11. stimmungsschwankende lou

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Noch nie ging es mir so dreckig wie es mir jetzt ging.

Gegen zweiundzwanzig Uhr war ich gestern zu Hause gewesen. Meine Eltern hatten noch im Wohnzimmer vor dem Fernseher gesessen und durch die Sendungen geschaltet. Natürlich hatten sie mitbekommen, wie ich in das Haus gekommen war, und hatten mich begrüßt, doch ich hielte es nicht für nötig, sie zurück zu begrüßen und rannte direkt nach oben. Ich wollte einfach nicht die Aufmerksamkeit erzeugen die ich erzeugt hätte, wenn ich in das Wohnzimmer getreten und zu meinen Eltern gegangen wäre.

Und so hatte ich die Tür oben in meinem Zimmer zugeknallt und verschlossen und mich auf mein Bett geschmissen.

Malou hatte ich auch nicht geschrieben - jedenfalls noch nicht. Ich hatte einfach nicht diese Kraft dazu, die ich brauchte, obwohl sie mir genau diese Kraft gab.

Sie mochte Ian nicht. Zwar kannten sich die beiden schon relativ lange, seitdem wir alle eben zusammen in einer Klasse waren, doch schon von der ersten Sekunde an war er ihr unsympathisch, anders als bei ihm. Ian fand Lou total nett und verstand sich seiner Meinung nach sehr gut mit ihr. Tatsächlich verstanden sie sich echt gut - je nachdem aus welcher Perspektive man das betrachtete.

Vor allem hatte ich keine Ahnung, wie ich ihr das genau sagen sollte. Sie würde mich zu hundert Prozent fragen, ob ich denn Schluss gemacht hätte, worauf ich mit Nein antworten würde. Schließlich gab es nicht mal einen Grund: Ian war mir nicht fremdgegangen, indem er mit ihr rumgemacht oder anderes getan hatte, er hat einfach nur mit ihr geschrieben, auf eine Art und Weise, mit welcher er das nicht hätte tun müssen.

Und das war das was mich gestern so verletzt hatte.

Jedenfalls würde Lou meinen, dass ich mich direkt von ihm trennen solle, egal was. Für sie zählte sowas schon zum Betrug, wenn man so mit einer weiblichen Person schrieb und es dem Partner nicht erzählte. Doch ich konnte es nicht über das Herz bringen. Ich könnte mich niemals von Ian trennen.

Dafür war ich viel zu sehr in ihn verliebt.

»Jane, Frühstück ist fertig!«

Mit feuchten Augen drehte ich mich mit dem Gesicht zur Wand und dachte drüber nach, was ich heute tun sollte. Eigentlich wäre es die beste Variante gewesen, nochmal zu Ian zu gehen und mit ihm zu reden, was genau dort war, doch dazu war ich erstens zu feige und zweitens war nicht ich die, die es vollkommen vergeigt hatte.

Es war Ians Auftrag, den Arsch hochzubekommen und sich vor meine Haustür zu stellen, und nicht meiner.

»Jane!«, brüllte meine Mutter erneut von unten, doch ich reagierte wieder nicht.

Sie wusste, dass ich wach war. Vor ungefähr einer Stunde war sie hochgekommen, um meine frischgewaschene Kleidung auf meine Kommode zu legen, welche ich einsortieren konnte, und ich hatte mich dann erschrocken zu ihr gedreht, damit ich sehen konnte, wer gerade in mein Zimmer gekommen war.

Sie hatte mich angelächelt und mir einen guten Morgen gewünscht, gefragt, ob ich denn gut geschlafen hätte. Natürlich hatte ich mit Ja geantwortet, obwohl ich doch die ganze Nacht kein Auge zubekommen hatte.

Jetzt waren sie vermutlich knallrot.

Zu meinem Glück hatte meine Mutter das nicht gesehen, sonst hätte ich ihr erklären müssen, wieso ich die ganze Nacht durchgeweint hatte, wobei ich nicht mal wusste, wie genau ich ihr das erklären sollte. Sie wäre in Ohnmacht gefallen, hätte ich ihr davon erzählt, dass Ian schöne Konversationen mit einem Mädchen führte, das er durch ein krankes Spiel kennengelernt hatte, wovon man sterben konnte.

Und genau weil ich einfach nicht lügen konnte, sollte ich es am besten ganz lassen.

Bevor mich meine Mutter nochmal rufen musste, bewegte ich mich langsam und schwach aus dem Bett, strammte meinen kaputten Dutt, den ich mir über Nacht auf den Kopf gemacht hatte. Dann stöpselte ich den Anschluss von meinem Ladekabel aus dem Handy und schnappte mir letztendlich noch einen dicken Pullover, den ich mir überzog, während ich die Treppen nach unten lief, da es trotz der Heizung relativ kalt war, wenn man nicht mehr unter der Bettdecke lag.

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