Kapitel 10: Blinder Gehorsam

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Regungslos verharrt Curtis vor der nun wieder geschlossenen Kellertür und denkt über die nächsten Schritte seiner lang ersehnten Befreiung nach. Viel zu lange hat er gewartet. Was hat ihn nur aufgehalten, endlich losgelöst zu sein? Sein Vater. Alles ist die Schuld seines Vaters. Hätte der Oberst seinen treusten Soldaten nicht einfach vergessen, hätte all dies nie passieren müssen.

Der Gedanke an vollkommene Freiheit macht dem Bestatter noch immer Angst. Sein bisheriges Leben ist so einfach gewesen, da er nicht wirklich selbst über seine Meinung und seine Taten hat nachdenken müssen. Alles war vorbestimmt und in einem Script niedergeschrieben, das sein Vater verfasst hat. Curtis musste sich nur noch an dieses halten. Und es hatte diesen einfältigen Narren Mal um Mal gefallen. Doch nun ist er allein. Niemand ist mehr da, um ihm die Worte ins Ohr zu flüstern, die er dann nur noch nachsprechen muss. Diese Art von absoluter Freiheit hat er nie für sich gewollt.

Hinter sich hört der Dunkelhaarige die Haustür auf- und zuschlagen. Doch anstatt sich umzudrehen, erstarrt Curtis einfach nur, geschockt von der Präsenz, die sich wie ein Schatten im Raum ausbreitet. Mit dem ersten Sonnenlicht des neuen Tages im Rücken betritt die Krähe das Haus des Bestatters. Die Luft scheint zu Wasser zu verdicken, womit Curtis die Luft wegbleibt und er einfach aufhört zu denken.

Eine warme, raue Hand legt sich auf Curtis' knochige Schulter. Leise dringt das fast schon verhaltene Kichern der Krähe an die Ohren des jungen Mannes, während seine Schulter beinahe schon massiert wird, so wie sich der Griff um diese immer wieder abwechselnd lockert und festigt.

»Ich habe mich also wirklich nicht in dir getäuscht«, gluckst die Krähe belustigt. Mit immer mehr Druck greifen seine Finger in den schmalen Körper des Bestatters. Diesem kommt es vor, als würde dieser flügellose Vogel seine Tod und Verderben bringenden Krallen in sein nächstes Opfer schlagen. Jedoch erheitert dieser Gedanke Curtis eher, als dass es ihn verängstigen würde. Aus irgendeinem unbestimmten Grund glaubt er zu wissen, dass die Krähe ihm keinerlei Schaden zufügen wird, solange er ihm nützlich erscheinen wird. Also wird der Bestatter einfach dafür sorgen, dass er für seinen neuen Oberst unabdingbar wird.

Der Maskierte hört abrupt auf zu kichern und fährt mit eiserner Ernsthaftigkeit fort: »Aber du hast alles andere als gut gearbeitet. Mal wieder. Du scheinst immer noch nicht verstanden zu haben, dass die Welt weder nur aus unterbelichteten Dummköpfen besteht, noch bist du für die anderen unantastbar. Wenn du immer wieder so offensichtliche und unnötige Spuren hinterlässt, werden sie dich früher oder später finden.

Doch noch schlimmer ist, dass sie dann auch mich finden könnten. Und das sollte für dich die oberste Priorität sein. Du bist meine Trumpfkarte. Wenn ich gefasst werde, kannst du mein Werk weiterführen. Und genau deshalb darfst du niemals das«, der Maskierte deutet auf die von blutdurchtränkte Couch, »oder das«, sein Finger wandert schnell hin zu Kellertür, »einfach unbeachtet lassen.« Das zuvor milde Lob ist nun in brennende Wut umgeschwungen. Die Krähe scheint seine Emotionen zu wechseln wie der moderne Mann seine Sexpartnerinnen. Bei diesem Vergleich unterdrückt Curtis ein kleines Auflachen, um sein Gegenüber nicht noch unnötig zu provozieren.

Doch auch der letzte Anflug von Belustigung verfliegt, als der Dunkelhaarige sich zu dem seltsamen Mann umdreht und durch die Maske hindurch in dessen glasklare Augen blickt. Diese blitzen bedrohlich auf und Curtis meint nicht nur Wut, sondern auch Angst darin zu sehen. Der Maskierte wirkt wie ein in die Ecke gedrängtes Tier, das um sich treten und beißen wird, bis alles in Schutt und Asche liegt, was ihn bedrohen könnte. Curtis' einziger Zweck ist es dann, die Trümmer, die auf diesem Pfad der Zerstörung zurückbleiben werden, wieder aufzubauen und so aus all dem Schmutz etwas vollkommen Neues zu kreieren.

Ein weiteres Mal muss der junge Mann sich zurückhalten, um nicht lauthals loszulachen. Ich interpretiere mehr in diese Beziehung als ich sollte, kommt es ihm innerlich kichernd in den Sinn. Für gewöhnlich sind meine Gedanken ja nicht so ... tiefgründig.

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