Der Umzug

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"Wir müssen, Kira!"
Meine Mutter, die unten in unserem großen Flur steht, ruft mich lauthals. Nagut, in "unserem" ehemaligen, großen Flur. Wir ziehen nämlich um. Jap. Wir, die Mitchell's, ziehen um. Eigentlich passt das gar nicht zu uns. Wir wohnen in diesem Haus schon seit vielen Generationen, und nun... Nun ziehen wir ganz spontan mal eben ans andere Ende von Amerika. Einfach so. "Wir wollen doch auch mal was Neues sehen, oder Peter?", hat meine Mum nur gesagt, und mein Dad hat nur genickt. Was soll er machen? Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist diejenige in ihrer Beziehung, die den Ton angibt. Mein Vater trottet ihr wie ein ergiebiger Hund hinterher, in der Hoffnung, dafür wenigstens ein Leckerlie zu bekommen. Mary Mitchell ist eben ein dominanter Mensch. Also genau das Gegenteil von mir. Ich bin da eher meinem Vater ähnlich.
Ich bin dieses eine Mädchen, das im Klassenraum sitzt, sich nur meldet wenn das Ende des Schuljahres naht, und dann auch nur einzelne Wörter stammelt und rot anläuft.
Ich bin dieses eine Mädchen, das wenn es krank ist, keine Zettel nach Hause von einem Freund mitbekommt. Meist wird nicht einmal gemerkt, dass es fehlt.
Geht ja auch schlecht, so ganz ohne Freunde.
Das bin ich: Kira Mitchell, 1,67 groß, zu dünn, zu blass, zu braunäugig, zu dunkelhaarig, zu still, und wenn das nicht schon genug wäre, Brillenträgerin. Jetzt im Ernst: hätte ich keine dunklen Haare und Augen, wäre ich ein Albino. Mal wieder ganz im Gegensatz zu meiner Mum, die immer braungebrannt ist, obwohl hier, wo wir herkommen gefühlt nie die Sonne scheint. Benutzt sie Selbstbräuner? Ich weiß es nicht.
Und da wäre auch noch mein kleiner Bruder, Sam. Sam, ein kleiner nerviger 10-jähriger Besserwisser, der denkt er sei Einstein in Person, ist ganz wie meine Mum. Nur hoch zwei. Wenn nicht, sogar drei. Und er hat das Selbstbewusstsein eines Stiers. Natürlich jst er Mum's ganzer Stolz, das kann ich ihr auch nicht übel nehmen. Ich meine, wenn man einen hübschen Jungen wie ihn hat und mich, das Albino-Mädchen daneben stellt, ist es schon klar wer der Favorit ist, oder?
Wenigstens bin ich besser in der Schule. Schriftlich, natürlich.
"Kira Mitchell! Du kommst jetzt sofort nach unten! Der Umzugswagen wird nicht ewig auf unser Fräulein warten!"
Ich seuftzte. Warum müssen wir von hier weg? Ich mag keine Veränderungen. Es fällt mir schon schwer genug mich nicht in meiner jetzigen Schule zu verirren. Wie soll ich mich dann in einer neuen Schule und in einer neuen Stadt zurecht finden? Nur leider fragt mich ja keiner. Leider.
Ich seuftzte nochmal, und streiche noch ein letztes Mal über mein Bett. Entschuldigung, mein ehemaliges Bett.
Ich guckte ein letztes Mal aus dem großen Fenster, durch das man unseren ehemaligen Garten sehen konnte. Er wurde noch einmal gemäht für die neuen Besitzer. Ich weiß nicht einmal wie die Familie heißen wird, die hier einziehen wird. Wer wird in meinem Bett schlafen? Wer wird meinen Schreibtisch benutzen und hier Hausaufgaben machen? Werden hier überhaupt Kinder einziehen? Wird überhaupt jemand mein Zimmer als Schlafzimmer benutzen? Oder wird es doch eine Abstellkammer werden... Ich weiß es nicht, und werde es wahrscheinlich auch nie erfahren. Schade.
Ich schließe die Tür meines ehemaligen Zimmers. Sie quietscht immer an einer bestimmten Stelle. Ich rieche noch ein letztes Mal den Geruch unseres ehemaligen Hauses. Ein wenig modrig und abgestanden, aber auch alt und mysteriös. Ich mag das.
Ich mochte das.
Aber jetzt, jetzt werde ich mich an einen neuen Geruch gewöhnen müssen. Wahrscheinlich wird es nach Farbe, Tapetenkleister und sonstigen Chemikalien riechen. Neu, modern und... ungewohnt. Fremd.
Ich ging die Treppe hinunter und drehte mich noch einmal um.
Hier habe ich seit meiner Geburt gelebt. Hier habe ich meine Kindheit erlebt. Hier habe ich gelacht und geweint.
Doch jetzt hat das alles ein Ende. Ich werde, nein, wir werden umziehen.
Ich nahm meinem Koffer und machte unsere Haustür ein letztes Mal zu. Ich lud meinen Koffer hinten in den Kofferraum ein. Mein Vater war der einzige, der außer mir noch nicht im Auto saß. Er schaute nachdenklich auf unser Haus.
"Alles okay, Dad?"
"Ja, klar.", sagte er. Doch immernoch hatte er diesen nachdenklichen Blick in den Augen.
Er drehte sich zu mir um und umarmte mich. Das passiert nicht oft. Mein Dad und ich sparen uns sowas wie Körperkontakt. Wir wissen das wir uns lieb haben, und wir wissen das wir fast gleich sind. Das reicht uns. Und ich bin vollkommen zufrieden damit. Ich löste mich aus unserer Umarmung und stieg ins Auto. Mein Handy war voll aufgeladen und jetzt wird erstmal Musik gehört.

Doch als ich mir den Kopfhörer in das Ohr steckte und meinen Blick nochmal über das Haus, was nicht mehr uns gehörte schweifen ließ, war mir noch nicht bewusst, dass dieser Umzug mein ganzes Leben für immer prägen würde

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Doch als ich mir den Kopfhörer in das Ohr steckte und meinen Blick nochmal über das Haus, was nicht mehr uns gehörte schweifen ließ, war mir noch nicht bewusst, dass dieser Umzug mein ganzes Leben für immer prägen würde.

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