19. Titanic

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"Ich hab uns heute etwas ganz Besonderes ausgesucht", kündigte ich lautstark an und hielt ein DVD Cover in die Luft.
Der Anblick entlockte Ben ein Stöhnen, aber dann fing er an zu grinsen und schnappte sich die Hülle. Wir hatten den Film jetzt an die drei Mal zusammen geschaut und er ließ es jedes Mal ohne zu meckern über sich ergehen. Das liebte ich am meisten an Ben. War ich glücklich, dann war er es auch.
"Das hätte ich mir auch denken können", murmelte er, während er die DVD in den Player seines Laptops schob. Ich tat als hätte ich ihn nicht gehört und versuchte mich zu freuen, als er sich zu mir auf sein Bett kauerte.
Seine Wohnung war ein kleines WG-Zimmer in der Nähe des Campus. Mehr konnte er sich nicht leisten. Aber mir gefielen die Bequemlichkeit und die erzwungene Nähe, die es mit sich einher brachte. Man konnte sich prima auf das Bett kuscheln und einfach da sein, eine DVD gucken und sich aneinander schmiegen.
Wenn ich hier war, konnte ich mir bildhaft vorstellen wie Ben an seinen kleinen Schreibtisch vor dem Fenster mit Ausblick auf einen kahlen Hinterhof ohne Pflanzen saß und für die Uni büffelte. Seine Brille wäre  ihm dann verrutscht, aber er wäre viel zu sehr in das medizinische Zeugs vertieft um es zu bemerken. Ich mochte diese Vorstellung. Mein Freund war intelligent und er tat alles daran, um etwas daraus zu machen.

Der Vorspann von Titanic flimmerte auf und Kate Winslet und Leonardo DiCaprio erschienen in ihren Hauptrollen als Rose DeWitt Bukater und Jack Dawson.

Eine Welt, die mich an die wahre Liebe für die Ewigkeit glauben ließ. Und wer weiß, vielleicht hatte ich sie in Ben ja gefunden.
Zumindestens war er der Typ, dessen leichtes Beben seiner Brust ich bei jedem Atemzug spürte und ich legte meine flache Hand hinauf, weil mir der Gedanke gefiel seinen Herzschlag zu spüren. Wie sich Miguels Brust wohl anfühlen würde?
Läge ich in seinem Bett anstelle von dem von Ben und wäre er derjenige neben mir, dessen Puls ich spüren könnte, wäre es bestimmt ebenso schön.
Ich hätte sowohl die Bequemlichkeit, denn ich erinnere mich nur zu gut daran, wie sein Plymouth sich anfühlte. Würde Miguel versuchen mehr von mir zu bekommen? Sein Zimmer war sogar noch ein wenig kleiner als das von Ben, aber dieser schien schließlich auch nicht darin zu leben, sondern hatte eine ganze Wohnung zur Verfügung. Ob er da alleine wohnte? Der Gedanke daran, dass er wohl möglich mit seiner Freundin zusammen wohnte, ließ mich schwer schlucken. Aber dann hätte er mich ja wohl kaum mit zu sich genommen.

Was tat Miguel wohl neben dem Jobben im Fitnessstudio? Vielleicht studierte er Sport, es würde zu ihm passen. Oder es ist nur sein Hobby und er verdient sich etwas dazu in dem er das tat, was er mochte. Vielleicht machte er aber auch etwas, was gar nichts mit Sport zu tun hatte.

Aber eigentlich war das alles auch ganz egal, denn ich hatte es versaut. Der Alkohol hatte es versaut. Und damit hatte ich das mit Ben aufs Spiel gesetzt. Ich hob meinen Kopf, der bis lang auf Bens Brust geruht hatte, und beäugte diesen. Er war leicht weg gedöst. Seine Atmung ging langsamer und ruhiger und seine Nasenflügel flatterten jedes Mal leicht auf, wenn sich seine Brust hob und wieder senkte. Auf gar keinen Fall wollte ich ihn missen.

Ben war mein Jack. Er war mein Fels in der Brandung, er gab mir Ruhe und Gelassenheit. Ben bedeutete Sicherheit. Ich brauchte keine Angst zu haben, dass er mich jemals verlassen oder zu etwas drängen würde, dass ich gar nicht wollte.

Aus einem Impuls hinaus richtete ich mich ein wenig auf und hauchte Ben einen Kuss auf den Mund. Er wachte aus seinem Halbschlaf auf und lächelte mich glücklich an.
"Ist der Film etwa schon vorbei?", fragte er und war erstaunt, dass ein Blick hinter mir verriet, dass die Titanic gerade in zwei gebrochen war.
Ich grinste ihn an: "Nein. Aber ich weiß ohnehin, wie es weiter geht."

Beinahe zu oft hatte ich den Film schon gesehen. Ich konnte die meisten Texte mitsprechen und wusste genau, was wann passierte. Aber mir war nach was anderem. Also hauchte ich Ben einen weiteren Kuss auf seine schmalen Lippen und kletterte ein wenig auf ihn hinauf. Normalerweise ging ein solcher Kontakt zwischen uns von ihm aus und er schien positiv überrascht von dieser Wendung zu sein.

Schlaftrunken küsste er mich zurück und nahm mein Gesicht zwischen seine großen Hände, so dass es von außen ganz verloren darin aussehen musste.
Nach einiger Zeit, in der die Küsse hungriger wurden, glitt ich mit meinen Händen unter sein Shirt und fuhr langsam hinauf. Ben zuckte bei dieser Berührung zusammen und unterbrach das Geküsse.
"Du hast Eistatzen", murmelte er genervt, während er das Gesicht verzog. Ich fuhr mit meinen Händen zurück und ließ mich pump auf die Seite neben ihn rollen.
Es war fast so, als wolle er gar nicht mehr. Willkürlich kam mir der Gedanke, dass ich auf ihn gar nicht attraktiv wirkte. Aber konnte man wirklich mit jemandem zusammen sein, den man nicht attraktiv fand? Nach dessen körperlicher Nähe man sich nicht sehnte?
Was sagte man dann zu seinen Freunden? "Ja, ich weiß. Aber ihr Charakter ist echt liebenswürdig!"
Oh Gott, bitte lass das Ben nicht über mich sagen!

[16.08.2017]

Car ParkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt