8. glitzernde lippen

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»Jane, wo möchtest du denn schon wieder hin?«, rief meine Mutter aus dem Wohnzimmer, als ich mich zwei Stunden später auf den Weg nach draußen in den Wald machte, jedoch aufgehalten wurde. Mit einem Schuh in der rechten Hand lehnte ich mich an den Türrahmen und schaute zu meiner Mutter, die gerade die Brötchen aus unserer Küche ins Wohnzimmer trug und diese auf den Tisch stellte. Auch mein Vater erhob sich vom Sofa, schaltete den Fernseher aus und stand auf, um sich an den Esstisch zu setzen.

Zögernd ließ ich den Schuh auf den Boden fallen und leckte mir über die Lippen. »Lou wollte, dass ich nochmal zu ihr gehe. Ihre Eltern sind nicht da und sie fühlt sich echt verdammt schlecht.« »Wieso kommt Lou denn nicht zu uns? Wir wollten jetzt eigentlich zu Abend essen, dann können wir das alle zusammen.« Ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy, las mir Brody's Nachricht, dass ich mich beeilen sollte, nochmal durch, und umgriff es danach seufzend fest. Ein Abendessen durfte ich nicht abschlagen. Vor allem wenn ich solche Eltern hatte und nicht andere.

»Kann ich nicht bei Lou essen? Ich habe ihr versprochen, dass ich da bin, so schnell ich kann. Ich habe es echt eilig, weil ich den Bus noch kriegen möchte.« Meine Mutter schüttelte den Kopf und befahl mir dann, mich an den Tisch zu setzen. »Ich kann dich nachher auch fahren, Jane«, meinte mein Vater und setzte sich gegenüber von mir an den Tisch. Meine Mutter nahm zwischen uns am runden Tisch Platz. Innerlich verdrehte ich genervt die Augen und holte dann mein Handy unter den Tisch hervor, um Brody zu schreiben, dass ich gezwungen wurde, mit meinen Eltern Abend zu essen. Also hatte er noch die Möglichkeit, sich im schönen Australien zu entspannen.

»Ich wollte eigentlich noch Ian anschreiben und ihn fragen, ob er Lust hätte, vorbeizukommen. Er war schon lange nicht mehr hier.« »Nein!«, rief ich sofort, woraufhin meine Eltern mich überrascht anschauten und die Hände doch liegen ließen, anstatt nach den Brötchen zu greifen. Meine Eltern verstanden sich blendend mit Ian, genauso wie mit seinen eigenen Eltern. Zusammen waren wir schon im Urlaub am Meer, haben uns gemeinsam im Restaurant verbredet und luden uns ab und zu spontan zum Frühstück, Mittag- oder Abendessen ein. Damit wäre ich auch total zufrieden, würde Ian nicht so mit mir umgehen, wie er es momentan tat.

Die Augenbrauen meiner Mutter schossen in die Höhe und der Kopf meines Vaters legte sich nachdenklich zu Seite, während sie mich immer noch so beäugten wie vor ein paar Sekunden. »Habt ihr Streit?« Ich war die erste, die mit zuckenden Schultern nach einem Stück Brot griff und es dann aufschnitt. Ich wollte einfach so schnell wie möglich weg von hier. Aus genau zwei Gründen: Ich wollte nicht mit meinen Eltern über den Streit beziehungsweise allgemein über Ian sprechen und ebenso wollte ich so schnell wie möglich weiterspielen. Brody wartete schon bestimmt auf mich. »Ian ist richtig komisch gerade. Ich habe absolut keine Lust auf ihn im Moment und darauf, herauszufinden, warum er komisch ist.«

»Vielleicht plant er ja eine Überraschung«, vermutete meine Mom und zuckte mit den Mundwinkeln, als sie auch nach einem Brötchen griff. Mein Vater war der letzte und auch der, der sich eher aus dem Gespräch raushielt und einfach nur den stillen Zuhörer spielte. Abrupt fing ich an zu lachen und zeigte meiner Mom den Vogel. »Ian würde mir nie eine Überraschung machen. Vor allem keine Überraschung, die seit gefühlten sechs Monaten dauert.« In einem Moment schien sie plötzlich traurig, während sie sich das Brötchen mit Butter schmierte und danach eine Scheibe Käse rauflegte. »Wir haben uns echt schon auf Enkel gefreut.« Mein Vater musste blöd grinsen, als meine Mutter das gesagt hatte.

Meine Eltern unterstützten diese Beziehung mehr als alles andere, was sie je bei mir unterstützt hatten. Das lag daran, weil Ian der absolute Liebling bei ihnen war. Vor meinen Eltern trug er das größte und schönste Lächeln, unterhielt sich mit ihnen über Gott und die Welt und riss mit seinem Humor Witze, die nur Erwachsene lustig fanden. Ja, es war echt süß, wie er mit meinen Eltern umging, doch noch schöner wäre es, wenn er auch mal so zu mir sein könnte. Und trotzdem konnte ich es nicht über das Herz bringen, so mit ihm umzugehen wie er mit mir, weil ich ihn einfach Hals über Kopf liebte und ich trotzdem versuchte, um die Beziehung zu kämpfen, auch wenn es danach aussah, als würde das sowieso nichts bringen.

Against The TimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt