Against The Time

16. verlorene existenzen

Mein Herz blieb stehen, als ich realisierte, was ich dort eigentlich gesagt hatte.

Trotzdem konnte ich nicht richtig wahrnehmen, was hier passierte.
Leute um mich herum vergessen Leute.
Es war nicht real. Das alles konnte nicht real sein. Es konnte nicht sein, dass Leute nicht mehr wussten, wer wer war, und sie nicht mal mehr auf irgendwelchen Bildern sahen.

Als hätten sie ihre Existenz verloren.

Und wieso wusste ich, wer Ian war? Wieso hatte ich ihn noch in Erinnerung und alle um mich herum nicht, die ihn auch kannten? Wieso erinnerte Lou sich nicht an Toad, obwohl er das Spiel nicht mal spielte? Wieso wusste ich, wer Toad war?

Das alles waren zu viele Fragen auf einmal, zu viele Fragen, die was miteinander zutun hatten, aber doch irgendwie keinen Zusammenhang hatten.

Brody antwortete nicht. Ich musste wieder zu sprechen beginnen.

»I-ich hab absolut keinen Plan was hier abgeht, verdammte Scheiße, meine beste Freundin Lou erinnert sich nicht an Ian und-«, ich stoppte und hielt den Atem an. Mein Herz pochte immer weiter. »Warte. Weißt du wer Ian ist?« Erst als ich ihm diese Frage gestellt hatte, hörte ich ihn kleinlaut reden. »Klar weiß ich, wer Ian ist. Dein Freund von Wichser.«

Auch wenn ich schon wieder das Wort Freund hörte, sollte mit eigentlich ganz mulmig im Bauch werden und ich sollte eigentlich schon wieder daran zerbrechen, aber viel mehr machte es mich gerade fertig, dass Menschen Menschen vergaßen.

»Brody...«, keuchte ich irgendwann und fuhr mir verzweifelt mit der Hand über das Gesicht, dann hielt ich sie vor meinen Mund und riss mich zusammen, um vor dem Telefon nicht zu weinen. »Was geht hier vor sich? Und wieso sagst du nichts dazu? Bist du so geschockt?«

»Fuck«, fluchte er irgendwann leise und zog scharf die Luft ein, und eigentlich hatte ich in dem Moment jetzt gehofft, dass er endlich seine Meinung dazu abgeben und mich irgendwie beruhigen würde, aber selbst das tat er nicht.

Er war einfach nur still. Sagte kein einziges Wort. Ich hörte nur sein verschlafenes, schweres Atmen. Und sonst nichts. Nicht den leisesten Laut.

»Ich wusste, dass dieser Moment kommen würde. Ich weiß, was hier passiert, und es ist wirklich nicht normal. Ich wollte nicht, dass du es so auf diese Art und Weise erfährst, ich wollte es dir erzählen, wenn es bei uns soweit war. Vermutlich ist der Moment jetzt gekommen und ich sollte es dir später erklären. Sehen wir uns in vier Stunden?«

•

Lou hat mich, ohne dass wir miteinander gesprochen haben, nach Hause gefahren. Nach dem Gespräch mit Brody bin ich direkt wieder ins Stacey's gegangen, habe versucht, während ich wie verrückt meinen Milchshake geschlürft habe, herauszufinden, ob das Mitleid oder einfach nur pure Verstörung in Lou's Gesicht war, was ich schlussendlich nicht herausfinden konnte.

Kein Wort hat sie mehr mit mit gewechselt, genauso wie ich mit ihr. Nicht nur ich musste diesen Schock verarbeiten, sondern auch vermutlich sie, da die Arme immer noch nicht wusste, was genau hier passierte und warum ich einen so großen Aufstand wegen einem Jungen machte, den sie ja nicht mal kannte.

»Lou, danke, dass du mich gefahren hast, aber-« Noch bevor ich ganz ausstieg, packte Lou mich an meinem Handgelenk und verhinderte, dass ich die Tür vor ihrer Nase zuschlug, ehe sie was sagen konnte. Leicht erschrocken drehte ich meinen Kopf zu ihr um. »Schreib mir, melde dich, ruf mich an, aber sag mir, was hier vor sich geht. Ich hab Angst, ich möchte nicht, dass dir was zustößt.« Ich ziehe mein Handgelenk aus ihrem Griff und greife stattdessen nach ihrer Hand, die mich soeben noch festgehalten hat.
»Mach dir keine Sorgen, ich kriege das auf die Reihe. Ich werde mit Brody reden und wenn ich weiß, was hier vor sich geht, werde ich mich melden. Ich verspreche es.«