt aus der Stadt schaffen?"
Noch bevor Andre antworten konnte, war Felix aufgesprungen. „Sag mir, dass ich mich gerade verhört habe.", forderte er und sah Jako wütend an. Der starrte nur zurück. „Willst du etwa bleiben?", fragte er.
„Natürlich bleibe ich!", rief Felix, schon über die Idee, allein aus der Stadt zu flüchten vollkommen entsetzt.
„Was willst du denn alleine hier?", mischte sich Andre jetzt wieder ein, der jedoch eher neugierig wirkte, statt wütend wie Felix.
„Ich werde den Widerstand gegen Flos Herrschaft ankurbeln.", Jako sagte das, als wolle er nur eben Mal frisches Brot kaufen.
„Schön.", Felix nickte. „Ich bin dabei."
„Nein.", Jako fuhr sich durchs Gesicht. „Nein, Felix. Nein. Du kannst nicht Mal schießen."
„Dann bring's mir bei. Kann ja so schwer nicht sein.", Felix verschränkte stur die Arme vor der Brust. Jako war sprachlos. Eigentlich hätte ihn Felix Reaktion nicht weiter verwundern dürfen, aber trotzdem brachte er kein Wort heraus.
„Schön, also wollt ihr den Widerstand ankurbeln.", stellte Andre fest. „Und wie? Alle haben Angst vor Flo, und die, die es nicht haben, arbeiten für ihn. Selbst der Bürgemeister fürchtet ihn und seine Leute, wen von denen willst du noch überzeugen?"
Jako schüttelte den Kopf. „Ich will niemanden überzeugen, das ist nicht nötig. Die Bürger haben Angst, wie du schon gesagt hast. Sie wollen sich wehren, können aber nicht. Wir brauchen nur genug Waffen, um sie alle zu versorgen."
„Bist du wahnsinnig?", Tommy war gerade eingetreten, mit frischen Einkäufen im Arm, die er jetzt auf den Tisch knallte. „Willst du einen Bürgerkrieg lostreten?"
„Ja.", Jako nickte ernst.
„Wo willst du das Geld dafür her kriegen?", Tommy blickte ihn geschockt an.
„Von euch.", Jako nickte Andre zu. „Und du glaubst, wir geben es dir einfach so?", fragte der.
„Ihr wollt Flos Herrschaft genau so loswerden wie ich, also bitte ich euch um Güter und Unterstütze euch dabei. Ich werde Flo eigenhändig erschießen, das verspreche ich."
„Oh bei allen Göttern.", stöhnte Tommy auf und sank auf einen der Stühle. „Ist das dein Ernst, Jakob Joiko? Bittest du uns gerade wirklich, dir Geld für einen Bürgerkrieg zu leihen?"
„Ja.", Jako nickte wieder. Sowohl Andre als auch Tommy schienen fassunglos. „Hast du dir das gut überlegt?"
„Sehr gut.", Jako sah erneut zwischen den Beiden hin und her. „Ihr habt Augen und Ohren in jeder Gesellschaftsebene. Ihr könnt die Nachricht verbreiten, ohne große Aufmerksamkeit auf euch zu ziehen. Ihr könnt eine halbe Armee organisieren und die Waffen in Umlauf bringen, ohne, dass Flo es bemerkt. Und wenn er es bemerkt hat, ist es längst zu spät, weil wir dann vor seiner Haustür stehen."
„Wann hast du dir das überlegt?", fragte Felix, der bisher stillschweigend und abwartend dagestanden hatte. Jako drehte sich zu ihm. „In dem Moment, als ich gestern Abend meinen Revolver aus der Kommode holte, um dich zu suchen." Seine Stimme war vollkommen ernst.
Stille trat ein. Eine Stille, die Jako dazu nutzte, um seine Gegenüber zu mustern.
„Schön.", sagte Andre schließlich. „Ich weiß, wie wir die Waffen in die Stadt kriegen. Wenn Tommy das organisiert, kann ich noch Heute damit anfangen, es unseren Informanten mitzuteilen."
„Ihr seid doch alle bekloppt.", stellte Tommy fest und schüttelte entgeistert den Kopf. „Ihr seid vollkommen durchgedreht, einen Widerstand innerhalb von ein paar Tagen auzuzetteln."
„Der Widerstand hat sich schon lange gebildet.", widersprach Jako. „Ihr seid das beste Beispiel: ihr unterstützt all die, die durch Flo ihr Hab und Gut verloren. Ich will dem Funken nur Brennstoff geben."
„Wenn ihr dann damit fertig seid, eure Reden zu schwingen", meldete sich Felix wieder zu Wort. „könnten wir vielleicht mit der Planung des Bürgerkriegs beginnen, sonst stehen wir hier noch heute Nacht und freuen uns darüber, wie verrückt wir sind- Was ist?" Er blickte Jako fragend an, der mit leicht geeöffnetem Mund zurück blickte. „Nichts.", brachte der Dunkelhaarige dann hervor und grinste schwach. „Mir ist nur gerade aufgefallen wie lebensmüde das klingt."

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