Not a human [Checkpoint Dunes]

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Sie stehen dort, in den wogenden Massen an Menschen.
Menschen, die hinein wollen in die U-Bahn und heraus.
Menschen, die es eilig haben.
Nur die beiden stehen hier, ein Ruhepol in der ganzen Hektik.
Eine U-Bahn fährt los, die nächste kommt an.
Menschen steigen ein, Menschen steigen aus.
Und die beiden stehen hier an dem Geländer, der eine mit dem Rücken dagegen gelehnt, der andere schräg hinter ihm mit den Armen aufgestützt.
Sie sehen sich in der Menge um, mäßig interessiert.

Sie sind so ahnungslos, Felix.

Ich weiß, Jako. Sie sind dumm.

Nein, nicht dumm... naiv. Egoistisch vielleicht. Aber nicht dumm.

Natürlich sind sie dumm, Jako. Es sind Menschen.

Nein, sie... sie können fühlen. Kannst du fühlen?

Natürlich nicht. Du auch nicht. Wie auch? Wir sind nicht sie.

Wenn sie es wüssten... Die Wahrheit wüssten... Wären sie dann wie wir?

Nein...
Das heißt, vielleicht.
Sie lieben und hassen, sie lachen und weinen, sie atmen... sie leben.
Ich habe keine Ahnung, ob die Wahrheit das alles auslöschen kann.

Und wenn es so ist? Wenn dieser eine Augenblick sie alle... ihr Menschsein auslöscht? Ihr Leben ist so zerbrechlich...

Nein, Jako! Hör auf!

Womit?

So zu denken. Das ist nicht gut für dich.

Warum? Warum, Felix? Warum ist es nicht gut für mich?
Felix, antworte! Bitte!

Hör auf.

Womit?

Fragen zu stellen.

Warum?

Lass es einfach.

In Ordnung...

...

Jako?

Ja, Felix?

Ich habe nachgedacht.
Es ist zu spät, fürchte ich.

Ich habe auch nachgedacht, Felix.
Du glaubst, ich werde wie sie.
Durch mein Mitleid.
Meine Verzweiflung.
Meine Neugier, meine Fragen.
Du befürchtest, ich werde zu einem von ihnen.
Aber Felix... Wir können die Wahrheit nicht vergessen.
Und deshalb können wir nie wie sie sein.

Aber... Wie kannst du die Wahrheit kennen und trotzdem... Trotzdem fühlen?

Ich weiß es nicht.
Ich denke, wir sind nicht mehr das, was wir einst waren. Aber wir sind auch keine Menschen. Wir sind mehr...

Du bist mehr.

Nein, Felix: Wir.
Ich weiß, du verdrängst alles. Doch tief in deinem Herzen ist etwas.
Deine Furcht hat dich verraten.

Meine Furcht?

Deine Furcht um mich.

Aber... Wir können nichts fürchten! Wir haben keine Angst vor oder... um etwas.

Die Menschen sagen, sie haben Angst um die Dinge, die sie lieben.

Ich weiß, was die Menschen sagen! Und es gefällt mir nicht!

Sicher?

Tu deine Hand da weg, Jako.

Warum? Warum darf ich meine Hand nicht auf dein Herz legen?

Ich mag es nicht.

Siehst du? Du lügst sogar schon wie einer von ihnen. Dein Herzschlag verrät dich, Felix.

Nimm die Hand weg.

Nein.

...

Was machen wir denn nun, Felix?

Was meinst du, Jako?

Wir stehen hier, sind weder das eine noch das andere...

Wir gehen unseren eigenen Weg. Gemeinsam.

Nun hast du ja deine Hand an meinem Herzen.

Ich will nur sichergehen, dass du es auch fühlst.

Das tue ich, Felix. Schon immer.

... Ich weiß.

Lass uns gehen.

Ich liebe dich, Jako.

Ich liebe dich auch, Felix.

Sie stehen dort, die Hand am Herzen des anderen, sich tief in die Augen blickend.
Dann gehen sie, scheinbar in stillem Einvernehmen, die paar Meter zur Kante.
Die U-Bahn hält. Die Türen öffnen sich zischend. Und sie verschwinden darin.
Für immer.




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*Leave this here and walk back slowly*

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