Yves Navarra

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Zurück im Schiff nahm ich mir das Buch vor, das mir mein Bruder Orion geschenkt hatte. Er war das schwarze Schaf der Familie, aber hatte immer einen Riecher für gute Literatur. Vielleicht gerade deswegen.

Während mein Schiff wieder auf Kurs ging lenkte ich mich mit „McKillians Entdeckungsreisen, hin und nie mehr zurück von Salvatore Stein“ ab. Kal Tungur war ein Problem für sich. In den Geschichtsbüchern fand ich meist die richtigen Antworten, wenn ich nur genau genug hinsah.

„Captain McKillians - Entdeckungsreisen, hin und nie mehr zurück“, von Salvatore Stein

»Geballt in Kraters Klauen, lebst du hier, mein Eden!«, (Captain McKillian, 14. 6. 2174)

»Der gefrorene Zehennagel Gottes!«

Das schrieb Captain McKillian wiederum kurz nach der ersten genaueren Erkundung in sein Tagebuch.

Eine blumige Untertreibung, denn eine dicke Schichte aus Eis liegt über dem gesamten Planeten und Temperaturen um die -150 Grad Celsius sind keine Seltenheit.

»Warum hast du dich für diese Reportage gemeldet? Du hättest zwei Systeme weiter über die Orgienrituale der lavaianischen Jungfrauen berichten können. Aber nein, du wolltest ja den Molluskenbären sehen«, denke ich und schlinge meine Arme fester um die Brust. Beim Flug über die nördliche Hemisphäre stößt mich mein Begleiter Yves mit dem Ellbogen an. Er zeigt Richtung Westen.

Ein kleiner roter Ball drängt sich durch die wabernde Nebelschicht am Horizont.

Sonnenaufgang.

Zu grell für menschliche Augen. Yves klopft auf meinen Helm und bedeutet mir, die Sichtblende zu verdichten. Van-Swartz-Moleküle im Glas meines Visiers drehen sich.

Sanft fluten Lichtkaskaden den Helm und geben wieder den Blick auf diese einzigartige Welt frei. Yves Navarra ist seit drei Jahren Leiter der Forschungsstation „Lyon“ im Orbit.

Er lacht, als ich meinen Anzug zum x-ten Mal kontrolliere. Vor einem Monat, sagt er, war ein Russe da. Der war der Meinung, dass er keinen Anzug brauchen würde. Sie waren noch nicht mal aus dem Hangar, als die Glaskörper seiner Augen gefroren.

»Das hat ihn seinen Wodkavorrat gekostet«, grinst er und peilt einen Punkt im Südosten an. »Wir sind da«, flüstert er ehrfürchtig, »La ville perdue.«

Hier, nicht weit vom Äquator entfernt, hat die Natur einen sieben Kilometer breiten Krater als Zufluchtsort für das Leben auserkoren. Die Infrarotkamera zeigt mir eine Wärmekuppel, die über dem Areal liegt. 42 Grad Celsius.

Vorsichtig neigt Yves den Gleiter und landet am Kraterrand. Ich versuche meine Kamera aus der Tasche zu holen, als mich der Biologe erschrocken zurückhält. »Non!«

Liebevoll nimmt er eine Konsole zur Hand und schaltet den Monitor vor mir an. Ein Garten Eden tut sich vor uns auf.

»Wir haben eine Lastknolle mit einem sensorischen System ausgestattet. Damit können wir hören, riechen und sehen wie das Tierchen.«

Es raschelt aus den Lautsprechern meines Helms, als ob tausende Ameisen auf einer Trommel herumkriechen würden. Lastknollen sehen wie eine Mischung aus Krabben und Würmern aus, die in langen Kolonnen nach Süden ziehen. Unser ferngesteuertes Exemplar heißt Sam und Yves lenkt ihn an den Rand des Highways.

Das Tierchen krabbelt unter dunkelroten Sträuchern ins Zentrum des Kraters.

»Lazarusbüsche. Keine Ahnung, was sie tun. McKillian nannte sie so«, kommt es von Yves, meinem fragenden Blick achselzuckend entgegen. Ich nicke. Plötzlich habe ich den Duft von Safran in der Nase.

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