Kapitel 2 - infirmitas

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(PoV Jako)

Der Weg durch diesen, in der Nacht recht düster wirkenden, Wald schien mir wie eine halbe Ewigkeit. Ich lief und lief ohne Aussicht auf ein nahendes Ende. Immer wieder erblickte ich vereinzelte Witness.
Sie strahlten in verschiedenen Farben, doch waren deren Blicke gefüllt von Skepsis.
Ob sie mir gegenüber skeptisch waren konnte ich nicht deuten, weshalb ich versuchte, sie einfach zu ignorieren. Hin und wieder liefen mir erneut stumme Tränen über mein Gesicht und leise Schluchzer verließen meine Kehle, welche in dem Wald immer und immer wieder ein Echo verursachten. Ich spürte sehr wohl die Blicke der, sonst so friedfertigen, Kreaturen auf mir liegen. Die vereinzelten Versuche sie zu ignorieren gelangen mir eher mäßig. Mittlerweile war mein Kopf nun gesenkt. Einerseits um ihnen Respekt zu zollen, aber auch um einfach nur zu sehen, was vor mir auf dem Weg lag. Denn so friedlich es auch klang, war der Wald doch voll mit Gefahren, die nur so auf ihr nächstes Opfer warteten. Erschöpft ließ ich mich an einem großen Baum nieder. Die Beine eng an meinen sonst eher dünnen Körper angewinkelt und döste so etwas vor mich hin.
Wieder einmal dachte ich nach. Dachte über mich und meine Vergangenheit nach. Es war richtig diese Entscheidung getroffen zu haben. Irgendwie muss ich aber diesen Schmerz in meinem Herzen beseitigen. Er durfte nicht länger ein Teil von mir sein. Ich musste ihn vergessen. Irgendwie. Ich versuchte mich auf den Funken in mir zu konzentrieren. Der Funke, der mich neugierig machte, auf das was sich außerhalb des Stammes verbirgt. Zwar kannte ich die Welt nur von dem Hörensagen, aber vielleicht war es das was mich dorthin zog. Seine unsichtbaren Hände nach mir ausstreckte und mich mitzureißen schien.
Entschlossener als zuvor stand ich auf. Es erschreckte mich etwas. Woher hatte ich plötzlich diese Entschlossenheit die nun meine Trauer und meinen Schmerz in den Schatten stellte?
Vereinzelt begegneten mir Witness, welche in einem zarten Blauton schimmerten. Ihr Blicke waren nach wie vor gefüllt mit Skepsis. Weiterhin versuchte ich ihren Blicken auszuweichen, sie bloß nicht anzusehen, mich bloß nicht von diesen beeindrucken, oder gar verängstigen zu lassen. Doch dann war dort ein einziger Witness, das seinen Blick nicht von mir abwandte. Mit seinen leuchtenden Augen wirkte er bedrohlich, doch sein Heulen klang so viel reiner, als das eines Wolfes. Mit direktem Blick sah er mich an, verfolgte mich auf Schritt und Tritt.
Mein Gang wurde schneller als vorher, fast schon automatisch. Welchen Fehler musste ich begangen haben? Ich hatte nur Geschichten der Witness und deren Macht gehört.
Mit genauem Blick musterte er jede einzelne Bewegung von mir. Seine Arme waren für seinen Körper viel zu lang, und seine Beine viel zu kurz, wodurch seine Arme auf dem Boden schliffen.
Ein leuchtendes Glühen war zu erkennen, als einer der wenigen Blicke aufeinander trafen.
Scheinbar war er neugierig, doch schien er sich nicht aufs Geringste nähern zu wollen.
Doch eines der anderen vor mir, war wohl eher darauf gesinnt mich näher zu betrachten und setzte leise schnaubend den Gang in meine Richtung an. Ein kurzes, aber bestimmtes Fauchen ertönte in dem, von der Nacht ummanteltem, Wald. Daraufhin verstummte alles wieder und der Witness vor mir war verschwunden. Ich tat, als würde ich sie nicht bemerken, oder ich versuchte es zumindest. In Wirklichkeit aber, bekam ich jedes Detail mit erschreckender Faszination mit. Sie beängstigenden mich nicht mehr, viel mehr lösten sie auf mich eine Faszination der Wesen gegenüber aus. Eigentlich wollte auch ich sie mir näher ansehen, doch dann traute ich mich wieder nicht. Immer wieder hörte man hier und da ein Heulen und daraufhin ein Fauchen als würden sie sich streiten. Hinter mir ertönten Schritte, laut, aber auch gedämpft, welche näher kamen. Es wurde still unter den Baumkronen und ein Brummen ertönte hinter mir. Kurz darauf legte sich eine große, recht langgliedrige Hand auf meine Schulter. Erschrocken fuhr ich herum und die Angst in mir schien meinen Körper mehr und mehr zu erfüllen, bis ich in die Augen des Wesens sah. Seine Augen leuchteten noch immer blau. Kein tiefes, mehr ein sanftes, helles blau. Eine Pupille war nicht zu sehen. Vielleicht war sie auch durch das Leuchten bedeckt.
Eine gefühlte Ewigkeit starrten wie uns gegenseitig an. Es klagte nicht, und auch sprach es nicht, doch merkte ich, dass es nicht glücklich mit der Situation war. Warmes Licht begann um mich zu gleiten und zu tanzen. Mit einer Faszination versuchte ich es zu erhaschen, zu berühren, es zu fühlen, doch mehr als hindurch zu fassen schaffte ich nicht, obwohl selbst das offensichtlich schon reichte, um eine gewisse Wärme in mir auszulösen. Kurz vergaß ich den Schmerz, die dunklen Erinnerungen die mich Tag für Tag plagten, ich war wie in einer anderen Welt eingetaucht.
Doch da war noch etwas anderes in der Aura des Wesens. Etwas, was ich nicht deuten konnte und doch sagte mir diese Aura, dass etwas anders sein würde. Ich wusste nicht, ob besser oder schlechter. Nur, dass es anders sein würde. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, wurden die Strahlen mehr, tiefer, undurchdringlicher. Ich sah nichts mehr vor mir, außer blau. Überall wo ich hinblickte, alles war in diesem blau eingefärbt. Ohne jegliche Formen.
So langsam begann ich gar nichts mehr zu spüren. Weder Trauer, noch Freude. Weder Angst, noch Mut. Absolut nichts als Leere. Vollkommene Leere. Kurz wurde es noch einmal wohlig warm bevor mich der schwarze Schleier auf meinen Augen einnahm und meine Erinnerungen verschwammen.

Jar's ScarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt