Brief VIII.

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Guten Tag Bente,

in meinem letzten Brief habe ich dir von Majas bezaubernder Nachricht erzählt (auch wenn diese nicht halb so bezaubernd war, wie ihre Augen, in denen ich jedes Mal versinken könnte), weshalb ich nicht sicher bin, ob ich mich in diesem Brief wieder mit ihr befassen sollte. Dabei ist sie ein Thema, das mich Tag für Tag begleitet und über das ich stundenlang erzählen könnte, ohne müde zu werden. Maja ist ein Mensch, der einem in dem Moment, in dem sie vor einem steht, die Worte raubt und im Nachhinein kann man Romane über sie und ihre bezaubernde Schönheit schreiben. Wort sind etwas so wundervolles, wenn man sie denn im richtigen Augenblick zu finden vermag. In der letzten Zeit besitze ich diese Macht über die Worte nicht. So oft gibt es Situationen, die mir die Worte rauben, auch wenn sie beim Betrachten aus der Ferne gar nicht so wortstehlend zu sein vermögen. Aber wenn so ein Krabbi in einem sitzt, lernt man selbst die kleinsten Dinge zu schätzen. Dinge, die all die Jahre davor so eine Selbstverständlichkeit waren, rauben einem von heute auf morgen die Worte. Meine Selbstverständlichkeiten haben sich von Tag zu Tag verändert. Manchmal sogar ohne, dass es mir wirklich bewusst war. Und wenn man mal darüber nachdenkt wie schnell eine Selbstverständlichkeit zu einem Geschenk werden kann, das gar nicht mehr selbstverständlich ist, ist doch eigentlich gar nichts selbstverständlich. Als ich kleiner war, war es für mich selbstverständlich abends schlafen zu gehen, auch wenn ich mich oft dagegen gewehrt habe, und morgens wieder aufzustehen. Ich dachte immer, dass es eben so sei. Mittlerweile weiß ich, dass es alles andere als selbstverständlich ist immer wieder aufzuwachen und mittlerweile weiß ich auch, dass manche Angst haben davor eben nicht mehr aufzuwachen. So wie Maja und unzählig weitere in diesem Betonklotz hier. Ich würde gerne mal ausprobieren wie es ist, tot zu sein. Nur für ein paar Tage um dann wiederzukommen und jedem, der Angst davor hat, diese Angst zu nehmen. Vor ein paar Tagen ist der kleine Mark gestorben, er war 6 Jahre alt und sein Krabbi saß im Kopf. Sein Alltag bestand aus der Angst vor dem Tod. Manchmal habe ich ihn besucht und ihm zugehört. Dann hat er mir davon erzählt, dass er Angst davor hat zu sterben. Davor, dass nach dem Tod ein Monster auf ihn wartet, das ihn verschlingt. Anfangs habe ich überlegt ihm eine schöne Version zu erzählen. Von einer Welt nach dem Tod, in der es keine Schmerzen gibt, nur all die schönen Dinge dieser neutralen Welt, Dem Gegenstück zu Marks Vorstellung vom Tod. Aber das wäre nicht fair gewesen. Es wäre nicht fair gewesen ihm etwas zu erzählen, von dem ich keine Ahnung habe. Niemand weiß was nach dem Tod kommt und vielleicht hat Mark ja auch recht. Prinzipiell hätte es mir ja auch egal sein können was Mark über den Tod denkt oder seine Angst davor, aber das war es mir nicht. Ein Stückweit erinnerte er mich an mich selbst. An das sechsjährige Ich von Hendrik, der in diesem Lebensjahr eben nur Leben im Kopf hatte. Mit 6 bin ich durch Wälder getobt und hab eben all die Dinge erlebt, die ein sechsjähriger eben so erlebt. Den ersten Schultag, auch wenn ich an meinem noch 5 Jahre alt war. Bücher, die man langsam selbst lesen konnte. Das Schwimmen im See oder im Schwimmbad. Während ich eben das Leben eines ganz normalen Jungen führen konnte damals, lag Mark hier in seinem Krankenhausbett und konnte an nichts anderes denken als an den Tod. Das Leben war für ihn so unendlich weit weg, obwohl es in ihm steckte wie der Tod. Nicht so wie man sich manchmal einen Engel und einen Teufel im Menschen vorstellt, die darüber diskutieren, ob eine Handlung jetzt nun gut oder schlecht sei. Nein eher so unsichtbar wie die Freude oder das Glück. Nur weitreichender. Unsichtbar und doch bestimmend. Mir war also bewusst, dass ich ihm die Angst nicht nehmen konnte. Schließlich war es auch für mich etwas Unbekanntes, auch wenn ich den Tod ziemlich neutral sehe. Er tat mir leid, obwohl Mitleid etwas ist, das mir relativ suspekt erscheint. In Mitleid schwingt immer etwas Freude mit. Er tat mir leid und trotzdem war ich irgendwie froh, dass er da lag und nicht ich. Vielleicht war auch das der Grund, warum ich ihm irgendwie helfen wollte. Mein Mitleid, das mir ein schlechtes Gewissen bereitet hat. So fragte ich ihn also was seine zweitstärkste Angst war. Er hatte Angst davor so viele Dinge zu verpassen. Und wenn ich ehrlich bin, begleitet auch mich diese Angst jeden Tag. Ich konnte ihm nicht alle Wünsche erfüllen, denn schließlich kann ich ihn nicht altern lassen damit er Vater sein kann. Auch wenn das ein sehr ungewöhnlicher Wunsch war für einen sechsjährigen Jungen. Aber einen Wunsch gab es, den ich ihm erfüllen konnte. Er träumte immer davon später einmal Rennfahrer zu werden. Zwar ist ein Rollstuhl kein perfekter Rennwagen, aber er befriedigte seinen Wunsch und da Krabbi in meiner Lunge es niemals zulassen würde, dass ich mit einem sechsjährigen Jungen im Rollstuhl durch das Krankenhaus renne, damit dieser wenigstens ein Mal das Gefühl haben konnte, ein Rennfahrer zu sein, bat ich meinen besten Freund mir dabei zu helfen. Solche Rennen waren im Krankenhaus nicht gerne gesehen und das konnte ich sogar verstehen, aber trotzdem erfüllten wir Mark diesen Traum. Mark lachte während Lasse ihn mit schnellen Schritten im Rollstuhl durch den Gang schob und obwohl ich wusste, dass wir Ärger bekommen würden, wusste ich in diesem Augenblick, dass ich alles richtig gemacht hatte. In dem Augenblick schwang in Mark kein Gedanke an den Tod mit. Da war nur das Leben und das Glück in ihm und das war es mir wert. Eine Krankenschwester entdeckte unser Treiben ziemlich schnell und schickte uns meckernd auf unsere Zimmer zurück. Später sah ich nochmal nach Mark, der in seinem Bett lag und lächelte. Er meinte zu mir, dass der Tod vielleicht doch kein Monster sei, sondern nur eine lange Rennbahn, die er befahren konnte. Ich wusste, dass sein Denken durch die Medikamente betrübt waren und man seinen Worten keinen Glauben schenken durfte, aber sein Lächeln, das war echt. Zum ersten Mal seit langem war sei Lächeln echt. Und mit diesem Lächeln ist er gestorben. Wer weiß vielleicht hätte er noch ein oder zwei Tage länger gelebt, wenn er diese paar Minuten als Rennfahrer nicht gehabt hätte. Es ist eigentlich falsch sich darüber Gedanken zu machen. Er war glücklich als er starb und ich denke nur das zählt, oder? Die Krankenschwester meinte zu mir, als sie mir das Abendessen brachte, dass es unverantwortlich gewesen sei, was ich getan habe. Gerade da ich älter wäre, sollte ich das wissen. Dabei finde ich überhaupt nicht, dass es unverantwortlich war. Unverantwortlich wäre, meiner Meinung nach, gewesen ihn einfach so sterben zu lassen. Unglücklich und in Angst. Er war unheilbar krank und alleine, da seine Eltern arbeiten waren um seine Geschwister zu ernähren. Ich weiß, dass in diesem Betonklotz so viele Kinder sind, die Angst haben und trotzdem wird nichts dagegen getan. Wie soll man einem Menschen auch die Angst vor etwas nehmen, das man selbst nicht erlebt hat. Bei einem Sprung vom 10-Meter-Brett kann man einem vielleicht noch Mut machen, weil man selbst gesprungen ist, aber die Angst vor dem Tod kann man einem nicht nehmen, denn keiner hat ihn erlebt und ist zurückgekehrt um allen die Angst davor zu nehmen. Mark hatte Angst davor und trotzdem ist er glücklich gestorben, weil sein letzter Tag wunderschön war. Was daran ist denn bitte falsch, Bente? Was kann falsch daran sein einem sechsjährigen Kind, das um fast um sein gesamtes Leben betrogen wurde, die letzte Lebenszeit schön und angenehm zu machen, auch wenn es vielleicht ein paar Risiken birgt? Leben bedeutet zu riskieren, oder nicht? Das Leben ist so risikoreich und warum darf dann ein kleiner Junge nicht riskieren glücklich zu sein vor dem Tod? Mein Vater geht jeden Morgen aus dem Haus und fährt mit der Bahn zur Arbeit. Nur weil es ein Risiko gibt, dass ihm auf dem Weg zur Arbeit etwas passiert, bleibt er doch noch nicht zuhause. Dann sollte doch auch ein kleiner Junge, dessen Leben seit Tagen am seidenen Faden hing, doch auch riskieren glücklich zu sein. Vielleicht hat es ihn sein Leben gekostet aber er war glücklich und ich denke das ist mehr wert als ein paar Stunden oder Tage Lebenszeit mehr, in denen man vor Angst kaum Atmen kann. Ich kann mich an einen Streit von meinen Eltern mit meinem großen Bruder erinnern. Es ist ein Jahr vielleicht her. Fabian war damals 17 Jahre alt und war zum ersten Mal verliebt. Das Mädchen, es hieß Sophia, wollte mit ihm auf eine große Party gehen. Es sollte viel Alkohol fließen und meine Eltern wollten es ihm verbieten. Aber Fabian ließ sich nicht davon abbringen und ging mit ihr hin. Ich weiß noch wie meine Mutter in dieser Nacht weinend zusammenbrach. Fabian lag drei Monate im Koma, seine Freundin war jeden Tag bei ihm. Später sagte Fabian zu mir, dass er an diesem Abend glücklich war weil es der schönste Tag in seinem Leben war, den er mit dem schönsten Mädchen verbringen durfte. Er meinte er würde es immer wieder riskieren, denn Glück gewinnt man manchmal nur durch Risiko. Ich weiß nicht warum ich dir das jetzt erzähle, aber die Situation mit Mark war so ähnlich. Und ich hoffe mein großer Bruder wäre stolz auf mich, wenn er von diesem Tag wüsste. Ich weiß nicht, bist du gläubig Bente? Wenn ja, kannst du Mark ja vielleicht in eins deiner Gebete einschließen. Vielleicht ist da oben ja wirklich jemand, der auf all die Sterne aufpasst. Auch wenn das ziemlich viele sind, auf die ein einzelner Mann aufpassen müsste. Wie lange du auf den nächsten Brief warten musst, weiß ich noch nicht. Lass dich überraschen. Bis demnächst

Liebe Grüße, dein Hendrik

A loveletter to the lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt