Eine Chance

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Man könnte jetzt meinen, dass sie mich in den nächsten Tagen aufsucht und mich aufklärt, mich wieder küsst oder erklärt, dass es ein Fehler war. Nichts der Gleichen, im Gegenteil, es kommt mir so vor, als ob wir uns noch seltener sehen als sonst, es ist so, als ob sie mich meidet. Hoffentlich bilde ich mir letzteres nur ein und wir laufen uns zufällig mal wieder über den Weg. Es gibt Augenblicke, da sehe ich sie am anderen Ende des Ganges oder wie sie gerade das Schulgelände verlässt, ich verpasse sie immer so knapp. Es ist zum Verrücktwerden.Ist es klug ihr hinterher zu laufen? Ich könnte alles erfahren, aber was soll ich sagen, wenn sie stehen bleibt? „Hey was ist los mit dir.", klingt so vorwurfsvoll und „Kann ich dich nochmal küssen.", ist definitiv aufdringlich. Außerdem sieht es so aus, als ob ich sie stalken würde. Das wäre richtig scheiße, wenn sie so über mich denkt, also reiß dich zusammen und lass sie in Ruhe.Hinzukommend zu solchen Gedanken, wenn ich sie verschwinden sehe, kommt der Fakt, dass ich feige bin. Es ist echt komisch zwischen uns. Ich laufe zur Bushaltestelle, was eigentlich total dämlich ist, wenn man bedenkt, dass ich zum Bahnhof muss, der genauso weit weg ist wie die Bushaltestelle, nur in entgegengesetzte Richtung. Von der Bushaltestelle fährt nicht mal ein Bus direkt zu mir nach Hause. Ich laufe also zu einer Bushaltestelle von Bahnhof weg, um mit einem Bus zum Bahnhof zu fahren. Klingt dumm, dient aber dem Zweck, dass ich ganz allein sein kann, um meine Gedanken zu sortieren. Das habe ich bitter nötig. Ziemlich frustriert stapfe ich zur Bushaltestelle und analysiere meine Situation.

Ich bin verknallt in Julia oder auch nicht verknallt in Julia. Die Sache ist insofern doof, weil ich genau weiß, dass ich nichts Festes mit ihr will, aber gleichzeitig Symptome habe wie bei Verliebten. Das verwirrt mich zusehends. Dann ist da Julia, die anscheinend weiß, dass ich voll auf sie abfahre und irgendwie findet sie das so toll, dass sie mich unglaublicher Weise küsst. Trotzdem reden wir nie miteinander und sind generell distanziert. Ist das schüchterne Distanziertheit? Wie auch immer, liegt wahrscheinlich daran, dass ich nicht den Mumm habe, sie anzusprechen. Generell ist es immer sie, die irgendwas macht. Nächster Punkt sind meine Sexfantasien. Ich habe bis jetzt vier Geschichten veröffentlicht, jede einzelne besitzt um die 100 Reads, aber nicht eine beschissene Geschichte hat auch nur einen verdammten Kommentar. Das ist Kacke. Ich stecke in jede Geschichte eine halbe Stunde Arbeit, nur um sie zu kontrollieren. Da kann man ja wohl erwarten, dass das gewürdigt wird, aber nein wird es nicht. Außerdem muss ich die Geschichten dummerweise Lesen, um sie zu kontrollieren. Das sind meine tiefsten sexuellen Wünsche, das heißt, danach bin ich jedes Mal erregt und habe keine Aussichten auf Sex. Zusammengefasst ist meine Situation einfach nur beschissen. Meine trüben Gedanken wurden von dem Brummen meines Handys unterbrochen. Neugierig ziehe ich es aus der Tasche. Wer könnte das sein? Meldet sich doch sonst keiner.  Es ist eine neu eröffnete Gruppe für den 18. Geburtstag von Gina. Komisch, so viel habe ich doch gar nicht mit ihr zu tun, aber egal wird sicher lustig und wenn man schon mal eingeladen ist, warum nicht. Erst zu Hause sehe ich nach, wer noch alles eingeladen ist. Ein paar Leute kenne ich, wie zum Beispiel Sarah, aber die meisten Nummern habe ich nicht in meinem Telefonbuch gespeichert und sind mir deshalb ein Rätsel. Zum Glück werden einem die Namen hinter den Nummern angezeigt, sodass ich noch weitere bekannte Namen entdecke. Je mehr Namen ich lese, desto mehr wächst die Überzeugung in mir, dass es ein cooler Abend wird. Mitten im Runterscrollen fällt mir ein weiterer wohlbekannter Name auf, Julia. Augenblicklich rast mein Herz. Sie wird da sein! Wie krass ist das denn?! Ein ganzer Abend mit ihr, zwar nicht allein mit ihr, aber immerhin mit ihr. Entweder das wird der Hammer oder ein Flop. Auf jeden Fall nimmt damit die Feier ein völlig neues Level an. Das kann nur gut werden. Das muss gut werden.Extrem nervös aber auch glücklich fiebere ich der Feier entgegen. Ich kann es kaum erwarten, aber leider ist die Feier erst in einer Woche und die Zeit macht der langsamsten Schnecke Konkurrenz. Die Zeit versuche ich mir mit weiteren Geschichten und sogar Hausaufgaben zu vertreiben. Außerdem beschäftigt mich eine große Frage. Soll ich Julia anschreiben? Die Nummer habe ich ja jetzt. Das wäre super leicht, kein Problem. Einfach die Nummer aus der Gruppe nehmen und sie anschreiben, Aber was könnte ich dann schreiben? „Hey hier ist Moritz, der Typ, der dir immer hinterher starrt. Ich hab mich nur gefragt, warum du mich küsst und dann schnell verschwindest." Oder ich nehme was Klassisches wie: „Hey hier ist Moritz, wie geht's?", ich könnte natürlich auch direkt mit der Tür ins Haus fallen: „Hey hier ist Moritz, ich steh total auf dich, will aber nur mit dir schlafen oder so." Klingt für mich alles drei bescheuert und zusätzlich habe ich Schiss vor ihrer Antwort. Es wäre auch richtig komisch mit ihr zu schreiben, dann geht doch die ganze Spannung verloren. Worüber sollen wir auch schreiben. Ich lass das besser.  Wegen diesen Bedenken schreibe ich sie nicht an und speichere nicht mal die Nummer ein. Mehr oder weniger geduldig warte ich auf die Party.                            Nach gefühlten Äonen ist es endlich soweit, ich sitze in einem Bus, der mich zu Ginas Geburtstag bringt. Erstaunlicherweise bin ich weniger nervös, als ich erwartet hatte. Die Feier findet auf einem Gutshof statt. Der Hof ist umrahmt von alten Stallgebäuden, sieht echt cool aus. Gina führt mich an ein paar Biergarnituren vorbei in einen kleinen Keller. Der sieht wie der Rest des Hofes verdammt cool aus. Ein paar Leute aus meinem Jahrgang sind schon mitten in einer Partie Tischkicker vertieft und heben nur kurz die Hand, als sie mich sehen. Ich sehe mich nach weiteren bekannten Gesichtern um, während ich mein Geschenkt auf einen ziemlich überfüllten Tisch stelle und entdecke dabei Sarah hinter dem Bartresen an einem Laptop rumhantieren. Leise schleiche ich von hinten an und kneife sie in die Seite. Erschrocken fährt sie herum, muss aber lachen, als sie mich sieht: „Du hier?" „Wie du sehen kannst.", ich freu mich richtig, dass sie da ist. „Voll cool, ich wusste gar nicht, dass du kommst." „Tja siehst du mal. Hackst du gleich den erstbesten Laptop, den du siehst oder was?" Sarah grinst über beide Ohren: „Nein.", widerspricht sie mir übertrieben, „ich doch nicht." „Jetzt mal im Ernst, was machst du?", will ich wissen. „Die Musik du Schlauberger." „Na dann wird das ein fetziger Abend." „Natürlich doch.", zwinkert Sarah mir zu. Ich lasse mir von Gina zeigen, wo ich meine Sachen abstellen kann. Als ich wieder zurück in den Keller komme, werde ich sofort an den Tischkicker gezerrt und beginne die erste von vielen folgenden Runden. Es macht sehr viel Spaß und die Stimmung ist echt super, der perfekte Ort für eine Party mit genau den richtigen Leuten. Es ist vielleicht mein drittes oder viertes Spiel, da kommt Julia in den Keller. Zum Glück hat mein Team gerade ein Tor geschossen, denn ansonsten hätte ich definitiv einen reingelassen, so gut sieht sie aus. Wow, diese schwarzen Absatzschuhe stehen ihr unheimlich gut und passen perfekt zu dieser schwarzen Karostrumpfhose. Hotpants mal mit Jeansstoff, cool. Krass dieses Oberteil, verdammt sieht das gut aus. Schwarz wie immer, aber der V-Ausschnitt, Wahnsinn. Ich würde so gern an den ganzen Schnüren ziehen, um ihre Brüste auszupacken. Hammer! Sie sieht einfach Bombe aus und das ihre Arme komplett in Spitze stecken, macht alles nur noch besser. Sie sieht umwerfend aus. Wie soll ich denn klaren Kopf bewahren, um sie zur Rede zu stellen, wenn sie so scharf aussieht?  Sie bemerkt mich, lächelt kurz und begrüßt dann alle anderen. Es scheint so, als wäre sie genauso wenig überrascht, dass ich hier bin, wie ich darüber, dass sie hier ist. Egal, darum kümmere ich mich später, jetzt heißt es erstmal das Spiel gewinnen. Leider wird daraus Nichts, denn unsere Runde wird unterbrochen, weil es Essen gibt. Nach dem Essen legt Sarah dann auf und die Gäste beginnen zu tanzen, da bin ich natürlich dabei. Es macht richtig viel Spaß mit den anderen auf der Tanzfläche Quatsch zu machen, aber mein Blick wandert immer öfter zu Julia. Ich bemerke, wie sie nach draußen geht und folge ihr mit der Ausrede, dass ich etwas frische Luft brauche. Sie setzt sich Felix, einem aus unserem Jahrgang, an den Tisch. Er ist gerade dabei, etwas ins Gästebuch zu schreiben. Dreist setze ich mich neben Julia und frage Felix, der gerade in das Buch malt, was das werden soll. Er hüllt sich in Schweigen, sodass Julia und ich anfangen zu raten, was er malt. Angeblich liegen wir Beide immer falsch. „Kannst du überhaupt zeichnen?", frage ich ihn und ernte direkt einen bösen Blick. „Ich kann es dir ja zeigen." Er greift meinen Arm, den ich schnell zurückziehe: „Hey!" „Ich habe gerade nichts anderes.", rechtfertigt er sich. „Mal doch auf deinen eigenen Arm.", schlage ich vor. „Dann sieht es aber nicht gut aus.", wendet Felix ein. Fragend blicke ich Julia an, sie scheint amüsiert zu sein: „Nun lass ihn doch." „Na gut.", ich reiche Felix meinen linken Arm. Konzentriert beginnt er zu zeichnen, mit einem Kugelschreiber wohlgemerkt. „So, fertig.", verkündet Felix nach ein paar Strichen. Ich besehe mir das Meisterwerk auf meinem Arm. Ratlos sehe ich Julia an, sie sitzt kichernd neben mir und hält dabei eine Hand vor ihrem Mund.Gott sieht sie süß aus. Aber was zur Hölle ist das auf meinem Arm. Mit ein bisschen Fantasie könnte es sich um einen Vogel handeln.„Was soll das darstellen Maestro?", frage ich mit dem ironischsten Unterton. „Ein Kakadu.", kommt die klare Antwort von Felix. Jetzt muss Julia lachen. „Unverkennbar.", beginne ich zu übertreiben, „Entschuldigt, dass ein Laie wie ich ein solches Kunstwerk missdeuten konnte." Felix springt nicht auf diesen Humor an und guckt nur grimmig. „Gut dann geh ich jetzt besser.", ich will ihn wirklich nicht weiter stören, auch wenn ich dafür den Platz neben Julia aufgeben muss, vorerst. Zurück im Keller gönne ich mir ein paar Salzstangen und sehe der Runde am Tischkicker zu. Schon in der nächsten Runde bin ich aktiv dabei. Ich spiele zwei Runden mit, dann begebe ich mich abermals nach draußen, in der Hoffnung mit Julia zu reden. Zu meinem Erstaunen stelle ich fest, dass jemand in der Zwischenzeit ein Lagerfeuer entfacht hat, um das jetzt einige Gäste stehen, unter ihnen auch Julia. Unauffällig stelle ich mich neben sie. Sie sieht echt heiß aus. Mann, ich wäre so gern mit ihr alleine. Ich will sie küssen. Ich will sie berühren. Wie sich diese Strumpfhose wohl anfühlt?  Der Wind dreht und wir bekommen eine saftige Portion Rauch in die Lungen. Jeder dreht sich weg, um dem zu entgehen. Erst in diesem Moment bemerkt sie mich und ich freue mich, dass sie sich wie jedes Mal ein klein Wenig erschreckt. „Ich habe dich gar nicht bemerkt.", stellt sie fest. „Tja.", ich zucke mit den Schultern. Toll jetzt hast du ihre Aufmerksamkeit und weißt nicht, was du sagen sollst. Super angestellt. „Hast du eine Uhr?", fragt sie mich unvermittelt. „Ja, wieso? Musst du schon los?", ich bekomme leichte Panik.Wenn sie jetzt geht, habe ich meine Chance verpasst, mit ihr zu reden. Bitte lass sie bleiben. Bitte lass sie bleiben. Bitte, bitte, bitte. „Das kann ich erst sagen, wenn ich weiß, wie spät es ist." Ich blicke auf meine Armbanduhr: „Es ist jetzt 20 Minuten nach Mitternacht." Krass wie schnell sie Zeit vergeht. „Ok.", ist ihr Kommentar dazu. Ich werde nervös. Was heißt das? Muss sie gleich los? Mist, Mist, Mist. Ok, Ruhe bewahren, erstmal rausfinden, wann sie los muss, ohne den Eindruck zu erwecken, dass du sie nicht gehen lassen willst. „Wo musst du denn hin?", will ich wissen. „Muss morgen arbeiten, deswegen möchte ich schon um Eins los." „Was! So früh?", rutscht es mir raus.Scheiße, schaff ich das noch in den 40 Minuten, mit ihr irgendwo allein zu reden? Ich muss es schaffen. „Ich brauch halt das Geld.", versucht sie sich ein Wenig zu rechtfertigen und zu entschuldigen. Ich nicke bloß. Sarah guckt aus der Kellertür: „Moritz!" Na toll, jetzt werde ich auch noch gerufen, dabei stehe ich extrem unter Zeitdruck. Trotzdem gehe ich zu Sarah: „Was ist denn?" „Wir wollen dich tanzen sehen."Och bitte nicht jetzt, das passt mir überhaupt nicht. Ein Blick zu Julia zeigt mir, dass sie bereits ins nächste Gespräch verwickelt ist, also kann ich auch tanzen gehen. „Auf geht's." Im Keller ist eine Bombenstimmung und die Musik ist klasse. Ich albere viel mit Sarah rum, zeige aber auch auf Wunsch ein paar Tanzschritte, die ich beim Breakdance gelernt habe. Danach wird eine Runde Klopfer geschmissen und ich werde mehr oder weniger gezwungen mitzumachen. Anschließend gehe ich raus, um der stickigen Luft des Kellers zu entfliehen. Auf dem Weg schnappe ich mir einen typischen Plastikbecher mit Sprite, dann trete ich vor die Tür. Mein erster Blick gilt dem Feuer, der zweite meiner Uhr, weil ich Julia nicht mehr sehen kann. Es ist kurz vor Eins, gut möglich, dass sie bereits gegangen ist. Langsam trotte ich zum Feuer und stelle mich neben Felix. „Ist Julia schon weg?", frage ich ihn. Er steht allein am Feuer mit einem Plastikbecher in der Hand, dank mir sind wir jetzt zu zweit mit zwei Plastikbechern. „Sie holt gerade ihre Sachen und wollte dann allen Tschüss sagen." Erleichtert nehme ich einen Schluck aus meinem Plastikbecher und starre gemeinsam mit Felix ins Feuer. Kurze Zeit später sehe ich, wie Julia mit einer Tasche aus einem der angrenzenden Gebäude zum Keller läuft. Das war's wohl mit dem Gespräch. Du hast es offiziell versaut. Niedergeschlagen sehe ich in die Flammen, bis ihre Silhouette wieder in der Tür auftaucht. Sie kommt auf uns zu. Mit einer Umarmung verabschiedet sie sich von Felix und wendet sich dann mir zu. Mein Puls rast.Was soll ich jetzt tun? Soll ich sie umarmen? Eigentlich will ich sie küssen, bevor sie geht. Was mach ich nur?  „Hast du eine Taschenlampe auf deinem Handy?", diese Frage von ihr ergibt für mich im Moment gar keinen Sinn, dennoch nicke ich. „Super, könntest du mir vielleicht den Weg leuchten, es ist verdammt dunkel, wenn man vom Feuer weg geht." „Klar doch, kein Problem.", ich klinge eventuell etwas zu aufgeregt. Wir laufen den kurzen Weg zum Tor, die Taschenlampe an meinem Handy ist nahezu überflüssig, weil man trotz Dunkelheit alles erkennen kann. Dort angekommen, überrumpelt sie mich wieder einmal, man kann schon fast sagen wie immer. Schlagartig zieht sie mich zu sich heran, ihre Lippen sind direkt neben meinem Ohr. Ich kann ihren Atem warm und angenehm an meinem Hals spüren.Sie riecht unwiderstehlich. Ich will mehr.„Ich kann die Geschichten einfach nicht vergessen.", flüstert sie mit zittriger Stimme. „Bitte lass mich irgendwann erfahren, wie du das mit mir machst." Hastig küsst sie mich und verschwindet durch das Tor. Für eine Sekunde stehe ich nur da und versuche zu verstehen, was gerade passiert ist. Dann reiße ich das Tor auf, um sie aufzuhalten, sehe aber nur noch, wie sie in ein Auto steigt. Zu spät. Wie jedes Mal du Trottel.  Etwas verstört gehe ich zurück zum Feuer. Felix ist jetzt nicht mehr der Einzige, der dort steht, und ich beschließe mich einfach dazuzustellen und den Rest des Abends so zu tun, als wäre Nichts gewesen.


Schwarze StrumpfhosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt