Hallo,
ich weiß nicht an wen ich diesen Brief richten soll. Ob an die Menschheit dieses Erdballes, an meine Familie oder an meine Freunde. Vielleicht wird das auch nie jemand zu Gesicht bekommen. Warum auch, schließlich sind das nur Worte eines kleinen Menschen. Und davon leben auf der Erde nun wahrlich viele. Ich bin wie alle Menschen: Ich sehe die Welt so, wie ich sie gerne hätte, und nicht so, wie sie tatsächlich ist. Ja, träumen, das gelingt mir wirklich gut. Ich kann träumen von einer Welt, in der alle Menschen friedlich und vereint leben. Ohne Schmerz, ohne Angst, ohne Krieg. Manchmal, da träume ich von einem Paradies. Aber dann denke ich mir auch wieder, dass das Leben ja dann langweilig sei. Wie sollten wir uns verbessern, wie sollten wir das Leben zu schätzen wissen. Morgens wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich immer denselben älteren Herren mit seinem Hund spazieren gehen. Für viele mag das wohl selbstverständlich sein. Es gibt so viele Menschen, die tagtäglich mit ihrem Hund spazieren gehen. Warum also, erzähle ich das hier? Nun ja, eigentlich ist das ganz einfach zu erklären. Für mich ist es nicht selbstverständlich mit meinem Hund spazieren zu gehen. Für mich ist es nicht selbstverständlich mit ihm spielen zu können. Vielleicht denkt ihr euch jetzt, dass das nicht möglich ist, da ich vielleicht keinen Hund besitze. Allerdings besitze ich einen Hund. Einen kleinen Labrador von gerade mal 11 Monaten. Ein ganz schöner Rabauke für sein Alter. Stellt also immer noch die Frage, warum dieser ältere Herr etwas so besonderes für mich ist. Vor zwei Wochen, es war ein regnerischer Dienstag, bin ich hier her gezogen. Ohne meine Familie, ohne meine Freunde und ohne meinen Hund. Seit zwei Wochen sitze ich jeden Morgen hier am Fenster und beobachte eben diesen Herren mit seinem Hund. Aber eigentlich betrachte ich so viel mehr, als nur ihn. Ich betrachte das Leben. Ich betrachte die Bäume, die sich im Wind bewegen. Von links nach rechts, von vorne nach hinten. Und umgekehrt natürlich. Ich beobachte die Menschen, die vor meinem Fenster entlang laufen. Mal langsam, mal. Mal in Gruppen, mal alleine. Ich lausche den Vögeln, die in den Bäumen sitzen. Den leisen Stimmen der Menschen, die sich über Gott und die Welt unterhalten. Und abends da liege in meinem Bett mit der unbequemen Matratze und starre an die Decke. Jeden Abend zähle ich die Flecken und kleine Risse, die die Decke prägen. Manchmal, da verzähle ich mich und muss von vorne anfangen. Deshalb bin ich mir auch nicht sicher ob es 23 oder 24 Flecken sind, die der Decke da oben ihr Bild geben. Mein bester Freund meinte mal, dass das aussähe als hätte jemand Pudding an die Decke geworfen. Aber das glaube ich nicht. In den 14 Tagen und sieben Stunden, die ich schon hier bin, gab es nicht ein Mal Pudding. Ich weiß nicht mehr warum ich diesen Brief schreibe. Wer liest sich schon das Geschreibsel eines 11-jährigen Jungen durch, der den ganzen Tag in einem öden Zimmer sitzt, ohne zu begreifen was in der Welt so los ist. Der nicht einmal begreift, was in seiner eigenen Welt los ist. Wen interessiert schon das Geschreibsel eines Jungen, der sich nichts mehr wünscht als noch ein Mal leben zu können. Ein Leben, das außerhalb dieser scheußlichen vier Wände stattfindet. Ein Leben ohne Krabbi, der in meinem Körper sitzt und meinem Leben den Gar ausmacht. Doch wir Menschen sehen die Welt eben doch nur, wie wir sie gerne hätten und eben nicht wie sie ist. Vielleicht melde ich mich irgendwann nochmal und erzähle dir ein wenig was über mich.
Liebe Grüße an den unbekannten Leser,
Dein Hendrik mit seinem Krabbi
"Ich bin wie alle Menschen: Ich sehe die Welt so, wie ich sie gerne hätte, und nicht so, wie sie tatsächlich ist." Paul Coelho in „Der Alchemist"
Krabbi = Isländisch: Krebs
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A loveletter to the life
Teen FictionEin Roman über die erste Liebe, das Leben und den Tod eines krebskranken Jungen, der sich mit seinem Schicksal nicht abfinden möchte