Prolog: Großstadtjäger

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Die Abenddämmerung legt sich über das Diesseits. Noch immer werden die Straßen heimgesucht von den wenigen Menschen, deren Heimkommen noch in weiter Ferne liegt. Schritte klingen leer auf dem, in der Abendsonne gräulich funkelnden, Beton der Gehwege. Nur noch sporadisch ziehen Autos wie getriebene Nutztiere über den dunklen Asphalt. Die Stille herrscht im Angesicht des allmählich sterbenden Tages vor und kreiert eine beinahe apokalyptische Atmosphäre. Eine ungleiche Geräuschkulisse zum sonst blühenden Leben dieser eher doch verschlafenen Stadt. Die goldenen Sonnenstrahlen streichen sanft wie die Hände einer liebenden Mutter über die Dächer der höchsten Gebäude und leiten den Einbruch der nächtlichen Stunden ein.

Den Kontrast bildet der Mann, der sich wie ein Wolf im Schafspelz unter die wenigen Passanten mischt. Einem Schatten gleich zieht er durch die, durch den Sonnenuntergang in goldenes Licht getauchten, Straßen. Ein Löwe, der sein Revier misstrauisch beäugt. Niemand soll sich ihm in den Weg stellen – die Konsequenzen, die daraus hervorgehen würden, wären nicht unbedingt schön anzusehen.

Das Raubtier setzt seine Schritte, nahezu ohne einen Ton zu erzeugen, der auf ihn aufmerksam machen könnte, auf dem immer dunkler werdenden Beton auf. Sein Schatten ist der letzte Begleiter, der ihm bis dahin geblieben ist und auch der einzige, der seine Seele in all ihrer Leere und Schwärze widerspiegeln kann. Stets ist er an der Seite des Mannes und wird mit den fortschreitenden Stunden immer länger, bis die schemenhafte Silhouette bald schon über die Straße hinweg reicht.

Vollkommen ruhig hebt und senkt sich die Brust des Mannes durch seine tiefen gleichmäßigen Atemzüge. Er muss ruhig bleiben. Durch die allmählich abkühlende Luft verdichtet sich sein Odem zu feinem Nebel, der seine Sicht für nur wenige Momente undurchlässig werden lässt, ehe die kleine Atemwolke sich mit der Zeit verflüchtigt.

Beinahe lautlos patrouilliert der Mann durch die Stadt. Seine Stadt. All dies hier ist sein Besitz. Jedes Haus, jede Straßenlaterne, jeder Quadratmeter des Asphalts oder Grases. Und nicht einer wagt es, ihm sein Eigentum zu entreißen. Der kühle Blick des Mannes schweift über die schemenhaften Umrisse der Hauskolosse, die ihn wie alte Freunde umringen. Das alles gehört ganz allein mir.

Dieser eine Gedanke fließt wie eisiges und doch wohltuendes Wasser durch seinen Kopf und wiederholt sich einige Male, bis er abrupt verstummt. Der Löwe ist die Ruhe selbst. Nichts kann ihn in diesem Moment aus der Fassung bringen. Zu sehr ist der Mann mit seinen Plänen beschäftigt, die ihn voll und ganz vereinnahmen. Sein Kopf steht kurz vor dem Platzen, so sehr drängen sich die Massen an Ideen in seinem Verstand dicht an dicht. Der Tatendrang erfüllt das Innerste und treibt die Schritte immer schneller voran, ohne noch Rücksicht auf die doch von Anfang an eher spärliche Deckung des Mannes zu nehmen.

Geräusche, die unmöglich von ihm selbst stammen können, dringen an seine Ohren und lassen ihn aufhorchen. Das unverkennbare Klackern von hochhackigen Schuhen auf unnachgiebigem Untergrund hallt von den grauen Fassaden der Häuser wider. In Sekundenschnelle verschwindet der Löwe hinter einer hervorstehenden Häuserecke.

Die Schatten sind ihm schon immer das liebste Versteck gewesen.

In recht gemächlichem Tempo nähert sich die Frau seiner Position; vermutlich hat sie es nicht eilig nach Hause zu kommen. Die Augen des Mannes schließen sich. Seine weiße Maske, die wie eine zweite Haut auf seinem Gesicht sitzt, schabt nahezu lautlos über die Betonwand in seinem Rücken, als der Mann beginnt im Takt ihres Schrittes zu nicken, um sich besser konzentrieren zu können.

Sie darf ihn nicht kommen sehen, da der Überraschungseffekt doch der reizvollste Teil dieser ganzen Unternehmung ist.

Sein ungeschriebener Plan geht auf, da die Frau, ohne den Mann im Schatten zu bemerken, weiterhin über den nun menschenleeren Gehweg stolziert, als wäre er ihre persönliche Bühne.

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