Kapitel 1 - fero

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(PoV Jako)

11.01.2017

Ziellos schlich ich durch das Dorf auf dem Weg irgendwo ins nirgendwo. Völlig gedankenverloren starrte ich zur Klippe, welche sich vor mir auftat. Ich seufzte, während mein Gang allmählich zielstrebiger wurde. Wissend mich genau auf diesen einen, großen Stein zu setzen.
Mein Körper gehorchte meinem Kopf und umgekehrt. Also setzte ich mich langsam hin, den Blick stets Richtung Schlucht gerichtet. Es schien als wären meine Gedanken mit dieser Schlucht gemein.
Genauso dunkel.
Genauso leer.
Genauso riesig.
So wirklich konnte ich meine Gedankengänge nicht zuordnen. Eigentlich konnte ich so etwas noch nie wirklich gut. Wie immer verdränge ich die Gedanken, doch heute scheint es wohl nicht so wirklich klappen zu wollen. Immer mehr bedrückt mich dieses Gefühl des anders seins, das Gefühl des verboten seins, so wie ich bin. Ich traue mich nicht mit anderen darüber zu reden. Zu groß ist meine Angst. Also verkrieche ich mich in mein Bett und hoffe, dass diese Gedanken schon von alleine irgendwie wieder weg gehen. Vater ist wie jeden Tag draußen im Wald. Was er dort macht weiß ich nicht. Es ist ja seine Sache.

(PoV Naome)

Der Tag war gekommen

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Der Tag war gekommen. Zu lange habe ich geduldet, wie Levi Jako belog. Zu lange duldete ich seine Boshaftigkeit. Zu lange habe ich es geduldet, dass Levi Böses plante. Um jeden Preis wollte er Jakos Macht. Die Macht, die alles Retten könnte. Die Macht, mit welcher er alles und jeden beherrschen kann. Woher ich das alles wusste? Ich bin die Tochter von Token. Zu dem Zeitpunkt lernte ich, wie man das Leben jedes Einzelnen sehen konnte. Von Anfang bis Ende.
Vater sagte mir, dass ich später seinen Posten übernehmen würde.
Und als wir das Leben sahen war es das eines besonderen Menschen. Nämlich das von Jakob.
Vater verbat mir etwas dagegen zu unternehmen, doch ich konnte nicht einfach Jakobs Untergang hinnehmen. Ich wollte es auch nicht einfach hinnehmen. Es war mir zwar strikt verboten, doch konnte ich nicht anders. Also pirschte ich mich mit leisen Schritten an Levi ran.
Umringt von Witness. Doch auch die Blicke derer störten mich nicht.
Mit konzentriertem Blick schoss ich sauber durch Levis Brust, welcher daraufhin zu Boden sank.
Zufrieden ging ich zurück zum Stamm und setzte mich in meine Unterkunft.


(PoV Jako)

Mein Blick war starr an die Decke gerichtet, als ich bemerkte wie jemand meine Unterkunft betrat. Stumm blickte ich die Stammesälteste an. Vater war noch immer nicht zurück gekehrt. Ich fragte mich schon eine Weile wieso es so war, immerhin war er noch nie so lange fort gewesen. Der Blick der Stammesältesten verhieß nichts gutes. Auch, dass sie ihre Maske abnahm, ließ mich nichts wirklich gutes ahnen. Zum ersten Mal sah ich die große Narbe, die quer über ihr Gesicht verlief. Sie ist rot und erstreckt sich in einer ungewöhnlichen Breite über ihr sonst sehr faltiges Gesicht. Mit ernstem Wort begann sie zu sprechen.

„Jakob, dein Vater", begann sie leicht zögerlich, „er wurde ermordet."
Nachdem sie das aussprach, entglitt mir jegliche Mimik aus meinem Gesicht.
Zur Verdeutlichung des ganzen kniete sie vor mir nieder, um ihr Beileid zu bekunden. Ich biss mir auf die Lippe. „Wer?", zischte ich wütend. „Naome", antwortete sie ebenfalls so knapp, wie ich fragte. Von Wut und Ungläubigkeit geplagt, suchte ich sie auf. Als ich sie fand, sah ich sie mit bösem und fragendem Blick an. Sie nickte nur stumm und wagte es mich noch immer anzusehen. Selbst dann, als ich zu Boden sank und vor Trauer fast schon bewusstlos wurde.
Ich bekam nur noch mit, wie man mich hochhob und zurück in mein Bett verfrachtete, bevor die Schwärze mich endgültig einhüllte.
Einige Zeit später, es müssen wohl Stunden gewesen sein, erwachte ich wieder. Ich fühlte mich nicht mehr traurig, aber auch nicht glücklich. Eigentlich fühlte ich gar nichts mehr.
Irgendwo tief in mir fand ich Wut. Womöglich auf Naome, doch war es mir nicht erlaubt sie dafür zu strafen. Dies war einzig und allein die Aufgabe von Eris und Exile. Ich blieb liegen, mein Blick starr an die Decke gerichtet. Es war üblich, dass Hinterbliebene nicht zur Beerdigung eines Familienmitglieds mitkamen, um diesen nicht noch mehr mit Qualen der Trauer zu plagen. Sie konnten auch danach noch lang genug Abschied nehmen.
Wenig später kam jemand zu mir. Mein Blick war leer und ohne jegliche Emotionen. Auch er kniete nieder, um Beileid zu bekunden.
„Welcher Gott soll dir zur Seite stehen?" fragte dieser, noch immer kniend. Als Antwort zuckte ich nur mit den Schultern. Ich wusste es wirklich nicht. Er nickte nur und begleitete mich zum Grab meines Vaters. Das Kreuz, auf welchem der Name stand, entlockte mir ein Zusammenzucken meines Körpers, woraufhin ich erneut weinend zusammensackte. Etwas später spürte ich eine Hand auf meiner Schulter, welche mich erneut stark zusammenzucken ließ. Erschrocken fuhr ich herum und blickte in die kastanienbraunen Augen von Ama.
Mein Blick wurde wieder gleichgültiger und leerer. Stumm setzte er sich neben mich und blickte ebenfalls auf das Kreuz, welches das Grab von Levi aufzeigen ließ. Ich schüttelte mit dem Kopf. Ich wollte nicht mit ihm kommunizieren. Vielleicht konnte ich es auch nicht. Bei beidem wusste ich nicht wieso.
Zum ersten Mal seit langem sammelten sich wieder Tränen in meinen Augen, welche meine Sicht in einem unklaren Schleier erschienen ließen. Tropfen verließen meine Augen, welche den Bach in meinen Augen allmählich zu leeren schienen. Doch wenige Augenblicke später füllte sich dieser Bach wieder in meinen Augen.
Ich konnte einfach nicht glauben, dass dort, unter diesem Haufen an Erde, mein Vater lag. Levi lag. Er nicht mehr hier ist. Mit dem Tränenschleier in meinen Augen sah ich Ama an. Sanft ließ der Mann mit den weißen, gelockten Haaren seine Hand über meinen Arm streifen. Noch immer ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Das ist nicht wahr, oder? Das ist doch ein schlechter Scherz, nicht wahr Ama? Das ist doch wieder eine Schandtat von Pseudo, nicht wahr Ama?", fragte ich mit tränenerstickter Stimme. Sein Blick war fast schon mitleidig. Noch immer stumm schüttelte er seinen Kopf. Sein Blick ließ mich zusammen sinken. Aus den einzelnen Tränen wurden Tränenflüsse, welche unaufhörlich über mein Gesicht liefen. Ich schrie und weinte, sackte immer weiter zusammen, bis ich letztendlich zusammengerollt auf meinem Boden lag.
Wackelig stand ich auf und rannte. Ich rannte, als wäre es um mein Leben gegangen.
Das letzte an was ich mich erinnerte, war, dass ich erneut vor meiner Unterkunft zusammenbrach. Vielleicht war es, weil ich zu erschöpft war. Vielleicht lag es auch daran, dass mich das Momentane zu zerfressen schien.
Die letzten Wochen und Jahre gestalteten sich nicht anders. Mein Tagesablauf bestand daraus, immer mehr in mich zu versinken. Ich ahnte nicht, in welch tiefes Loch ich fiel. Zu sehr plagte mich der Verlust des Menschen, der mich stets oben hielt, wenn es mir nicht gut ging und sich stets um mich kümmerte. Doch nun hatte ich niemanden, der mir wirklich helfen konnte.
So sehr es die anderen Bewohner auch versuchten, sie schafften es nicht. So sehr auch ich es wollte. Ich schaffte es nicht.
Alles fühlte sich gleich an. Äußerlich, sowie auch innerlich. Leere erfüllte meinen Geist und meinen Körper. Auf eine gewisse Art und Weise genoss ich es und schien mich mehr und mehr daran zu gewöhnen.
Geburtstage anderer und meiner selbst feierte ich nicht mehr.
Für mich gab es keinen Grund mehr Spaß zu haben. Genauso gab es nichts mehr, was mich noch in diesem Dorf hielt. Obwohl ich dieses Dorf fortan nun führen sollte, wollte ich gehen. Etwas neues sehen, erleben, fühlen. Es schien unwahrscheinlich, dass mir je noch etwas gutes widerfahren sollte. Doch wollte ich stets alles offen halten, versuchte den letzten Funken Hoffnung in mir lebendig zu halten, auch, wenn es nur ein winzig kleiner Funken war.
Eine mir unbekannte Macht schien mich davon abzuhalten das endgültige Ende zu bekunden.
Ein Tag nach meinem achtzehnten Geburtstag beschloss ich loszuziehen. Fort zu gehen. Ungewiss, was mich erwarten würde. Ungewiss, ob ich je wiederkehren würde.
Ich packte das nötigste zusammen.
Etwas Essen und Trinken musste genügen um durchzukommen. Hier hielt mich nichts mehr.
Also ging ich in der Nacht los. Ohne ein Sterbenswörtchen des Abschieds.

Jar's ScarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt