Hallo Bente,
in ein paar Wochen ist Weihnachten. Eigentlich mag ich Weihnachten sehr, nicht der Geschenke wegen sondern der Liebe wegen. Ich weiß nicht warum, aber ich habe immer wieder das Gefühl, dass die Menschen an Weinachten all ihre Liebe, die sie das ganze Jahr über in sich aufbewahrt haben, frei lassen Und diese Liebe fliegt dann durch die Gegend wie ein Vogel, der seine großen Flügel ausbreitet und durch die Gegend fliegt. Vielleicht wird Weihnachten aus genau diesem Grund das Fest der Liebe genannt. In der letzten Zeit habe ich oft darüber nachgedacht, warum es im Jahr genau einen Tag gibt, an dem die Menschen ihre Liebe freilassen. Und wenn ich ehrlich bin, bin ich zu keiner Lösung gekommen. Eigentlich sollte doch jeder Tag ein Fest der Liebe sein oder nicht? Stelle dir doch mal vor jemand möchte einem anderen Menschen heute sagen, dass er ihn gerne hat und verschiebt es aber mit dem Gedanken, dass bald das Fest der Liebe stattfindet. Was wenn er aber am Fest der Liebe keine Gelegenheit mehr dazu bekommt? Gerade aus diesem Grund, habe ich beschlossen, dass ich einem Menschen immer wenn ich ihn sehe, sage wie gern ich ihn habe. Man weiß nie wann es das letzte Mal sein wird. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es den anderen Menschen wegen mache oder wegen mir. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn ich jetzt sterben würde und meiner Mutter beispielsweise vor drei Wochen zum letzten Mal gesagt habe, dass ich sie liebe. Ihre Erinnerungen daran würden so schnell verblassen, dass sie vielleicht irgendwann nicht mehr weiß wie sehr ich sie liebe. Alleine heute habe ich schon sechs verschiedenen Menschen gesagt wie gerne ich sie habe. Und weißt du was mir dabei aufgefallen ist? Jeder von ihnen hat danach gelächelt. Ich weiß nicht warum, aber das Lächeln hat mich beflügelt. Ich weiß nicht wie lange Krabbi mir noch die Chance zu leben lässt, aber ich habe beschlossen in der restlichen Zeit, die mir noch bleibt, so viele Menschen wie möglich zum Lächeln zu bringen. Weißt du da oben kreist irgendwo eine Sonne herum, die unsere Welt erhellt und das Lächeln anderer, erhellt unser Herz. Und um unser Herz dreht sich alles Leben. Ohne dieses könnten wir nicht überleben, aber ich weiß wie traurig das Herz sein kann. Dann fühlt es sich so an als würde sich ein schwarzer Schleier über unser Herz legen und unser ganzes Leben bedecken. Das Leben ist dann wie ein Schwarz-Weiß-Film. Es gibt exzellente Schwarz-Weiß-Filme, aber in Farbe wären wie sie immer besser. Und so ist das mit dem Leben doch auch, oder nicht? In Farbe ist es viel lebendiger. Und ich bin überzeugt davon, dass Lächeln der Menschen, die uns etwas bedeuten, dazu in der Lage ist, unser Leben bunt zu machen. Das Lachen anderer ist die Farbe unsrer eigenen Welt. Dieses Jahr wünsche ich mir zu Weihnachten genau drei Dinge. Zum ersten, dass Maja gesund und glücklich wird. Zum anderen, dass meine Familie und alle die mir wichtig sind, glücklich sind. Und zum letzten, dass alle ihre eigene Welt in Farbe sind. Und eben dieser Wunschzettel, den ich dieses Jahr zum ersten Mal nicht an den Weihnachtsmann verschickt habe, sondern in meinem Herzen halte, zeigt wie sehr einen der Krebs verändert. Letztes Jahr habe ich mir noch Unmengen an Spielsachen gewünscht, aber dieses Jahr erscheinen mir diese Wünsche so belanglos. Spielsachen machen einen nicht reich, aber ich denke das Glück anderer, ist dazu durchaus in der Lage. Wenn ich sterbe, haben Spielsachen für mich keinen Nutzen mehr. Sicherlich habe ich mal mit ihnen gespielt und sie haben mir unzählige Erinnerungen an das Kindsein geliefert, aber beim Sterben haben sie keinen Nutzen. Wenn ich aber sterbe und weiß, dass unzählige Menschen wegen mir glücklich waren, kann mir das beim Sterben ein wenig helfen. Es kann mir den Gedanken nehmen, dass ich in meinem Leben nichts erreicht habe. Sicherlich werde ich in meinem Leben niemals so viel erreichen wie Stephen Hawking oder Albert Einstein. Für die gesamte Welt werde ich keinen Nutzen haben, aber für die Welt einzelner Person schon. Gestern meinte Maja zu mir, dass ich ihr in der kurzen Zeit, in der wir uns kennen, mehr beigebracht habe als sie in ihrem ganzen bisherigen Leben gelernt hatte. Sie sagte zu mir ich könne ein ganz Großer werden. Das möchte ich gar nicht. Mir geht es nicht darum im Rampenlicht zu stehen. Ich bin gerne unsichtbar. Unsichtbarsein hat etwas anziehendes. Wenn man unsichtbar ist, kann man alles tun, was man möchte und niemand kann nachvollziehen wer das war. Ich habe ein paar Mal darüber nachgedacht, ob Engel vielleicht deshalb unsichtbar sind. Aber dann bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass Engel überhaupt nicht unsichtbar sind, sie sind nur einfach nicht so wie wir sie uns vorstellen. Weil Engel nicht gleich aussehen. Sie haben keine weißen Gewänder an oder Flügel. Sie sind die Diamanten unter Menschen. Sie zeichnen sich nicht durch ihr Aussehen aus, sondern durch ihren Charakter. Mein großer Bruder ist so ein Engel. Wir hatten nie so eine wirkliche Bruderbeziehung zueinander. Er war mehr so ein Freund. Ein heldenhafter Freund. Ich habe meinen Bruder lange nicht gesehen und manchmal habe ich Angst, dass ich ihn vor meinem Tod nicht mehr sehen kann. Aber weißt du was meinen Bruder zu einem Engel macht? Sein Charakter. Nicht sein Aussehen. Sicher ist er auch da ein Anziehungsmagnet, schließlich ist er ein großgewachsener Junge mit verwuschelten Haaren und braunen Haaren. Er sieht ein wenig aus wie ein Superheld. Und für mich ist er das auch. Aber was ihn wirklich auszeichnet ist sein Charakter. Sicher ist er beliebt, aber das interessiert ihn nicht. Er war immer der Jahrgangsbeste, aber das interessiert ebenfalls wenig. In seinem Leben geht es ihm nicht um Anerkennung oder Ruhm. Nein, er will einfach nur sein Leben leben. Das tun, was ihn glücklich macht. Meine Eltern wollten, dass er Medizin oder Jura oder so studiert, schließlich hatte er ein 1,0 Abitur. Aber Fabian wollte das nicht. Er meinte immer das würde ihn nicht glücklich machen und obwohl er wusste, dass er Mama und Papa damit traurig machen würde, hat er sein eigenes Ding durchgezogen. Er studiert jetzt Sozialpädagogik und ist viel beschäftigt, aber er wird später das machen, was ihn glücklich macht. Sicher kannst du jetzt sagen, dass er deswegen noch lange kein Engel ist, schließlich gibt es unzählige Menschen, die ebenfalls einfach nur ihr Ding durchziehen. Aber mein Bruder ist etwas Besonderes. Seit seinem Unfall sitzt er im Rollstuhl. Ich glaube ich habe dir in einem früheren Brief mal davon erzählt. Seitdem hat sich sein Leben sehr verändert. Er ist zwar in der Schule beliebt geblieben, schließlich ändert ein Rollstuhl nichts an seinem Charakter, aber trotzdem haben sich einige seiner Freunde damals von ihm abgewandt. Meine Eltern wollte ihn damals von der Schule nehmen, aber er wollte das nicht. Er hat sich durchgekämpft. Er hat nicht nur für sich gekämpft, sondern sich auch für alle eingesetzt, die geärgert wurden. Wenn Kinder Probleme mit dem Lernen hatte, hat er ihnen geholfen. Verlangt hat er dafür nie etwas. Er hat sich nie über sein Schicksal beschwert. Er meinte, dass er Fehler gemacht hat und dafür die Konsequenzen tragen muss. Vielleicht denkst du jetzt, dass das alles nach der Schule aufgehört hat, aber das stimmt nicht. Während er jetzt studiert, versucht er Laufen zu lernen und er gibt nie auf. In der Stadt, in der er jetzt lebt, beschäftigt er sich mit behinderten Kindern. Er möchte ihnen Mut machen und Türen im Leben öffnen. Und egal was du jetzt sagen wirst, für mich ist mein Bruder ein Engel. Vielleicht will ich aus genau diesem Grund so viel für andere Menschen tun. Eben weil ich meinen großen Bruder eben so sehr bewundere. Vielleicht will ich mein Wissen auch nur an andere weitergeben, weil ich weiß, dass meine Lebenszeit begrenzt ist. Es aufschreiben wie die Menschen es seit Jahrhunderten tun. Vielleicht weil ich der Welt so für meinen wunderbaren, großen Bruder danken möchte. Ich weiß es nicht. Aber danke Bente, dass ich meine Gedanken immer mit dir teilen kann. Aber wer weiß, vielleicht liest du dir das ja auch gar nicht alles durch. Ich glaube ich denke jetzt noch ein bisschen für mich nach und melde mich morgen oder die Tage nochmal bei dir.
Eine schöne Vorweihnachtszeit wünsche ich dir. Mach’s gut und halt die Ohren steif. Bis bald
Dein Hendrik
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A loveletter to the life
Teen FictionEin Roman über die erste Liebe, das Leben und den Tod eines krebskranken Jungen, der sich mit seinem Schicksal nicht abfinden möchte