Kapitel 11 Stimmen

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Die Sonne scheint hell am pur blauem Himmel. Die Wolken sind seit dem frühen Morgen verschwunden. So wie alle im Haus. Beschäftigt mit ihrem eigenen Leben.

Deswegen stehe ich wieder hier, vor einem gebrochenen Haus mit einer gebrochenen Frau. Hinter mir spüre ich die Blicke von dutzenden hier gebliebenen, Menschen, welche nicht das Glück hatten wie ich.

Mit jedem weiteren Schritt den ich in die Richtung des Hauseinganges mache scheine ich mich immer weiter zu entfernen von dieser Welt zu der ich einmal gehörte.

Vor wenigen Wochen noch habe ich nicht darüber nachgedacht was ich hier mache. Ich habe bloss einer Frau, meiner Mutter, den nötigen Respekt erwiesen und mich um sie gekümmert so gut es eben ging. Nur frage ich mich langsam ob es das wert ist.

Ich öffne die Tür, welche jedoch noch eine dritte Verriegelung an der Innenseite hat. Somit ich nur durch einen kleinen Spalt den Dreck am Boden sehen kann.

„Ich b...", bevor ich meinen Satz beenden kann verschwindet die verrostete Kette und die Tür springt auf. Als ich einen Schritt ins Haus mache schliesst sie sich wieder.

Ich sehe zur blonden Gestalt.

Und es ist eine Gestalt.

Ihre blonden Fäden hängen fettig in ihrem Gesicht. Sie ist noch magerer geworden, alles an ihr, selbst die gelb schimmernden Lippen. Als ob sie tatsächlich lebendig verschimmeln würde. Diese eisig blauen Augen, welche einmal vermutlich ihr ganzer Stolz waren, liegen tief in ihren Höhlen.

Ich kann mir vorstellen das sie vor vielen Jahren, 18 vermutlich, eine schöne Frau war aber das Leben hat sie zerbrochen, mein Leben.

Mein Leben welches so gar nicht wie ihres aussieht. Nichts. Nicht meine Familie oder Bildung. Selbst mein Aussehen ist das pure Gegenteil ihres.

Meine dunkelbraunen leichten Locken die ich versuche mit relativ kurzen Haaren zu verstecken aber trotzdem schaffen sie es immer mir ständig auf die Stirn zu fallen. Sowie meine kantigen Gesichtszüge mit meinen haselnussbraunen Augen und der grossen Statur. Wenn ich die ersten zehn Jahre nicht mit ihr gelebt hätte oder ihr begegnet wäre würde ich sie nicht meine Mutter nennen, würde ich sie nicht erkennen.

„Sieh mich nicht so an", in ihrer Stimme liegt Enttäuschung.

„Ich wünschte ich müsste nicht." Ich beschliesse ehrlich zu sein. Was habe ich zu verlieren? Was hat sie noch zu verlieren.

Eine 36-Jährige Frau schon am Ende ihres Lebens angekommen?

„Du musst nicht. Schau einfach weg", antwortet sie harsch. Mit einem Atem als ob sie ihre Zigaretten gegessen hat.

„Und du musst nicht so leben", ich bleibe ruhig. Einer von uns muss es doch.

„Was weisst du schon Liam?", fragt Janet. Mein Name ausgesprochen als hätte jemand anderes ihn ausgesucht.

Für einen Moment herrscht Stille. Ich beobachte sie bloss.

„Manchmal frage ich mich ob du überhaupt ein besseres Leben haben möchtest."

Heute ist kein guter Tag. Für keinen von uns.

„Für dich ist es einfach zu urteilen!", die sonst nur krächzende Stimme erhebt sich. Wie auch ihr ganzer Körper, sie macht sich gross. „Du, welcher ohne Probleme und ohne dafür zu arbeiten ein perfektes Leben geschenkt bekommen hast."

„Ich war zehn. Was hätte ich arbeiten sollen." Ich werde ungeduldig und verstehe es einfach nicht, verstehe sie nicht.

„Und jetzt datest du noch eine Millionärin." Ich sehe sie schockiert an. "Denkst du ich weiss es nicht? Denkst du ich wurde in den letzten acht Jahren zu dumm um Zeitschriften welche im Diner liegen gelassen werden zu lesen und um mein eigenes Fleisch und Blut zu erkennen." Manchmal würde es mich nicht wundern.

Als ob sie meine Gedanken lesen könnte brüllt sie: „Nein, bin ich nicht Liam!"

„Aber anscheinend um deine Stromrechnung zu bezahlen, das Haus einigermassen sauber zu halten oder dich verdammt noch mal zu waschen. Wer ist hier die Mutter Mom? Wer hätte auf wen aufpassen sollen? Wer hätte wen erziehen sollen?"

Ihr wutverzerrtes Gesicht löst sich auf und Trauer übernimmt dessen Platz.

Für die nächsten Minuten hört man wieder nichts, ausser die Fliegen welche sich im ganzem Haus erfreuen.

„Was waren deine Träume, Mom? Warum bist du bloss hier gelandet?" Ich kenne die Antwort, ich habe sie schon oft aus seinem Mund gehört aber sie hat es nie gewagt mir diese Fragen zu beantworten. Vermutlich, weil ich mich dann auch von ihr ungeliebt gefühlt hätte und genau dies wollte sie verhindern. Ja, es gab Zeiten da hat sie sich für mich eingesetzt aber diese Zeiten sind über acht Jahre her.

"Ich.. ich weiss es nicht", flüstert sie.

Ich schon.

"Doch, wir wissen es beide. Wir wissen beide das dein Leben ohne mich anders ausgesehen hätte. Und wir wissen beide das du dir wünscht mich weggegeben zu haben, vor 18 und nicht 8 Jahren. Wir wissen, dass du lieber um die Welt gereist und am schönsten Ort geblieben wärst um dort dein eigenes Restaurant zu eröffnen. Aber dann kam ich kleiner Bastard." Meine Augen werden feucht.

"Das sind seine Worte, nicht meine", schluchzt sie und wischt sich mit ihrer Hand die fliessenden Tränen vom Gesicht. Ohne Erfolg. Neue warten nicht lange auf sich.

Sie hat recht. Es waren seine Worte welche ich jeden Tag in meinen ersten sieben Lebensjahren habe anhören müssen. Wie schrecklich sein Leben doch ist und das bloss, weil ich geboren worden bin. Nur ist es nicht so einfach diese zu vergessen, wenn sie sich auch in meine Träume schleichen. Wenn ich sein Gesicht sehe, wenn ich in den Spiegel blicke.

Vielleicht sehe ich Mom nicht ähnlich, dafür umso mehr ihm. Leider Gottes oder wer auch immer dafür verantwortlich ist.

"Ich versuche dir doch nur zu helfen. Aber es klappt nicht. Kannst du dir nicht vorstellen wie frustrierend das für mich ist?" Den Teil über den ich meine Familie wegen ihr anlügen muss verberge ich. Aus zwei Gründen. Janet würde es hassen aus meinem Mund zu hören das ich eine neue, bessere, Familie habe und diese auch als solche ansehe und wegen dem lügen. Sie hat mir immer gesagt ich solle nicht lügen. Dass man mit Ehrlichkeit am weitesten im Leben kommt.
Man sieht ja wo sie gelandet ist.

Ihre Lippen zittern als ob sie etwas sagen möchte aber die Worte dafür nicht findet. Also gibt sie auf und lässt die letzten Tränen ihren Körper runter kullern.

"Ich stelle dir was ich für dich mitgebracht habe in die Küche. Nichts muss kühl gelagert werden." Was auch ziemlich unmöglich ist weil ich denke die Stromrechnung wurde immer noch nicht bezahlt.

"Das nächste Mal kannst du Sachen für den Kühlschrank mitbringen. Die Rechnung habe ich bezahlt", sind die letzten erschöpften Sätze bevor sie sich in ihr Zimmer verkriecht.

Das ist doch schonmal ein Anfang.

Ohne weiteres verschwinde ich aus dem muffelnden Bungalow, schliesse die Türen doppelt, setzte mich auf meine Maschine und düse los. Unter den mich verfolgenden Blicken der Nachbarn.

The Girl I LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt