👑 Die Nacht der Könige 👑

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Schon früh stand Ayla auf, zwei Stunden vor Sonnenaufgang, und schaffte es trotzdem nicht, ihre langen Haare zu pflegen. Sie hatte ein einfaches weißes Kleid an, darüber einen schlichten, grauen Umhang und ihrem königlichen Fellmantel. Sie hatte sich geweigert, ihn im Palast zu lassen. Denn ihre Mutter wollte mit einem Eindruck von reisenden, armen Händlern Überfälle auf die Karawane verhindern. Aber Ayla protestierte entschieden gegen ihre Entscheidung und so gab Mutter es bald auf.
Ein Ruck ging durch die Kutsche, als sie losfuhr. Solch eine primitive Reise war die Königstochter gar nicht gewohnt, und sie schlug heftig mit dem Kopf an das Gepäck hinter ihr.
"Aua!", quiekte sie auf und tastete nach Blut, doch ihre Mutter schlug ihr die Hand weg.
"Eine Prinzessin jammert nicht!", fuhr die Mutter Sophia ihre Tochter an.
Da biss Ayla die Zähne aufeinander und kein Ton kam mehr über ihre Lippen.

Es wurde schon dunkel, da holperte die Karawane noch immer über unebene Wege, scheinbar mitten im Nirgendwo. Missmutig kaute Ayla auf einer getrockneten Pflaume herum. Warum waren sie so weit abseits von jeglicher Zivilisation? Wollten sie etwa die Nacht im Freien verbringen? Angeekelt verzog Ayla das Gesicht. Dies hier war immerhin die Königsfamilie! Der konnte man sowas doch nicht zumuten! Ayla verzichtete darauf, den Kutscher darauf hinzuweisen, dass er schneller fahren sollte, denn sie sah bereits, dass die vorderen Reiter ihre Pferde gebremst hatten. Eilig stiegen sie ab und luden das eingepackte Feuerholz ab, um ein großes Feuer zu machen. Ayla war verwirrt.
"Warum machen sie ein Feuer? Die Nacht ist uns doch Schutz genug", erkundigte sie sich naiv.
"Ach Ayla-Schatz", seufzte die Mutter, strich ihr über die ordentlich gekämmten Haare und reichte ihr die Hand zum Absteigen von der Kutsche. "Die Dunkelheit mag uns vielleicht vor fremden Blicken schützen, aber Wölfe hält sie nicht ab."
Kommentarlos ergriff Ayla die Hand ihrer Mutter und ging mit ihr nach vorne, dort, wo sie das Holz aufschlichteten. Hinter ihnen erkannte Ayla die schemenhaften Silhouetten der Bäume. Es gruselte sie, als sie an die Geschichten dachte, in denen die Bäume Ohren und Augen hatten und so manch guten Edelmann erschlugen.
Dankbar nahm sie die Decke entgegen, die ihr jemand reichte. Sie fröstelte, obwohl es noch nicht einmal Winter war. Doch die Nacht war kalt und dunkel, kälter, als es sich Ayla vorgestellt hatte.
In der Nacht erwachte sie. Das Feuer war um die Hälfte geschrumpft und glühte nur noch vor sich hin, doch die Aufmerksamkeit der Wachen galt etwas anderem. Ayla vermochte nicht zu benennen, was sie geweckt hatte. Neben ihr in der Kutsche schlief ihre Mutter. Sie hatte ein königliches, ein friedlich schlafendes Gesicht. Plötzlich hörte sie einen Ast brechen. Verängstigt hob sie den Kopf. Bekam der Wald Beine? Sie erhob sich leise, kletterte von der Kutsche und duckte sich dahinter. Bestimmt waren dies die faulen Tricks von dunklen Magiern, die des Nachts gerne ahnungslosen Reisenden das Gruseln lehrten. Doch es waren keine Magiere, die im nächsten Moment aus dem Gebüsch brachen, es waren Wilde. Geschrei füllte plötzlich die leere Stille und Ayla machte sich klein. Die Wilden hatten bunt bemalte Gesichter und blutunterlaufene Augen. Ihr Herz zersprang fast in ihrer Brust, so schnell hämmerte es, flatterte wie ein gefangener Vogel. Sie hörte Kampfgerassel, wie wenn Metall auf Metall traf. Dann waren erstickte Schreie zu hören. Das Geschrei kam näher und Ayla drängte sich gegen die hölzernen Wagenräder. Auf einmal ertönte ein erschrockener Ruf. "Der König ist tot!" Ayla konnte die Stimme nicht zuordnen, doch dieser Ausruf war genug, um alles vor ihrem Auge verschwimmen zu lassen. Was sollte sie jetzt tun? Auf einmal ging alles ganz schnell. Die Pferde schrien getroffen auf. Hinter ihr hörte sie Mutter hilflos weinen. Ein dumpfer Schlag ließ ihre Stimme verstummen. Verzweifelt sprang Ayla auf und rannte los. Sie war blind in ihrer Angst und ignorierte die Schreie hinter ihr. "Bleib' hier, du entkommst nicht!"
Ein stechender Schmerz durchfuhr Ayla, als seine Schwertspitze ihren Arm aufschnitt. Sie schrie auf, stolperte und fiel hin. Ihr Verfolger baute sich vor ihr auf und holte aus, doch plötzlich kam ein Reiter und erstach ihn von hinten. Blut spritzte auf Aylas Gesicht und Umhang und sie verzog angeekelt das Gesicht. Dann hob sie dem Blick in Richtung ihres berittenen Retters. Es war so düster, da erkannte Ayla nicht, um wen es sich handelte. "Schnell, steh' auf!", rief er so drängend, dass die Prinzessin es ohne zu überlegen tat. Das Geschrei hinter ihr war fast verstummt und sie fühlte förmlich den Schatten im Rücken. Der Reiter packte ihren Arm und zog sie zu sich heran. Er packte sie unter den Achseln und bugsierte sie in eine sehr unbequeme Sitzposition auf dem Sattelzwiesel. Sie schrie auf, als sie spürte, wie ihr Kleid riss.
"Das könnt Ihr nicht machen! Ich bin die-"
Der Mann hielt ihr mit seiner Hand den Mund zu und trieb sein Pferd in den Galopp. "Das ist jetzt nicht mehr wichtig."

Obwohl sie im Jagdgalopp durch die Landschaft preschten, tauchten erst bei Dämmerung am Horizont die ersten Häuser auf. Sie hielten darauf zu und sobald sie die ersten Häuser erreichten, sprang der Mann hinter ihr vom Pferd und bremste es. "Daa."
Nun bei Tageslicht konnte Ayla seine Gesichtzüge besser erkennen und sie musterte ihren seltsamen Retter, dem sie wohl mehr blaue Flecke und Schürfwunden zu verdanken als er abgewendet hatte. Dieser Jemand hob sie vom Pferd. Er hatte hellbraune Haare, etwa schulterlang und trug die königliche Kutte, wie es nur Wächter des Königs taten. Oder besser getan hatten, korrigierte sich Ayla. Wer sollte jetzt regieren? Ihr kleiner Bruder lag in den Armen der Zofen im Palast. Er würde bestimmt nicht den Ton angeben können. Aber sie, die Königstochter war hier. Weit weg von ihrem Palast.
"Wohin reiten wir?", verlangte Ayla zu wissen. "Warum reiten wir nicht zurück zum Palast? Und wer seid Ihr überhaupt?" Ihre Stimme schraubte sich panisch in die Höhe.
"Ich bin Samail. Ich bin Diener im Palast des Königs", stellte er sich vor und blickte Ayla reglos an. "Wir können nicht zurück, denn die Banditen bleiben immer eine Weile an einer Stelle. Wir haben Glück, dass sie uns in der Nacht verloren haben."
Ayla zog die Stirn in Falten. "Aber ich bin die Thronfolgerin! Wir müssen zurück in meinen Palast!"
Er schüttelte den Kopf und machte sich am Sattel zu schaffen. Ohne den Blick zu heben, meinte er: "Ihr seid nicht die Thronfolgerin. Euer Bruder wird regieren, auch, wenn er noch zu jung zum Sprechen ist. Falls wir zurückkehren würden, könnt Ihr froh sein, wenn Ihr überlebt."
Überrascht schaute Ayla ihn an, während sie über den sandigen Boden zum Marktplatz liefen. "Wieso denn das? Ich bin doch die Prinzessin!"
Mit hochgezogenen Augenbrauen warf er ihr einen flüchtigen Blick zu. "Ja, das haben zumindest die Königin und ihre Zofen behauptet."
"Und was soll das bitte heißen?"

👑Drachenwinter👑 Der Aufstieg und der Niedergang einer KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt