„Noa! Mijo! Kommt schnell!", rief ein kleiner Junge, der in der Brandung vor dem Strand wartete, als die zwei Fischerboote mit dem gefüllten Netz am Strand des Dorfes Alura ankamen. Es war Kikon, Mijos kleiner Bruder, der auf sie gewartet hatte und nun begierig dabei half, die leichten Boote auf den Strand zu ziehen und das Fischernetz zu sichern. Als sie damit fertig waren und die Männer den Fang aus dem Netz in die dafür bereitgestellten Körbe warfen, war die Arbeit für Noa und Mijo getan, sodass Kikon nun endlich mit seiner Neuigkeit herausrücken konnte, wegen der er so aufgeregt und schon die ganze Zeit auf und ab gehüpft war: „Pala bekommt ein Baby! Emi hat es mir erzählt und die hat es von Jes und Jos, und ratet mal von wem das Kind ist!"
„Pala?", echote Noa überrascht. Sie war nur zwei Jahre jünger als Pala und sie wusste, dass Pala auch noch nicht geheiratet hatte. „Bist du dir sicher, Kik?"
„Ja!", antwortete Kikon und seine Stimme überschlug sich dabei. „Jes und Jos haben es erzählt! Die waren sich ganz sicher! Und ihr werdet nicht glauben wer der Vater ist!" Der Junge von neun Jahren zog seinen großen Bruder und seine Kusine am Arm den Strand entlang, wo in einiger Entfernung eine Gruppe anderer Kinder und Jugendlicher aus Alura stand.
„Es ist Peeta, oder?", fragte Mijo nach ein paar Metern und erntete damit einen ungläubigen Blick seines Bruders. „Woher weißt du das?"
Mijo musste lächeln. „Die sind doch schon seit Monaten zusammen und versuchen es vor allen zu verstecken."
„Na ja, jetzt können sie das wohl nicht mehr geheim halten.", meinte Noa.
„Wir wollen es sehen! Zeig' schon Pala!", hörten die drei Neuankömmlinge, als sie in Hörweite kamen eine Bande von Kindern rufen. Fast alle Kinder im Dorf hatten sich um Pala und Peeta versammelt, die der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit waren. Peeta war schon siebzehn, dazu groß und breit gebaut, und hatte einen Arm schützend vor Palas Bauch gelegt, während er mit der anderen versuchte, die Kinderschar, die um sie herumschwirrte, auf Abstand zu halten. Es waren Jes und Jos, zwei Zwillingsbrüder im Alter von elf Jahren, die für ihre ewig währende Neugier und Energie bekannt und dazu überaus frech waren, und Emi und Zuki, die mit sechs und acht Jahren noch kleine Mädchen waren.
„Ich will sein Herz fühlen!", äußerte Emi erneut ihren kindlichen Wunsch, während sie sanft, aber bestimmt von Peeta aufgehalten wurde.
Die Älteren standen ein paar Meter von dem Schauspiel entfernt und beobachteten es entweder mit Belustigung oder mit unverhohlener Neugier. Mara, Noas beste Freundin, sah sie und ihre zwei Cousins schon kommen und schien vor Aufregung fast zu platzen. Sie zog Noa direkt zur Seite.
„Hallo Noa! Weißt du's schon? Pala ist schwanger!", brabbelte sie in einem schnellen Tempo.
„Ja, Kik hat es mir gerade erzählt", versuchte sie ihre Freundin zu beruhigen.
„Als ihr Fischen wart, hat es im Dorf eine riesige Aufregung gegeben", erzählte Mara weiter. „Palas Mutter hat, als sie es herausgefunden hat, mit ihr so laut geschimpft, dass es das ganze Dorf mitbekommen hat! Danach hat ihr Vater Peeta mitten auf dem Dorfplatz zur Rede gestellt und ihm gedroht! Aber Peeta war total mutig und hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt, sogar als Palas Vater ihm eine Ohrfeige gegeben hat! Danach hat sich die Lage etwas beruhigt und Peetas und Palas Eltern haben sich getroffen, um vielleicht eine Hochzeit festzulegen!" Für Mara schienen diese Ereignisse das Spannendste auf der Welt zu sein, und auch wenn Noa zugeben musste, dass so etwas nicht oft passierte, fand sie es bei Weitem nicht so aufregend wie ihre Freundin. Noa blickte belustigt zu Mara. Ihre beste Freundin hatte sich schon immer für Romantik, Liebe und solche Sachen interessiert, und erst letztes Jahr hatte sie Noa gestanden, dass sie in Peeta verliebt war. Das war natürlich total lächerlich, weil Peeta schon siebzehn und damit viel zu alt für die dreizehnjährige Mara war, aber es war nicht die erste Phase gewesen, in der sie sich in jemanden ohne Grund verliebt hatte. Vielleicht war Mara auch ein wenig eifersüchtig auf Pala, vermutete Noa. Besonders wegen Peeta und natürlich wegen der ganzen Aufmerksamkeit, die Pala bekam, doch das würde bestimmt bald vergehen und Mara würde sich wieder jemand Anderen zum Bewundern suchen.
„Was ist?", wurde Noa plötzlich von ihrer Freundin aus ihren Gedanken gerissen und ihr fiel auf, dass sie ihr gar nicht geantwortet hatte.
„Äh nichts ist", stammelte Noa. „Ich muss nur wieder los, ich gehe zu Lie!"
Verständnislos sah Mara sie an, aber verzichtete auf die Diskussion, die sie schon tausendmal geführt hatten. „Okay, aber verpass' das große Feuer heute Abend nicht!"
„Werd' ich nicht!", antwortete Noa und verabschiedete sich wieder. So verschieden Mara und sie auch waren, sie würden für immer beste Freundinnen bleiben, da war sich Noa sicher. Mit niemandem, selbst nicht mit Mijo, verbrachte sie so viel Zeit, und mit niemandem lachte sie so viel und so aufgedreht, wie mit Mara. Sie hatten praktisch keine Geheimnisse voreinander und hörten sich gegenseitig immer zu, ob es auch um Maras Liebeskummer oder um Noas Abenteuer ging.
Noa lief den größten Teil des Weges. Der erste Teil führte durch den dichten Urwald. Noa war ihn bestimmt schon hunderte Male gelaufen, sodass sie im Rennen geübt den tückischen Wurzeln und den tiefhängenden Ästen auswich. Lie wohnte nicht im Dorf, sondern auf dem Berg darüber. Er war Einsiedler, wie er Noa selbst erklärt hatte. Sie hatte das Wort nicht gekannt, bis Lie es ihr erklärt hatte. Es bedeutete, dass man alleine und ohne Familie lebte. Noa hatte es nicht verstanden, warum man alleine leben wollte, aber Lie erklärte, dass es irgendetwas mit seinem Glauben zu tun hätte.
Als sie den Wald durchquert hatte ging das Gelände steil aufwärts. Wo anfangs die Erde noch durch die starken Wurzeln der hohen Bäume gehalten wurde, wurde es zunehmend rutschiger, und Noa musste aufpassen, dass sie bei den winzigen Erdrutschen, die ihre Füße verursachten, nicht das Gleichgewicht verlor und fiel. Ihr Herz schlug schnell, doch dennoch hörte sie nicht mit dem Laufen auf. Früher hatte sie auf dem Weg mehrere Pausen machen müssen, doch mittlerweile schaffte sie es ohne. Die Bäume wichen dornigen Büschen bis selbst diese keinen Halt mehr auf dem kahlen Stein fanden, und die Umgebung immer kahler wurde. Nun kam sie an den Teil der Strecke, an dem Laufen unmöglich war. Rechts von ihr ragte eine steile Felswand auf, wohin auf der linken Seite ein steiler Abhang war und sie einen tollen Blick auf das kleine Dorf in der Abendsonne hatte. Dazwischen gab es einen Felssims von der Breite etwa einer Armlänge, auf dem sie weiter nach oben gelangen konnte. Noa drückte sich eng an die Felswand und versuchte nicht herunter zu blicken, um der Höhenangst zu entgehen. Wenn sie hier stürzen würde, würde man sie erst Tage später finden, wenn man sich überhaupt noch die Mühe machen würde. Ihr Herz klopfte, als sie sich zwang weiter zu gehen. Dass sie den Weg vorhin komplett gerannt war, machte die Sache nicht wirklich besser.
Endlich war das schmale Sims zu Ende und sie konnte ihren Weg ohne große Angst fortsetzten. Der schmale Weg wurde mehr und mehr zu einem Klettersteig. Sie musste ihre Finger tief in den Fels krallen, um voran zu kommen. Zum Glück war ein Sturz hier nicht tödlich, dennoch würde sie sich auch hier Knochenbrüche zuziehen können. Noa hangelte sich weiter nach oben. Mittlerweile wusste sie blind, in welche Kuhlen im Fels sie ihre Füße und Hände stecken musste, so oft war sie hier schon geklettert.
Als auch der Klettersteig gemeistert war, war sie fast am Ziel. Eine letzter Felsspalte trennte sie von dem Ort an dem Lie wohnte. Der ein Meter tiefe Spalt war zwei Meter breit, und man musste über ihn hinweg springen, wenn man auf die andere Seite wollte. Noa ging ein paar Schritte zurück um Anlauf zu nehmen. Zweimal hätte sie den Sprung schon fast nicht geschafft, war gegen die Kante gesprungen und hatte sich nur mit großer Kraftanstrengung der Arme noch hochziehen können. Sie lief auf den Spalt zu und sprang sicher hinüber. Ihre Vorfreude wuchs augenblicklich, da der Weg geschafft war. Der Wind trug das leise Singen einer Männerstimme zu ihr herüber. Unwillkürlich musste sie grinsen, als sie den Mann mit verschlossenen Augen auf einem Felsen sitzen sah. Es war seine Gebetsposition hatte er ihr einmal erklärt, und gezeigt, wie sie ihre Beine dafür überkreuzen und den Rücken durchstrecken musste. Noa fand, dass es eine sehr unangenehme Art zu sitzen war, doch Lie meinte immer, mit der Zeit und wenn man sich daran gewöhnte, konnte es durchaus entspannend sein.
Lie lächelte als er aufblickte und Noa sah. Er begrüßte sie in seiner sanften, tief säuselnden Stimme, mit der jeder seiner Sätze wie eine kleine Melodie erklang.
„Hi Lie!" Noa strahlte den freundlichen Mann an, der mindestens vier Mal so alt sein musste wie sie. Seine Haut war schon sehr faltig, aber braun gebrannt mit einem leichten Gelbstich, der neben seinem Akzent in der hier heimischen Sprache verriet, dass er nicht aus Alura stammte.
„Das Essen müsste gleich fertig sein. Möchtest du mitessen und mir erzählen, was du heute erlebt hast?" Er hätte gar nicht fragen müssen, es gab keinen Grund für Noa, das Angebot abzuschlagen.
Sie gingen eine kurze Strecke um den Fels herum, bis sie an einer kleinen Berghütte ankamen, vor der über einer kleinen Feuerstelle ein Stück Fleisch schmorte. Es roch sehr köstlich, und da sie seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte, rumorte Noas Magen.
Als Lie es endlich von Feuer nahm, verschlang sie es gierig und er sah ihr schmunzelnd dabei zu, während er selbst genügsam und bedächtig die kleiner Hälfte der Mahlzeit aß.
Als sie fertig war erzählte sie aufgeregt von ihrem Tag. Dabei ließ sie nichts aus, angefangen von ihrer Begegnung mit dem Hai und den Fischen, bis zu der Neuigkeit von Pala und Peeta.
„Glaubst du die beiden werden ein gutes Paar?", fragte Noa. Sie wusste, dass Lie auf alle Fragen immer eine weise Antwort hatte, auch wenn sie diese nicht immer verstand.
„Die beiden sind noch so jung", begann Lie grübelnd, aber dennoch sanft. „Ein Kind zu bekommen ist eine schwierige und schmerzhafte Erfahrung, die so eine junge Frau wie Pala sehr mitnehmen kann, aber ich wünsche ihnen alles Gute..."
„Also sind sie jetzt ein gutes Paar, oder nicht?", wollte sie jetzt unbedingt wissen.
„Noa Kind, in der Welt gibt es nicht nur gut oder schlecht, sondern auch etwas dazwischen, etwas was sowohl gut als auch schlecht ist..."
Noa stutze. „Aber etwas, was gut ist, kann doch gar nicht mehr schlecht sein, weil es ja schon gut ist!", hielt sie dagegen.
Lie lächelte sanft. „Bist du dir sicher? Nehmen wir mal einen Baum, was meinst du? Ist ein Baum gut oder schlecht?"
Das Mädchen wusste nicht, was sie antworten sollte. Ein Baum war doch nur ein Baum und hatte mit Gut oder Böse doch nichts zu tun. Dennoch sagte sie. „Er spendet Schatten, also... ist er eher gut."
„Und bei einem Sturm fällt er auf dein Haus, was ist er dann?"
Sie überlegte erneut ehe sie schlicht antwortete: „Da kann der Baum doch nichts dafür. Der Sturm ist schuld. Also ist er böse!"
Das schien den Einsiedler zu amüsieren. „Kluges Kind! Doch sehnt man sich nicht an einem viel zu heißen Sommertag den Sturm herbei, der die Sonne verdeckt und die Erde kühlt?"
Das erschien Noa logisch, doch sie wollte einen Grund finden zu widersprechen. „Aber...", fing sie an und suchte nach Worten, bis ihr ein anderer Gedanke plötzlich in den Sinn kam. „Wieso ist die Sonne denn überhaupt so heiß? Hat da jemand ein großes Feuer entfacht?"
„So ähnlich. Stell dir die Sonne vor als einen Planeten vor. So wie unsere Erde nur viel, viel größer."
„Aber sie ist doch total klein?", fragte Noa verdutzt.
„Das sieht nur so aus, weil wir so weit von ihr weg sind."
„Und der Mond?", wollte Noa begierig wissen. „Ist er auch so weit weg?"
„Nein Noa, der Mond ist viel kleiner als die Sonne und viel näher."
Das irritierte sie. „Aber sie sehen genau gleich groß aus! Wie kommt man darauf, dass sie unterschiedlich weit weg sind?"
„Das haben Menschen schon vor tausenden Jahren ausgerechnet.", erklärte Lie. „Im Kloster habe ich viel darüber gelesen. Vor einigen hundert Jahren waren Menschen sogar auf dem Mond und haben ihn erkundet."
„Wie soll das denn gehen?", fragte Noa kritisch.
„Sie haben eine riesige Maschine gebaut, die fliegen konnte."
„Etwa Maschinen, wie die Kutschen ohne Pferde, die sie in Nihilo haben?" Sie hatte schon davon gehört, dass die Menschen dort laute und stinkende Maschinen mit vier Rädern hatten, die wie ein Blitz von einem Ort zum anderen fahren konnten, ohne dass ein Mensch oder Tier sie ziehen mussten.
Lie überlegte, hielt den Vergleich jedoch als vernünftig und fuhr fort. „Früher war die Sonne nicht so heiß wie jetzt, musst du wissen. Das war vor der zweiten Sintflut, du weißt doch, was das ist?"
„Natürlich weiß ich das! Thes hat uns das tausendmal aufsagen lassen. Weil Gott zornig war, hat er das Eisland schmelzen lassen, worauf eine riesige Flutwelle über die ganze Erde schwemmte. Doch vorher hat er Noa der Zweiten, nach der ich benannt bin, aufgetragen, ein Boot zu bauen, wo alle Lebewesen von guter Gesinnung ein Platz hatten. Als die Flut und der Sturm Gottes vorüber waren und alles Böse getötet war, lenkte Noa ihr Schiff an die Küste und sie alle begannen ein neues Leben." Auch wenn es sehr nervig gewesen war, all das auswendig lernen zu müssen, war sie stolz darauf, dass sie es behalten hatte, doch zu ihrer Verwunderung schüttelte Li den Kopf. „Das ist ja ein nettes Märchen, was euch Thes beibringt, aber es ist nicht ganz richtig. Versteh' mich nicht falsch, aber ich bin kein Abrama und glaube an diese Geschichte nicht."
„Woran glaubst du denn?", fragte Noa.
„Ich glaube nicht viel, denn je mehr man weiß, desto weniger muss man glauben, verstehst du?"
Sie verstand nicht, nickte aber trotzdem.
„Ich bin ein Mann des Wissens, ich versuche alles auf eine logische Art zu erklären.", sagte Lie. „Es stimmt, dass das Eis geschmolzen ist und es eine Flut gab. Aber es lag daran, dass die Sonne stärker wurde und hat nichts mit einem Gott zu tun."
„Was hat Gott denn dann gemacht? Oder sitzt er einfach nur herum und schaut zu?"
„Vielleicht tut er das...", räumte Lie ein und seine Stimme bekam eine traurige Färbung. „Vielleicht tut er das wirklich."
Niemand von ihnen hatte daraufhin etwas zu sagen, deshalb saßen sie einfach nur schweigend da und beobachteten, wie die Sonne allmählich schwächer wurde und immer weiter sank, während Lie das Lagerfeuer weiter entfachte, sodass es knackte und zischte.
„Warum hast du eigentlich keine Frau?", fragte Noa auf einmal unverblümt, da ihr es plötzlich in den Sinn kam.
Diese Frage schien Lie zu überraschen und er versuchte es mit einem Lächeln zu überspielen. „Wieso fragst du?"
Sie zuckte mit den Achseln. „Wieso nicht? Du bist doch ein Mann und normalerweise hat jeder Mann auch eine Frau. Magst du keine Frauen?"
Dieses Thema schien ihm unangenehm zu sein. „Doch... Schon, nur... Weißt du, ich habe im Kloster ein Gelübde abgelegt, alleine zu leben und keine Frau zu haben."
Noa überlegte. „Also darf ich gar nicht hier sein, weil du ja alleine leben musst?", fragte sie ernst.
Jetzt musste der Mann wieder Lächeln. „Nein Kind, wenn mich jemand besucht ist das in Ordnung, aber ich darf in keinem Dorf leben und meine Hütte nicht mit anderen Teilen."
„Aber dann dürfte dich auch eine Frau besuchen gehen, oder?", hakte Noa scharf nach, was Lie immer unangenehmer wurde.
„Ich hatte mal eine Frau.", sagte Lie traurig. „Ja, ich hatte sogar eine Familie... doch weil... Wie dem auch sei, ich bin dann dem Orden beigetreten und habe mich verpflichtet, keine Familie und keine Kinder zu haben." Noa schockierte es, dass der Mann plötzlich mit seiner Fassung rang. So kannte sie ihn gar nicht. Doch im nächsten Augenblick war der Anflug von Schwäche schon vorüber. „Noa, schau!", rief er und zeigte in Richtung Dorf. „Sie haben das Feuer entzündet, du musst dich wieder auf den Weg machen!"
In aller Eile verabschiedete Noa sich von dem Einsiedler und machte sich an den Abstieg nach Alura.
Noa war außer Atem und erschöpft, als sie am Dorf ankam.
„Da bist du ja!", rief Mijo ihr zu. „Beeil dich, sie haben schon angefangen!" Obwohl sie so erschöpft war, nahm Mijo sie bei der Hand und zog sie mit sich.
Riesig war das Feuer. Viel größer, als das von Lie, an dem sie eben erst gesessen hatte. Sie setzten sich in einiger Entfernung auf den sandigen Boden, um den Männern bei dem Spektakel zuzusehen. Das Feuer brannte mehrere Meter hoch und hatte ungefähr die Ausmaße einer kleinen Hütte. Kleine Hammelfleischkeulen waren an langen Ästen über dem Feuer aufgehangen worden, sodass sie im Rauch verschwanden, die Flammen jedoch nicht berührten. Es war sehr heiß, das spürte selbst Noa, die in einer sicheren Entfernung zum Feuer saß und sah, wie der Schweiß der Männer an ihren Oberkörpern hinab lief.
Schweigend saß sie mit Mijo eine lange Zeit nur dort und starrte in die Flammen, bis ihr Kopf schwer und ihre Augen müde wurden. Sie nahm gar nicht mehr wahr, wie ihr Kopf vor Müdigkeit zur Seite auf Mijos Schulter kippte, der sie nach einer Zeit behutsam weckte damit sie nach Hause gingen konnten. Ihr Cousin verschwand hinter mehren Hütten im Schatten, die das große Feuer warf, und so setzte Noa ihren kurzen Weg nach Hause alleine fort.
Sie war schon fast vor der Hütte ihrer Eltern angelangt, als sie zwei Stimmen vernahm. Sie unterhielten sich gedämpft. Trotz ihrer Müdigkeit horchte sie auf und machte die Richtung aus, aus der die Stimmen kamen. Sie schlich weiter und konnte zwischen zwei Hütten Umrisse von zwei Personen ausmachen.
„Das kannst du nicht von uns verlangen! Ana wird es niemals erlauben!" Das war doch die Stimme ihres Vaters, stellte sie schockierend fest.
„Deine Frau hat nichts zu erlauben!", antwortete eine tiefe, feste Stimme. Es war Kandah, der Stammesführer. „Bring es ihr schonend bei oder lass es. Wir warten noch bis zur Wintersonnenwende, dann ziehen wir los. Sie ist dann vierzehn und damit alt genug. Ich habe nichts mehr zu sagen!"
Das Gespräch war vorbei, ehe Noa einen Sinn in den Worten erkennen konnte. Sie merkte, dass sie in ihre Richtung kamen. Schnell und leise schlich sie nach Hause, achtete darauf, dass sie ihre Mutter, die schlafend auf den Fellen ihres Bettes lag, nicht weckte, und schlüpfte in ihr Eigenes. Schnell wurde sie von der Müdigkeit übermannt und hatte keine Zeit mehr, sich über das belauschte Gespräch zu wundern.
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Die dritte Sintflut
Science Fiction2318 n. Chr. Noa ist ein dreizehnjähriges Mädchen, dass in einem kleinen Fischerdorf aufwächst und ihrem Vater beim Fischen hilft. Sie liebt das Meer und die warme, idyllische Landschaft ihrer Heimat. Doch bald sollte sie eine Reise antreten, die ih...