3. alte Freunde

46 6 0
                                    

Es waren noch einige Stunden bis zum Sonnenaufgang, die Straßenlaternen erloschen jedoch bereits wieder, als Jako sie erneut um eine Straßenecke führte.
„Wir sind fast da.", versprach er leise und sah mit zusammengekniffenen Augen die lange Straße entlang. Trotz des nächtlichen Regens wirkte sie dreckig, am Straßenrand lag ein Haufen Kleidung. Der sinnflutartige Erguss hatte sich mittlerweile in einen leichten Nieselregen verwandelt, der Wind peitschte jedoch so eisig durch die Straßenschluchten wie schon die ganze Nacht und ließ die beiden Gestalten zitterten, als sie über die Straße schlichen, auf die hölzerne Treppe zu, die an einem besonders windschiefen Haus emporwuchs. Die unterste Stufe knarrte, als Jako seinem Fuß darauf setzte.
„Lauf außen.", riet Felix ihm, und als Jako sich fragend umdrehte, zuckte er die Schultern. „Ich hab früher oft meine ältere Schwester belauscht, da musste ich oft die Treppe hinab schleichen." Jako lachte auf, wobei seine Zähne gegeneinander klapperten, befolgte den Rat jedoch. Ungewöhnlich leise schlichen sie die hölzernen Stufen hinauf, die unter ihnen im Wind erzitterten.
„Wo sind wir hier?", auch Felix' Zähne klapperten und als Jako ihm einen kurzen Blick zuwandte. Ihm hingen die Strähnen dunkel vom Regen in die Stirn, das Blut aus dem Schnitt hatte sich verdünnt und die letzten Reste hingen in seinem dunklen Bart.
„Wir sind im Armenviertel der Stadt.", antwortete Jako und wandte sich der Tür zu. In einem ihm altbekannten Rythmus hämmerte er gegen das dunkle, vom Regen nasse Holz.
„Ich meinte, zu wem wollen wir?", korrigierte Felix sich augenverdrehend.
„Ich denke ihr wollt zu mir."
Beide rissen die Köpfe herum, als sich eine neue Stimme in ihr Gespräch einmischte. Ein grinsender Mann stand im Türrahmen, mit einem leichtem Oberlippenbart und ebenso langen Haaren wie Jako sie hatte, jedoch ungefähr zwei Köpfe kleiner und in abgetragenerer Kleidung. „Hallo Jako."
Jako schmunzelte und zog den jungen Mann in eine kurze Umarmung. „Ich hoffe, wir haben dich nicht geweckt."
„Nur aus dem schönsten Traum seit Wochen.", er wandte sich Felix zu. „Wer ist deine Begleitung?" Sein fröhlicher Gesichtsausdruck verblasste innerhalb von Sekunden, als er den Schnitt auf Felix' Wange bemerkte. Etwas blasser als vorher blickte er zurück zu Jako, dann schob er die beiden Männer vor seiner Haustür eilig über die Schwelle, schloss die Tür wieder, und verriegelte sie doppelt.
„Ist euch jemand gefolgt.", zischte er eindringlich, während Jako seelenruhig wirkend seinen triefenden Mantel an einige Haken an der Wand hängte. Von innen wirkte die Wohung nicht halb so dreckig, wie Felix auffiel. Von dem winzigen Flur, in dem sie standen, konnte er in ein Schlafzimmer sehen und in eines, dass er dank eines eisernen Herds als Stube identifizierte. „Nein.", antwortete Jako schließlich. „Ich habe darauf geachtet. Niemand weiß, wo wir sind."
„Was hast du wieder angestellt?", erkundigte der Mann sich, während er sich den Schnitt besah. „Den müssen wir auswaschen, komm mit."
„Moment!", Felix hatte die Arme in die Luft gerissen und rieb sich nun jetzt mit geschlossenen Augen die Schläfe. „Ich muss nicht alles wissen, das weißt du, Jakob. Ich will gar nicht wissen, was du früher mit Flo zu schaffen hattest. Aber ein paar Erklärungen hätte ich dann doch gern."
Der Mann pfiff. „Wusste gar nicht, dass du geheiratet hast, Jako.", grinste er und duckte sich unter dem Schlag weg, den Jako ihm verpassen wollte. Felix schwieg, jedoch färbten sich seine Wangen leicht rosa. „Also?", fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust, in dem Versuch seine Wut aufrecht zu erhalten.
„Erklärungen.", wiederholte Jako. „Ich werde versuchen, sie dir zu geben."
„Du könntest mir zuerst ein Mal sagen, wer das ist.", er zeigte auf den Mann, der im Türrahmen zur Stube stand.
„Tommy.", stellte er sich vor. „Tommy Blackout." Er schüttelte ungefragt Felix Hand. „Ich bin ein Freund von Jako. Aber bevor ich das weiter ausführe, würde ich gerne eure Geschichte hören. Also?" Er deutete hinter sich und verschwand im Raum.
Während Jako sich die Stiefel abstreifte und sich plötzlich um zwanzig Pfund leichter fühlte, folgte Felix Tommy in die Wohnküche. Sie war auch nicht besonders groß, wirkte aber gemütlich, mit dem hölzernen Tisch und den drei groben Stühlen. Über dem Herd hingen einige Töpfe und Kochlöffel, die Gardinen vor dem Fenster waren zugezogen.
„Meintest du nicht, das hier sei das Armenviertel?", fragte Felix, als Jako eintrat und sich ihm gegenüber an den viereckigen Tisch setzte.
„Alles Tarnung.", Tommy hatte einen kleinen Schrank am anderen Ende des düster beleuchteten Raums durchsucht und kam jetzt zu ihnen herüber, einen sauberen Lappen und eine Flasche aus bräunlichem Gras in der Hand. „Er ist nicht so schlau, oder?" Die letzten Worte hatte er an Jako gewandt, der jetzt auflachte. „Schlauer als du jetzt vielleicht denkst."
Felix kommentierte das Alles nur mit einem Schnauben, zu beschäftigt war er mit dem Schmerz, den das säubern der Wunde mit sich brachte. Als er den Kopf wegziehen wollte, hielt Tommy ihn fest.
„Was ist das?", zischte er.
„Purer Alkohol.", erklärte Tommy. „Er desinfiziert und verhindert Entzündungen."
„Das weiß ich.", fuhr Felix ihn an und Tommy lachte wieder kurz auf.
„Wo ist Andre?", fragte Jako jetzt und sah sich in dem kleinen Raum um, als würde Andre sich hinter einem der Schränkchen verstecken.
„Er trifft einen Informanten.", er klärte Tommy. „Aber jetzt erzählt mir erst Mal, was ihr getan habt, um euch mit Flo anzulegen."
„Woher-", setzte Felix an, musste jedoch gar nicht erst ausreden.
„Ich kenne niemanden sonst, der seinen Feinden Schnitte im Gesicht zufügt, um seine Überlegenheit zu beweisen. Er will zeigen, dass er seinen Widersachern nahe genug kommt, um sie im Gesicht zu verletzten, ohne, dass sie ihm einen Kratzer zufügen."
Jako verzog das Gesicht, als hätte er in etwas äußerst widerwertiges gebissen. „Felix.", begann er, stoppte aber, weil er nicht wusste, wie er weiter machen sollte. „Es tut mir Leid.", brachte er schließlich heraus. Felix schüttelte nur den Kopf. „Das war mir doch schon klar, als Rick und Steve in unserer alten Wohnung warteten."
„Stimmt, sie hatten uns gewarnt."
„Moment.", jetzt war es an Tommy, die Arme zu heben. „Moment, jetzt müsst ihr mir erst Mal einiges erklären."
„Ich dachte, du hast genug Spitzel Flos Reihen.", Jako hob amüsiert eine Augenbraue.
„Natürlich.", Tommy schnaubte beleidigt und schien sich genötigt zu fühlen, seine Ehre zu verteidigen. „Ich hab mich schon gewundert, dass du dich nach eurem Treffen in der Bar letztes Jahr nicht bei uns gemeldet hast. Und von der eben benannten Warnung wurde mir natürlich auch berichtet. Ich wundere mich nur, dass Flo weitere sechs Monate gewartet hat."
„Das schien nicht wirklich geplant gewesen zu sein.", mischte sich Felix jetzt ein. „Ich glaube nicht, dass Flo uns für eine so große Bedrohung gehalten hat, sonst hätte er Jako nicht ohne Gegenwehr in sein Haus gelassen."
„Er ist wohl doch nicht so dämlich.", kommentierte Tommy.
Jako grinste. „Sagte ich doch."
Als sich jetzt alle Augen wieder auf Felix gewandt hatten, fühlte dieser sich genötigt, weiter auszuholen, um zu erklären, was passiert war. Er erzählte, wie Rick und Steve ihn zufällig in dem Musikladen gesehen hatten und er sie niedergeschlagen hatte, was Tommy ein anerkennendes Nicken entlockte. Dann beschrieb er die Verfolgungsjagd und wie sie ihn, keine zehn Schritte vor ihrer Haustür, aus dem Schatten überwältigt hatten. Wie er erst wieder in einem der Zimmer von Flos Anwesen zu sich gekommen war, mit Armen und Beinen an einen Stuhl gefesselt, bis wieder Rick und Steve ihn geholt hatten, die Treppe hinunter und in den Raum, in dem Jako bereits Flo gegenüber stand. Den Teil, mit dem toten Mann, ließ er aus.
„Die Beiden sind Flos liebste Laufburschen.", erklärte Tommy, fast ein wenig grimmig. „Leider aber auch die loyalsten. Deswegen schickt er sie so oft zu euch, er weiß, dass sie seine Anweisungen genau befolgen und ihm alles erzählen, auch wenn Rick von Zeit zu Zeit wohl seinen eigenen Kopf durchsetzt."
Felix merkte, wie Jako sich auf seinem Stuhl wand und sich Mühe gab, in eine andere Richtung zu sehen.
„Also, was?", änderte er das Thema. „Bleiben wir hier?"
„Wenn wir dürfen.", Jako sah zu ihrem Gastgeber, der sich dramatisch erst durchs Gesicht und dann durch die langen Haare fuhr. „Wenn's sein muss." Sein Blick huschte zwischen den Beiden Männern hin und her. „Wir haben ein Gästezimmer, das kann ich euch geben. Das Bett müsste groß genug sein für zwei. Ihr habt sicher Übung darin." Er duckte sich unter der Socke hinweg, die Jako nach ihm warf, und stand auf, ehe er die Zweite werfen konnte. „Ich gebe euch noch trockene Sachen, alles weitere besprechen wir, wenn die Sonne aufgeht.

Metropolen der MachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt