Kapitel 5 Wie ein Kind

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Es ist erstaunlich wie so wenige Worte etwas ändern können.
‚Hi, ich bin Liam Brown', habe ich gesagt.

‚Ava Brians', hat sie geantwortet und meine Hand geschüttelt. Dann begann sie zu lachen. Nicht laut oder lange aber sie lachte.
Am Ende dieses Tages haben wir ihre Tasche nicht gefunden aber dafür hat sich etwas gebildet, keine Freundschaft. Jedoch eine Bekanntschaft, eine Bekanntschaft welcher man Dinge anvertrauen kann. Sie zumindest.

Dies war vor vier Tagen, seitdem haben wir uns jeden Tag zufällig hier getroffen, in der Konzerthalle und gesprochen.

Manchmal war es bloss die bitte auf die Kabel gut aufzupassen, sie dürfen jaaa nicht durcheinander geraten. ‚Dann würde ich sie aber um perfektes Benehmen bitten, Ava Brians.' Es war bloss eine kurze Unterhaltung aber diese 10 Sekunden waren für ein Lächeln verantwortlich.

Heute jedoch habe ich sie noch nicht gesehen. Heute wird sie ein weiteres Konzert geben, in einer Stunde und ich habe sie noch nirgends entdeckt.

Bis jetzt zumindest.

Die Minuten vergehen und vergehen, keine Spur unserer Pianistin.

Die Hektik hinter der Kulisse wird grösser.

„Wo ist sie?", höre ich Julie immer wieder aufgeregt fragen, „Wo bleibt sie bloss?"
Niemand hat eine Antwort. Auch Michael ist nicht zu finden.

Und dann kommt Ava. 5 Minuten bevor das Konzert anfängt.
Eigentlich wird sie mehr vor die Tür, durch die sie gleich gehen muss, gezerrt.

„Hör auf, Ava! Du spielst, du musst!" faucht er. Versucht möglichst leise zu sein, man darf ja nichts mitbekommen, etwas was jeder schon weiss.

Er wartet weitere vier Minuten, still, beobachtend. Bis er verschwindet und eine Tochter mit glasigen Augen zurücklässt.

Ich weiss nicht was zu sagen ist oder ob ich überhaupt etwas sagen soll. Ich bin der letzte, der mit so einer Situation richtig umgehen könnte. Also unternehme ich nichts und lasse dieses Mädchen mit ihrem Schmerz alleine. Feige wie ich bin.

„Öffne die Tür"

Ich tue was Julie verlangt.

Ava tritt aufrecht durch die Tür hinaus, ohne mir einen Blick zu schenken.

Sie geht langsam zu ihrem glänzend schwarzen Flügel, dieses Mal ohne Geigenbogen oder weissem Kleid. Nein, heute ist alles schwarz.

Während ich den Boden wische und Ava so beobachte, auf diesem kleinen Bildschirm scheint es mir fast so als würde dieses Mädchen ihr Inneres freigeben. Sie scheint etwas unkontrolliert, nicht so wie letztes Mal. Letztes Mal als sie ein perfektes, fehlerfreies Konzert gab. Heute gefällt es mir besser, obwohl ich dachte dies würde gar nicht mehr gehen.

„Das kann nicht wahr sein!", hektisch läuft Michael die gleichen zehn Meter hin und her. „Dies war nicht der Plan. Es sind nicht die richtigen Stücke. Es sind gar keine Stücke."

Doch eigentlich schon. Es sind ihre.

Dieser Mann ist der Inbegriff von machtbesessener Businessmann, selbst wenn es um seine Tochter geht. Eine Tochter die gerade jetzt einen Vater bräuchte und keinen Manager oder Produzenten oder was auch immer er ist... Alles aber kein sorgender, liebender Vater. Geld, Geld und nichts Anderes zählt.

Manchmal ist es doch besser weniger zu haben.

Die Töne welche gespielt werden wechseln von schwer, verlassen und traurig zu einem Hauch von Liebe und Beisammensein welches jedoch wieder zerbricht. Sie spielt frei, ohne Noten, ohne Anweisungen. Sie spielt ihre Geschichte, ihre Emotionen. Alles scheint auf einem Silbertablett serviert zu sein um entweder von Kritikern zerrissen zu werden oder Anerkennung zu bekommen.

The Girl I LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt