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Tagelang war ich willenlos durch die Straßen gewandert.
Mit schmerzen in der Brust und einem unglaublichen Drang, diesem Fremden wieder zu begegnen.

Doch immer wieder zog es mich woanders hin.
An traurige Orte mit vielen Lichtern oder auch nur mit ein paar.

Ich beobachtete die Szene vor mir. Orange-gelbe Lichter, die leidenschaftlich leuchteten, wie eine Kerze, die den Grad des gerade anzündens bereits lange überschritten hatte und nun eine volle Flamme zeigte.

Aber nicht alle davon sahen so aus.
Ich spürte ein Licht, das man noch nicht sehen konnte, aber es war bereits da, nur noch nicht auf dieser Welt. Doch die Welt, in der es sich noch befand, drohte zu erlöschen.

Das Lebenslicht der jungen Frau, die auf dem OP-Tisch lag und gerade unter starken Blutungen ihr Kind gebärte, flackerte stark und und war hell vor Erschöpfung.
Sie befand sich in einem Delirium, die Ärzte hatten sie in dieses versetzt, nachdem die Blutung immer schlimmer wurde und ihr Kreislauf zu kollabieren drohte.

Sie hatten ihn stabilisiert und sie unter starke Schmerzmittel gesetzt.
Doch ihr Lebenslicht flackerte stark und kämpfte ums Überleben. Trotz des fehlenden Sauerstoffs, dass es dafür benötigte.

Ihr Licht war nun komplett weiß, die Flamme hörte auf zu flackern.
Normalerweise ein gutes Zeichen, doch dieses mal nicht.

Die Flamme wurde kleiner und kleiner und schien ihre Energie an die Flamme zu senden, die es nun geschafft hatte in diese Welt zu gelangen.
Das Kind schrie, es war ein starkes Kind.
Mit einer sehr starken Flamme.

Es war ein tägliches Spiel. Eine Flamme erlosch, eine neue entstand.

Die Frau nutzte ihre letzte Energie, die sie durch ihren Geist aufnehmen konnte, um wenigstens einmal auf ihr Kind zu blicken, welches den schwierigen Kampf im Gegensatz zu ihr überlebt hatte.
Während ihr toter Körper dort lag, beugte sie sich behutsam über das Kind.
Mich konnte sie dabei nicht wahrnehmen.

Sie lächelte und legte behutsam eine Hand auf den Kopf des Kindes.
"Scheine stark, mein Leben.", sagte sie.

Ehe sie dahin schwand und nur noch ihr Körper und die Erinnerungen an sie auf dieser Welt zurückblieben.

Ich verließ diesen Ort, so schnell ich konnte.
Der Ehemann wartete bangend auf seine verstorbene Frau und das lebende Kind.
Sein Licht leuchtete noch kräftig genug, das Kind würde noch eine lange Zeit mit dem seinem Vater haben.

Ich hoffte es sehr.

Als ich aus dem Krankenhaus heraus war, war es bereits Nacht.
Die Mutter hatte sechs Stunden gekämpft, dieses neue Leben auf diese Welt zu bringen und am Ende musste sie ihres dafür geben. Um etwas zu erschaffen, muss man auch Opfer bringen, aber solch ein Opfer grenzte schon an Grausamkeit.

Sie war erst sechsundzwanzig Jahre alt gewesen, ich hatte ihr Geburtstatum auf ihrer Akte gesehen.
Ein viel zu früher Tod.

Es war nicht selten so.

Mit den Füßen auf dem Boden schleifend, lief ich durch die Straßen und hielt den Blick gesenkt.
Ich wollte die Lichter nicht sehen. Nicht wie kräftig sie schienen, nicht, wie sie flackerten, nicht, wie sie je nach Lebenskraft die Stärke der Farbe variierten und vor allem nicht, wie sie langsam in sich zusammenfielen und schließlich verschwanden.

Immer wieder fielen meine Gedanken zurück zu dem Ehemann. Ich malte mir aus, wie er reagierte, zutiefst traurig und in Gedanken an seine Frau, die ihm ein starkes Kind geschenkt hatte. Als Entschädigung für ihr frühes Entschwinden.
Wenigstens das.

Meine Füße steuerten mich durch die Straßen und ich war an meiner Lieblingsstelle angekommen, welche ich so sehr hasste.
Doch heute hatte die Brücke über dem Han-Fluss etwas beruhigendes an sich.

Ich sah keine Lichter, außer die der Brücke und das beruhigte mich wieder etwas.
Bis zur Mitte der Brücke lief ich, stellte meine Füße auf den unteren Rand des Geländers und sah einfach auf das schwarze Wasser, das von einem Lichtermeer umgeben war.

Voller Leben, aber für mich so unsagbar leblos.
Wenn man diese Lichter sah, vergaß man manchmal, welche Schönheit Licht in sich hatte.
Es konnte Trost spenden, wenn die Zeiten dunkel erschienen, jemanden einen Weg zeigen, den er nicht gesehen hatte, oder auch einfach die Angst vertreiben, die man Nachts verspürte, wenn man unter der Decke lag und nicht schlafen konnte.

Doch für mich war die Dunkelheit meist ein Freund. Das schwarze Wasser, welches mich nach all den verschiedenen Lebenslichtern, die ich sah, beruhigte. Das Gefühl, dass ich für mich allein war und nicht allein unter Menschen, die mich nicht wahrnahmen.

Es war eine andere Form von Einsamkeit, eine positive Form, die mich umarmte und mir Schutz gab.

Aber meistens nicht für lange, so auch heute Nacht.
Ich sah es nur aus dem Augenwinkel, aber es war da. Unter dem Licht der Brücke, welches eigentlich hätte dominieren müssen, doch das tat es nicht.

Das starke, blaue Lebenslicht war zurückgekehrt.
Es war die selbe Stelle, wie das letzte mal, fiel mir auf.
Die selbe Position, die er einnahm, während er zum Wasser hinunter sah.
Die selbe gleichgültige Erscheinung.

Ich wurde unruhig.
Etwas in mir wollte zu dem jungen Mann hin, aber etwas anderes schrie laut, dass ich wegrennen sollte.
Doch ich konnte nicht.

Wieder sah ich nur dieses eisige Licht über dem Kopf des Dunkelhaarigen.
Wie seine Augen nun nach vorne gerichtet und in ein dunkles schwarz getaucht waren.
Bis er den Kopf wendete und mich wieder genau ansah.

Aber dieses mal sah er mich wirklich an.
Ich konnte es in seinem Blick sehen.
Und ich spürte es tief in meiner Brust.

Alles krampfte sich wieder zusammen und ich sackte zu Boden.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden und einen kurzen Moment sah es so aus, als wollte er zu mir kommen.
Immer noch mit dem selben gleichgültigen Blick im Gesicht.

Aber er drehte sich um und ließ mich allein auf dem Boden liegen.
Zusammengekrampft und unter Schmerzen, die ich nicht verstand.
Es brannte.
Es kratzte.
Es riss.
Und es fühlte sich undefinierbar bekannt an.

Er kam mir undefinierbar bekannt vor.

Der junge Mann mit seiner seltsamen blauen Flamme, wie sie kein anderer Mensch hatte, den ich zovor gesehen hatte. Mit dieser traurigen Gleichgültigkeit.


Der Junge Mann, der mich sah, der aber nicht so jemand sein konnte, wie ich es war.
Denn ich war zur Einsamkeit verdammt.

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Chaos Lights || jeon jungkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt