Diese kleine, zu nichts führende Jagd wird allmählich lästig. Jeder seiner Schritte muss so sorgfältig und lange im Voraus geplant werden, und doch ist alles so riskant, dass nur eine minimale Abweichung das Ende der gesamten Operation bedeuten könnte. Was hat Crow damals nur so sehr daran fasziniert? Es ist wohl eine Art Sucht gewesen – er ist abhängig von der Gefahr gewesen, womit er sie immer wieder gesucht hat. Einfach nur um seine Sinne zu berauschen, immer und immer wieder. In diesen Momenten sind dem Mann so viele Gedanken gleichzeitig durch den Kopf gegangen, dass er im selben Moment überhaupt nicht gedacht hat – sein Verstand ist zugleich auf Hochtouren gelaufen und abgeschaltet gewesen.
Doch die Krähe altert eben, wie alles andere Leben auf dieser Welt auch. So viele Jahre hat es ihn gekostet, zu seiner heutigen Erkenntnis zu kommen. Wohl eine gewisse Charakterentwicklung, die hier vorliegt. Wie könnte Crow sich auch nicht verändern, wenn sich doch auch alles um ihn herum stetig im Wandel befindet? Er wäre ein Narr. Ein unbelehrbarer Protagonist in einem drittklassigen Roman.
Und darum muss wieder etwas Neues her. Crows letzter Schritt in diesem elenden, wohl niemals endenden Tanz, wenn er nichts dagegen unternimmt, wird erst der Anfang dieses gigantischen Finales sein.
Seine Gedanken schweifen in unerreichbare Fernen. In dieser Gefilden entsteht ein Plan. Und erst als er vollendet ist, wird er noch einmal auf mögliche Lücken geprüft und für gut befunden, womit er später ausgeführt werden wird. Wieder lächelt Crow. Wie sehr ihm doch seine Planungen jedes einzelne Mal gefallen. Sie sind fast zu schade, um sie an die Menschheit zu verschwenden. Es grenzt an Eigenlob und Narzissmus, so zufrieden ist er mit sich. Aber wen kümmert es schon, ob der Blonde nun so denkt oder nicht? Wer sieht schon in seinen Kopf und verurteilt ihn für seine Gedanken?
Die Krähe macht sich auf den Heimweg. Dieser neue Plan muss sofort in die Tat umgesetzt werden. Eine Verzögerung würde seine Vorstellungskraft nur außer Kontrolle bringen und die ganze Konstruktion durch zu viele Zusätze zum Einsturz bringen. Diese simple Vollkommenheit würde durch übereifrigen Perfektionismus zerstört werden. Es ist dasselbe Prinzip wie beim Zerdenken einer bestimmten Sache: Zu viele Gedanken verändern die Sicht auf die gedachte Sache, bis sie schließlich den Gegenstand oder die Situation in ein schlechtes Licht rücken, und der Denkende eine tiefe Abneigung dagegen entwickelt.
Immer noch in Gedanken versunken, wandert die Krähe durch sein leeres Haus und hat vor seinem inneren Auge eine Liste, die er abarbeiten muss, wenn alles perfekt sein soll. Eine Schaufel, Handschuhe, sein Aufnahmegerät und einige undurchsichtige Mülltüten ist alles, was er im Moment braucht. Es ist alles so simpel. Selbst sein Verstand fängt scheinbar allmählich an sich zu wandeln. Scheinbar denkt die Krähe nun doch wie eines dieser Alltagsmonster, die er so sehr verabscheut. Doch solange der Mann sich noch diesen kleinen genialen Teil seines Gehirns bewahren kann, ist alles bestens; er darf sich einfach nicht vollständig in die Masse einfügen. Denn dann wäre Crow nicht mehr außergewöhnlich und erst recht kein geborener Führer mehr.
Diese Gedanken schiebt er beiseite, schnappt sich die bereits genannten Utensilien und macht sich auf den Weg zu seinem ersten Zielort.
Damit führen ihn seine Beine zum örtlichen Friedhof. So oft ist Crow hier schon gewesen. Zwar nicht immer mit einer Schaufel und Müllsäcken bewaffnet, aber doch, um einfach die Menschen zu beobachten und sich potenzielle Gefährten auszuspähen, die er dann erst später, wenn alle gegangen sind und die Dunkelheit ihm den Rücken freihält, in Empfang nehmen kann. Es ist irgendwie ein seltsames Gefühl zu wissen, dass einige Angehörige hierherkommen, um um ihre Toten zu trauern, und doch eigentlich nur leere Gräber vollheulen, da der Tote seinen Weg längst wieder an die Oberfläche gefunden hat. Und wieder einmal ist die Krähe dafür verantwortlich. Schade nur, dass niemand jemals die Särge ausgraben wird, um nachzusehen. Doch wenn, würde zumindest etwas Spannung in sein Leben treten.
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Post Mortem
Mystery / ThrillerWie mordet man, sodass alle Welt es mitbekommt, aber doch niemand den Täter kennt? Seit fünf Jahren macht dieser Mann dasselbe. In unregelmäßigen Abständen verschwinden Leute und tauchen einige Zeit später als Leichen wieder auf, die er immer wieder...