11. Innerer Konflikt

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Wie wir bereits wissen, sind Konflikte die treibende Kraft einer jeden Geschichte. Und während die Handlung uns die Lösung äußerer Konflikte beschreibt, tragen vielschichtige Charaktere zusätzlich noch eigene innere Konflikte aus, die im Spannungsfeld des äußeren Konflikts stehen können, aber nicht müssen.

Also ist ein Vorhandensein eines inneren Konflikts, unabhängig von den Konflikten auf der Erzählebene, immer auch ein Signum für einen guten Charakter!

Warum? Überlegen wir zurück: Der Protagonist ist ein Homo Fictus, jemand dessen Schwächen und Stärken immer über denen eines normal Sterblichen (Leser) liegen. Daher ist auch abzusehen, dass dieser Protagonist mit allen äußeren Problemen früher oder später fertig werden wird. Anders als beim äußeren Konflikt, steht beim inneren Konflikt die Figur sich selbst im Weg und gefährdet selbst die Erreichung des Ziels.

Tatsächlich ist es so, dass fast alle gescheiterten Protagonisten nicht an den äußeren Konflikten, sondern an den inneren gescheitert sind.

Denk doch mal an

Ödipus
In Ödipus löst sich der äußere Konflikt, um Ödipus Abstammung auf - er ist der rechtmäßige Herrscher über Theben -, dieses Wissen führt aber erst zu seinem unüberwindbaren inneren Konflikt, an dem er zerbricht.

Romeo und Julia
Durch den Tod von einem der beiden Liebenden, wäre der äußere Konflikt (Feindschaft der Eltern) gelöst, aber der innere Konflikt (Liebe, Schuldgefühle) lässt die jungen Geliebten dennoch scheitern.

Die Leiden des jungen Werthers
Der äußere Konflikt ist die Unerreichbarkeit von Lotte, doch erst der innere Konflikt Werthers, sein Unvermögen von ihr abzulassen, führen zu seinem tragischen Ende.

Lolita
Humbert Humbert hat schon längst keine Beziehung mit Lolita (äußerer und innerer Konflikt), als er sich einem der Nebenbuhler stellt, weil ihn der innere Konflikt immer noch verfolgte.

Der innere Konflikt gibt also nicht nur euren Figuren eine tiefere Dimension, sondern macht auch eine Geschichte erst zu dem, was sie ist. Der äußere Konflikt fördert lediglich den inneren herauf.

Und während man auf den äußeren Konflikt u.U. verzichten kann, was eure Geschichte zu einem

Melodram

machen würde. So führt das Fehlen des inneren Konflikts unweigerlich zur Trivialität eurer gesamten Erzählung.

Was genau ist aber ein innerer Konflikt?

Das Wort ,,Konflikt" stammt von dem lateinischen Substantiv "conflictus" und bedeutet Aneinanderschlagen, Zusammenstoßen, im weiteren Sinne daher auch Kampf, Streit.

Ein innerer Konflikt findet im Denken und Fühlen der Figuren statt: Sie sind im Kampf mit sich selbst. Die Gründe dafür können, wie im echten Leben, vielfältig sein.

"Wenn der Wille einer Figur auf ein Hindernis stßt, das in der Figur selbst liegt, also wenn beispielsweise Pflicht mit Angst kollidiert, Liebe mit Schuld, Ehrgeiz mit Gewissen usw., dann haben Sie einen inneren Konflikt. Figuren leiden ebenso wie reale Menschen an inneren Konflikten. Reale Menschen schwanken oft in ihren Entscheidungen. Von Unentschlossenheit geqult, haben sie Schuldgefhle, ngste, Bedenken, Zweifel, Skrupel und hnliches. Das alles sind Anzeichen fr einen inneren Konflikt. Innere Konflikte machen Figuren nicht nur interessant, sondern wirklich unvergeßlich fr den Leser. Wenn sich ein Leser gut in eine Figur hineinversetzen kann, liegt das daran, daß die Figur einem starken inneren Konflikt unterworfen ist. Eine Figur kann sich in der erbrmlichsten Notlage der Literaturgeschichte befinden: wenn sie keinen inneren Konflikt austrgt, dann ist Mitleid die einzige Gefhlsreaktion, die der Autor vom Leser erwarten kann."
aus 'Wie man einen verdammt guten Roman schreibt'

Überlegt also selbst, was euch oder eure Umgebung bewegt und warum euch das so zu schaffen macht. Sind dabei zwei, sich widersprechende Positionen im Spiel z.B. ihr seid in den Freund eurer besten Freundin verliebt (Liebe<->Schuld); dann steckt ihr in einem ausgemachten Konflikt mit euch selbst.

Genau diese Themen und Widersprüchlichkeiten müsst ihr in der

fiktionalen Biografie

eurer Figuren suchen oder einbauen. Ihr könnt die Strategien zum erstellen der fiktionalen Biografie auch hier anwenden.

1️⃣. Beim zusammenfassenden Text könnt ihr im Nachhinein die zwei gegenläufigen Motivationen in verschiedenen Farben markieren.

2️⃣. Bei einem Tagebucheintrag aus der Perspektive der Figur kann sich die Figur gerade über seine innere Zerrissenheit beschweren.

3️⃣. Bei einem Steckbrief könnt ihr die zwei Seiten in zwei sich gegenüber befindlichen Spalten aufteilen und sehen wie sich die Kräfte gegenseitig ausspielen.  

4️⃣. Bei einem Interview könnte die Figur auf bestimmte Fragen seltsam reagieren.

Dilemma
Besonders starke und für den Leser interessante Konflikte entstehen durch Dilemmata. Eine Figur steht immer dann vor einem Dilemma, wenn diese etwas umbedingt haben will, aber niemals haben kann. Oder einfacher ausgedrückt, wenn die Figur von gleich starken Kräften, die in entgegengesetzte Richtungen ziehen, auseinandergerissen wird und die Lösungen dieses Konflikts, alle gleich schlecht sind. Die Entscheidung zwischen Pest und Cholera sozusagen.

Klassischerweise sind es Entscheidungen darüber, ob der Protagonist stirbt, um andere zu retten oder, ob er selbst weiter lebt, dafür aber andere sterben lässt.
Beispiel:

Die Bestimmung - Allegiant
Tris muss sich entscheiden: ihren Bruder für das Wohl der Gesellschaft zu opfern oder sich selbst.

Welche inneren Konflikte tragen eure Figuren mit sich herum? Stehen sie mit den äußeren Konflikten im Spannungsfeld? Schreibt es in die Kommentare!

Im nächsten Kapitel geht es um die Schubfächer der Literatur!

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