Hallo Bente,
wie du in der Anrede wohl gemerkt hast, habe ich mich für den Namen Bente entschieden. Das macht die ganze Sache persönlicher und obwohl ich der Idee, am Anfang, sehr skeptisch gegenüber stand, habe ich mittlerweile Gefallen an den Briefen gefunden. Es macht mir wirklich Spaß dir zu schreiben und ein wenig vertreibt es auch die Langeweile. Vor allem aber habe ich hier die Möglichkeit all die schönen, aber auch die unschönen Dinge aufzuschreiben. Wer weiß, vielleicht liest das irgendwann ja wirklich mal jemand. Mittlerweile gefällt mir die Idee sogar ziemlich gut. Heute ist mein Geburtstag. Jetzt bin ich zwölf Jahre alt und es ist sind tatsächlich schon zwei Wochen seit dem letzten Brief vergangen. Wahrscheinlich wird dieser Brief auch länger werden, schließlich ist auch viel mehr Zeit zwischen dem letzten und diesem Brief vergangen. Die letzten zwei Wochen habe ich Chemo bekommen und meine Haare sind schon fast alle ausgefallen. Das sieht ziemlich doof aus, wie ich finde, deshalb trage ich jetzt immer eine Mütze, selbst wenn es warm ist. Ich habe oft geweint in den letzten zwei Wochen. Wahrscheinlich fast so viel wie Marit, obwohl ich ja eigentlich schon ein großer Junge bin. Eigentlich wollte ich das Mama und Papa so gar nicht zeigen. Ich möchte ja, dass sie stolz auf mich sind und nicht wegen mir weinen. Aber das hat nicht so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte so große Schmerzen. Mama hat viel geweint deswegen und abends habe ich dann viel geweint, da ich nicht möchte, dass Mama wegen mir weint. Ich wünschte ich könnte gesund sein, dann könnte ich Mama und Papa glücklich machen. Aber so wie ich gerade bin, mache ich sie nicht glücklich. Für sie bin ich kein richtiger Sohn mehr, auf den man stolz sein kann. Für sie bin ich nur noch ein glatzköpfiger, 12-jähriger Junge, der Krebs hat. Sie waren heute alle wegen meinem Geburtstag da. Mama, Papa, Marit, Oma, Opa und Lasse. Es war ein komischer Geburtstag. Keiner war wirklich fröhlich. Nur Lasse. Ich habe, dass Gefühl, dass außer ihm keiner mehr sieht, wer ich wirklich bin. Für meine ganze Familie bin ich nur noch das kranke Kind. Ich bin keine Freude mehr. Früher haben meine Großeltern immer gesagt, dass ich ein Kind sei, das einem viel Freude bereiten würde. Aber das haben sie schon lange nicht mehr gesagt. Ich bin wohl kein Kind mehr, das einem Freude bereitet. In den letzten Tagen habe ich viel darüber nachgedacht wie es wohl wäre, wenn ich tot wäre. Aber ich bin mir nicht sicher ob ich dann mehr oder weniger Leid bereiten würde, als ich es jetzt tue. Bisher habe ich nur darüber geschrieben wie schrecklich die letzten zwei Wochen und auch heute waren, aber das ist ja nicht die ganze Wahrheit. Sicher ist vieles nicht schön, das mir die letzten Woche widerfahren ist, aber trotzdem kann man immer etwas Schönes finden. Man muss es nur wollen. Es gab auch schöne Momente an diesem Tag heute, an meinem Geburtstag. Heute Morgen haben mir alle Krankenschwestern zum Geburtstag gratuliert. Und heute Nachmittag kam Lasse vorbei. Er hat mir ganz viele neue Bücher geschenkt und er hat mir eine Glückwunschkarte von unserer Klasse mitgebracht. Und Lasse reduziert mich nicht nur auf meine Krankheit. Er sieht in mir nicht nur den kranken besten Freund, sondern immer noch den besten Freund, der ich war bevor Krabbi kam. Mir wird immer mehr bewusst, dass Krabbi kein guter Freund ist. Er ist kein guter Freund, nur ist es nicht so einfach ihn wieder loszuwerden. Langsam wird es Winter. Die Bäume, von denen ich dir in meinem ersten Brief erzählt habe, haben fast alle Blätter verloren. Bald sind sie so kahl wie mein Kopf. Lasse meinte ich würde aussehen wie ein alter Professor mit der Glatze und meiner Brille. Oder wie ein Boxer. Mir war das Beispiel mit dem Professor allerdings lieber. Ich habe mir geschworen, dass ich Krabbi bis im Sommer den Gar ausgemacht habe. Bis dahin hat er dann lange genug in mir gewohnt, er bezahlt ja nicht mal Miete dafür. Es gelingt mir irgendwie nicht wirklich lustig zu sein. Und wenn wir schon bei den schönen Dingen sind, die mir die letzten Tage bzw Wochen passiert sind, muss ich dir vor Maja erzählen. Maja wohnt auch hier. Sie ist schon 14 Jahre alt und hat Leukämie, aber ihre Heilungschancen sind gut. Wenn man so etwas hört, wird einem bewusst wie nah in einem Krankenhaus Leben und Tod beieinander sind. Auf der eine Seite gibt es Menschen wie mich, die eine niedrige Heilungschance haben oder schon im Sterben liegen und auf der anderen Seite gibt es die Menschen, die eine ziemlich gute Heilungschance habe oder schon geheilt wurden. Krebs haben ist wie Lotto spielen. Entweder man hat sechs Richtige, was keinem Krebs entspricht. Einige Richtige, was Krebs mit guter Heilungschance entspricht und gar keine Richtige, was Krebs mit schlechten Heilungschancen entspricht. Worüber ich eigentlich reden wollte, ist Maja. Maja ist das schönste Mädchen, das mir je begegnet ist. Sie hat wunderschöne, blaue Augen und tiefbraunes Haar. Und sie hat eine faszinierenden Humor und Musikgeschmack. Für das Universum konnte ich sie leider noch nicht begeistern, aber das kommt hoffentlich noch. Wer weiß, vielleicht ist sie ja die Frau, die ich später mal in meiner Rakete mit zu den Sternen nehme. So weit wird es wahrscheinlich erst gar nicht kommen, aber träumen ist ja immer erlaubt. Ohne Träume wäre diese Welt so trist und leer. Morgen gehen wir zusammen ein Stück Kuchen in der Cafeteria essen. Die Möglichkeiten für ein Date sind ja leider begrenzt hier. Aber man kann ja auch aus den kleinsten Dingen etwas machen, das die Welt verändert. Und ich glaube mit der richtigen Frau könnte auch ein Treffen auf der Müllhalde wunderschön werden. Der Geruch wäre wahrscheinlich etwas gewöhnungsbedürftig, aber über den könnte man sicher hinwegsehen. Maja hat das selbe Lieblingsbuch wie Lasse. Beide lieben den kleinen Prinzen. Lasse hat mir sein Buch geschenkt und ich muss sagen, dass mich das Buch sehr zum Nachdenken bewegt hat. Und Zeit zum nachdenken habe ich ja reichlich momentan. Und es gibt noch etwas Schönes, das ich dir erzählen muss. Nächste Woche darf ich für ein paar Tage nach Hause, darauf freue ich mich sehr. Ich habe mich zwar mittlerweile an die harte Matratze gewohnt, aber zu meinem Bett zuhause, sage ich wirklich nein. Der Brief wird allmählich ziemlich lang und ich sollte, glaube ich, zum Ende komme. Sonst langweilt es dich vielleicht noch und das möchte ich auf keinen Fall riskieren. Außerdem gehe ich gleich noch ein paar Sterne anschauen mit meinem besten Freund. Das eine der Sachen, die ich am meisten vermisse. Ich liebe die Sterne über alles und ich finde den Gedanken so wunderschön, dass jeder Mensch aus Sternenstaub besteht. Jetzt habe ich aber wirklich genug geschrieben für heute. Ich melde mich die Tage wieder. Muss dir ja erzählen wie es mit Maja läuft. Schließlich ist es meine Aufgabe dir die schönen Dinge des Lebens zu zeigen. Denn die kann man auch an einem Ort finden, an dem sich Leben und Tod jeden Tag vereinen. An einem Ort, an dem Freud und Leid so nah beieinander sind, dass man nicht erkennen kann, ob die Tränen aus Trauer oder aus Freude fließen. Und Tränen fließen hier jeden Tag unzählig viele. Jetzt mach es gut und halt die Ohren steif.
Liebe Grüße von Hendrik und Kabbi
DU LIEST GERADE
A loveletter to the life
Teen FictionEin Roman über die erste Liebe, das Leben und den Tod eines krebskranken Jungen, der sich mit seinem Schicksal nicht abfinden möchte