Prolog

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Sie nahm einen tiefen Atemzug, atmete ebenso tief aus, um ihre Lungen abermals mit Sauerstoff zu füllen. Ihr ganzer Körper schien nun voller Luft zu sein. Sie konzentrierte sich, beugte ihre Knie, um sich mit aller Kraft vom Fischerboot ihres Vaters abzustoßen und nach einem kurzen Flug tief in den blauen Ozean einzutauchen. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an das salzige Wasser um sie herum gewöhnt hatten und sie mit ihrer Arbeit anfangen konnte. Sie hätte noch Minuten lang das Gefühl des kühlen Nasses um sie herum genießen können, doch sie musste mit ihrer begrenzten Luft auskommen. Zügig tauchte sie weiter Richtung Meeresgrund. Sie machte keine heftigen oder panischen Bewegungen, denn sonst würde sie noch mehr Luft verbrauchen. Leicht glitt sie durch das Wasser und ließ ein wenig verbrauchte Luft in Blasen aufsteigen. Das durch das Wasser dringende Sonnenlicht wurde immer schwächer, das Wasser immer kälter und Noa fröstelte, was ihr sagte, dass sie bald am Grund angelangt sein musste. Der sandige Grund war anfangs nur schwer auszumachen, denn das anfängliche hellblau wurde mit jedem Meter Tiefe dunkler, bis sie in einem dämmrigen Licht gefangen und ihre Sichtweite arg begrenzt war.
Auf den letzten Metern bis zum Grund bremste sie sanft ab, um das Netz, dass sie nur wenige Stunden zuvor mit einem Stein beschwert und festgemacht hatte, wieder zu befreien. Schnell fand sie eben jenen Stein und hievte ihn, durch die Dichte des Wassers erleichtert, von dem Ende des dünn-maschigen Netzes, dass sich bis zum anderen Ecke über den Abgrund erstreckte, welchen Noa von hier nicht erblicken konnte. Aber sie wusste, dass auf der anderen Seite, des tiefen, unnatürlichen Schlund mitten im Meeresboden ihr Cousin Mijo eben in diesem Moment einen ähnlichen Stein vom gigantisch großen Fischernetz nahm. Bevor das Netz sich selbstständig machen konnte, nahm Noa die Leine, die das Ende des Geflechts markierte, fest in die Hand und schwamm damit wieder in Richtung Sonne. Sie hatte nur noch wenig Luft, durfte jedoch nicht zu schnell aufsteigen, damit sich ihr Körper an den nachlassenden Druck gewöhnen konnte. Aber dadurch, dass sie die Arme nicht frei hatte, war sie sowieso verlangsamt. Ebenso musste sie in etwa zeitgleich mit Mijo auftauchen, da das Netz sonst quer durch den Ozean gespannt war und die Gefahr von Beschädigung viel höher war.
Noa hatte schon eine gute Strecke geschafft, als die Leine in ihren Händen sich ruckartig weigerte, sich auch nur einen Zentimeter weiter nach oben zu bewegen. Sie rüttelte noch mehrmals daran, aber vergebens. Sie begriff, dass sich das Netz irgendwo verhakt haben musste. Die Zeit drängte, sie konnte natürlich ohne Netz an die Oberfläche schwimmen, würde jedoch dabei den kompletten Fang zu Nichte machen und ihren Vater und die anderen Fischer sehr enttäuschen, oder sie musste wieder nach unten und das Problem beheben. Nach kurzem Zögern tauchte sie wieder abwärts. Wahrscheinlich hatte sich eine Masche an einem spitzen Stein verhakt, so etwas kam öfters vor und war einfach zu beheben. Die richtige Stelle zu finden war einfach, sie musste ja nur dem Netz aus ihrer Hand bis zur Problemstelle folgen.
Doch als Noa, wieder auf dem Meeresgrund, die Ursache fand, war die Lage weitaus schwieriger als angenommen. Ein Hai hatte sich, am Grund des Meeres nach Nahrung suchend, in Panik schwer im Netz verfangen. Er hatte sich vermutlich sehr lange gewunden und sich hilflos in immer mehr Maschen eingefädelt. Alleine das Gewicht des Hais, das nach Noas erster Schätzung mehrere hundert Kilo betrug, hatte sie am weiteren Aufsteigen an die Wasseroberfläche gehindert. Sie musste nun das große Tier irgendwie befreien und dann schleunigst wieder zur Wasseroberfläche zurückkehren. Noa war schon mehrere Minuten unter Wasser und auch wenn sie eine geübte Taucherin war, musste sie bald Luft holen.
Eine Idee braute sich in ihrem Kopf zusammen, während der Haifisch vermutlich schon sein Stunden schwach in seinem Gefängnis zappelte. Um die Hände frei zu bekommen, befestigte Noa die Leine, die sie immer noch trug, unter einem Stein und suchte den Meeresboden nun nach einer anderen Art von Stein ab. Dieser musste klein und spitz sein. Während ihre Augen den Meeresboden scannten, veränderte sich die Umgebung. Die leere, dunkle Wasserlandschaft begann sich hier, wo sie suchte, mit aller Arten von großen und kleinen Fischen zu füllen. Es hätte Noa klar sein müssen, wohin sie immer weiter schwamm, aber trotzdem erstarrte sie, als sich vor ihr in tiefen schwarz der Abgrund auftat, aus dem tausende Fische ihr entgegenkamen, die in dem lichtlosen Loch hausten und sich an dessen Rand an der wenigen Sonne erfreuten. Ganze Schwärme der verschiedensten Arten schwammen an ihr vorbei ohne auch Notiz von ihr oder dem Hai zu nehmen, tauchten in die Dunkelheit des gigantischen Abgrunds ab oder verschwanden zwischen den Korallen, die jetzt den Meeresboden bevölkerten.
Als sie endlich ihren Blick von diesem gleichzeitig faszinierenden und unheimlichen Schauspiel abwenden konnte, sah sie nicht weit von ihr einen Stein, der für ihr Vorhaben bestens geeignet schien. Schneller als sie eigentlich durfte schwamm sie mit dem Stein in der Hand zu der Stelle zurück, an dem sich der Hai im Netz verfangen hatte. Sie musste ihren Atemreflex mittlerweile unterdrücken. Sie wusste, dass sie noch eine Minute vielleicht aushalten konnte, bevor sie entweder bewusstlos würde oder einatmen müsste, was ihr sicherer Tod wäre.
Mit misstrauischen Augen sah der riesige Hai das dreizehnjährige Mädchen an, das auf ihn zu schwamm. Trotz seiner Befangenheit könnte er sie locker mit seinem Zahn besetztem Maul in zwei Teile reißen, sollte sie ihm zu nah kommen.
Noa versuchte ruhig zu bleiben, damit die Panik angesichts ihrer Zeitknappheit und der Gegenwart des tödlichen Raubtiers sie nicht übermannte. Absichtlich schwamm sie frontal auf den Hai zu. Wenn sie probieren würde, unbemerkt von hinten die Maschen aufzuschneiden, würde der Hai bei einer plötzlichen Berührung sofort Erschrecken und sie mühelos töten. So zeigte sie sich offen und versuchte gleichzeitig harmlos, aber nicht wie ein Haihappen auszusehen. Erst als sie einen Meter von dem großen Meerestier war, tauchte sie in einem Bogen zu seiner Seite, jedoch hielt sie immer Blickkontakt. Der Hai ließ sie gewähren und Noa begann, jetzt nur noch Zentimeter von seinen Flossen entfernt, mit dem spitzen Stein die Maschen zu kappen. Als das große Tier bemerkte, dass es wieder mehr Bewegungsfreiheit bekam, wand es sich in der Hoffnung schneller frei zu bekommen, machte so aber ihre Arbeit unmöglich. Sie musste mehrere wertvolle Sekunden warten, bis sich es beruhigt hatte und sie weitermachen konnte.
Als der Haifisch nun endlich frei war und davon schoss, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden seine Retterin doch zu verspeisen, nahm Noa hastig die Leine wieder unter dem Stein hervor und machte sich mit ihrer letzten Luft wieder auf an die Oberfläche.
War ihr Hinweg ebenso lang gewesen? Es fühlte sich für sie an, als wären das Licht und die ersehnte Luft nur wenige Meter über ihr und trotzdem kam sie ihnen scheinbar nicht näher. Der Gedanke an Luft war nun alles, was sie erfüllte. Nicht atmen! Nicht atmen!, betete sie sich im Geiste immer wieder vor, während sie immer schneller mit Armen und Beinen strampelte. Sie stieg zu schnell auf, wurde ihr bewusst. Das war gefährlich, doch der Drang zu Atmen war wichtiger als alles Andere. Dem immer wieder auftretenden Atemreflex widerstand sie nur mit großer Mühe. Die Wasseroberfläche war nun zum Greifen nah, doch gleichzeitig Meilenweit entfernt. Ihr wurde schwarz vor Augen und ihr Geist begann abzudriften. Die immer schneller und panischer werdenden Schwimmbewegungen ihrer Beine erlahmten plötzlich, als sich alles in ihr verkrampfte und ihr Körper sich ihr verweigerte. Noa hatte keine Kontrolle mehr über ihn, als ihre Lungen sich weiten wollten und sich ihre Atemwege öffneten.
Hustend atmete sie das salzige Wasser ein. Das schreckliche Gefühl des Ertrinkens setzte ein. Die geisterhafte Stimme ihres Vaters hallte in ihrem Kopf wieder, als er das Tauchen beibrachte. „Vergiss nie, dass deine Sicherheit vorgeht! Wenn du nur noch weniger als die Hälfte deiner Luft hast, musst du sofort umkehren! Verstehst du, Noa?" Sie hatte genickt, doch innerlich hatte sie diesen Worten kein Gehör geschenkt. Mit nur der Hälfte ihrer Luft, hätte sie niemals geschafft bis zum Grund zu Tauchen und wieder zurück. Damals, als sie zum ersten Mal mit ihrem Vater zum Fischen rausfahren durfte, war sie zehn Jahre alt gewesen. Das war nun drei Jahre her und Noa hatte seitdem jeden Tag im Wasser verbracht, außer als sie mit elf Jahren einen schrecklichen Husten bekommen hatte.
Eben jenes Gefühl des Erstickens war das Grausamste gewesen, was sie je verspürt hatte, und jetzt musste sie mit eben jenem elenden Gefühl ertrinken.
Ihre lautlosen Schreie wurden vom Wasser erstickt und blieben ungehört. Das war das Ende. Noch nie hatte Noa je an ihren Tod gedacht, sterben schien so irreal und unwirklich. Sie hatte gar an die Existenz ihres Todes und ihrer Sterblichkeit nicht geglaubt.
Weiter drang Wasser in ihre Lungen ein, beschleunigt durch ihr weiteres reflexartiges Luftholen, über das sie längst keine Kontrolle mehr hatte. Gerade in dem Moment, als ihre von Panikreflexen geschüttelten Glieder erschlaffen wollten, durch brach ihr Kopf die Oberfläche des Ozeans und sogleich wurde sie von starken Armen gepackt und mühelos in die Luft und auf das Boot gehievt.
Noa hustete und spuckte Wasser, atmete heftig ein und aus, sodass ihr ganzer Bauch bebte. Noch nie hatte ein Atemzug besser getan.
„Noa? Bist du verletzt? Geht es dir gut?", fragte eine besorgte, für einen Mann recht hohe Stimme ihres Vaters, doch sie war zu beschäftigt zu atmen, als dass sie eine Antwort hervor bringen konnte.
Nach und nach beruhigte sich ihr Puls und sie fing an ihre Umgebung wahrzunehmen. Sie lag auf dem Deck des Bootes aus Schilf und leichtem Holz, das ihrem Vater gehörte. Sie öffnete die Augen und sah in sein besorgtes Gesicht. Hinter ihm stand Andu, sein Steuermann, ein Hühne von einem Mann mit kräftigen Arm- und Brustmuskeln, der aber, trotz seines groben Aussehens, einer von Noas besten Freunden im Dorf war. Er war es auch gewesen, der sie, als sie an die Wasseroberfläche kam, auf das Fischerboot gehoben haben musste. Mit Erleichterung erblickte Noa bei weiterem Umschauen, dass die Leine des Netzes, die sie vom Grund des Meeres geholt hatte, ordnungsgemäß am Heck des kleines Boots fest gemacht war. Anscheinend hatte sie es trotz ihrer panischen Krämpfe nicht losgelassen und Andu oder ihr Vater hatten es dann festgebunden.
„Noa! Wie oft habe ich dir gesagt, dass du, wenn du keine Luft mehr hast, sofort auftauchen musst!", tadelte ihr Vater sie, als er sah, dass Noa sich etwas erholt hatte.
„Ich musste noch einmal nach unten, weil sich ein Hai im Netz verfangen hatte!", erklärte Noa trotzig.
Ihr Vater sah sie scharf an, denn sie hatten dieses Gespräch schon öfters geführt. „Der Fang eines Tages ist nicht so wichtig wie dein Leben Noa!", dann wurde er von einem Ruf von der Seite abgelenkt, dessen Ursprung sie nicht ausmachen konnte.
Sie setzte sich auf und sah ein zweites Fischerboot, drei Schiffslängen von ihnen entfernt, auf dem zwei Männer und ein Junge herübersahen. Es waren ihr Cousin Mijo, sein Vater Tei und ihr Steuermann Syllo.
Ihr Fischerboot war etwa vier Meter lang, anderthalb Meter breit und sah dem, auf dem sich Noa befand, sehr ähnlich. Es war dieselbe Bauart aus Schilfrohren und Holz, die es leicht und einfach zu manövrieren machte. An dem Heck hing das andere Ende des vollen Netzes, das die beiden Boote zusammen hinter sich her zogen. Auf diese Art fischten Noas Vater und sein Bruder schon ihr ganzes Leben, denn ihr Vater hatte es ihnen schon beigebracht. Genauso wie Noas Vater es nun ihr beibrachte.
„Alles ist in Ordnung!", rief dieser, beide Hände zu einem Trichter geformt der Besatzung des anderen Bootes zu. „Wir können zurück ins Dorf fahren!"
Andu und Syllo gingen jeweils auf ihren Booten zu dem Ruder, während Tei und ihr Vater die Segel setzten. Die Boote waren so konzipiert, dass sie mit zwei Mann ausreichend besetzt waren. Einer bediente das große Ruder zum Lenken und brauchte dafür starke Arme, ebensolche wie Andu und Syllo besaßen. Der andere spannte die Leinen und setzte das Segel. Noa besaß auf dem Boot keine Aufgabe, sie war nur zum Tauchen da, ebenso wie Mijo. Als sie noch kleiner gewesen waren, waren ihre Väter noch zum Grund getaucht, um das Fischernetz über dem Abgrund zu spannen.
Da sich Noa nun wieder viel besser fühlte, stand sie auf und ging leichten Schrittes zum Bug. Der Wellengang machte ihr nichts aus, denn sie hatte gelernt ihr Gewicht passen dazu zu verlagern, sodass sie das Schwanken des Boots nicht aus dem Gleichgewicht brachte. Sie sah, dass ihr Cousin ihr zuwinkte.
„Mijo! Komm rüber!", rief sie, was man ihm nicht zweimal sagen musste. Mit einem geübten Kopfsprung sprang er in das klare, blaue Wasser und überwand die Meter zwischen den beiden fahrenden Booten in kurzer Zeit. Noa hielt ihm die Hand hin und zog ihn aufs Deck. Mijo war schon vierzehn, ein halbes Jahr älter als sie, und seine hellbraunen Haare, die ihm nicht ganz bis zur Schulter reichten und ihm in die Stirn fielen, waren von der Sonne an vielen Enden blond gefärbt. Er war nur wenige Zentimeter größer und trug, ebenso wie sie, nur hellbraune Shorts aus Leinen.
Zusammen legten sie sich auf das Vorderdeck, ließen sich von der Sonne trocknen und beobachten die wenigen Wolken am sonst strahlenden Himmel.
„Was ist eben passiert, warum du so lange gebraucht hast?", fragte Mijo nach einer Zeit neugierig.
„Da war ein Hai im Netz gefangen", erzählte Noa. „Ich musste ihn befreien, um es hoch holen zu können.
„Cool!", sagte ihr Cousin bewundernd. „Wie groß war er?"
„So ungefähr ein halbes Schiff?", überlegte sie und fügte etwas traurig hinzu. „Aber leider musste ich das Netz ein wenig kaputt machen. Das muss wieder geflickt werden, bevor wir es morgen wieder benutzen können.
„Egal, ich helfe dir, dann geht es schneller", versprach Mijo und wechselte danach das Thema. „Syllo hat eben erzählt, dass die Männer heute ein großes Feuer machen, zum Räuchern der ganzen Ziegen, die sie geschlachtet haben. Sollen wir das zusammen angucken gehen?"
Noa überlegte. „Gerne, aber ich habe vorher noch Lie versprochen ihn zu besuchen. Wieso werden die Ziegen eigentlich geräuchert und unsere Fische nicht?", fragte sie, weil ihr die Frage gerade in den Sinn gekommen war.
„Die Fische essen wir doch direkt und das Fleisch lagern wir.", sagte Mijo, als wäre es selbstverständlich.
„Fisch schmeckt aber scheußlich!", maulte Noa. „Wieso können wir nicht Fleisch essen und Fische verwahren?"
Mijo musste lachen. „Eine Fischerin, die kein Fisch mag..."
„Ach halt die Klappe und beantworte meine Frage!"
Mijo wurde wieder ernst. „Ich glaube, wenn wir immer Fleisch essen wollen würden, bräuchten wir viel mehr Ziegen und die müssen alle gefüttert und behütet werden. Fische schwimmen ja genug im Meer herum und wir müssen sie einfach nur fangen." Das klang logisch in Noas Ohren und sie fragte nicht weiter nach.
„Wieso musst du denn wieder zu diesem Lie gehen?", fragte Mijo nach einer kleinen Pause. „Niemand aus dem Dorf geht zu ihm und Thes sagt, dass er ein Teufel ist!"
„Lie ist kein Teufel!", empörte sich Noa. „Mich kümmert nicht was Thes sagt! Lie erzählt total interessante Geschichten und ist viel netter als diese alte Oma!" Als sie dies gesagt hatte, drehte sie sich hastig um, ob ihr Vater oder Andu es vielleicht gehört hatten, aber anscheinend waren ihre Worte nicht bis zu ihnen gelangt. Thes war die älteste Frau im Dorf und unterrichtete die Kinder. Außerdem war sie Schamanin und zu ihren Aufgaben gehörte neben der Pflege von Kranken auch das Sprechen auf religiösen Festen. Die Feste waren toll. Alle aus dem Dorf waren immer anwesend und es wurde gesungen, getanzt und gegessen. Das war aber auch das einzig Schöne an Religion.
Noa und ihr Stamm gehörten zu den Abrama, das heißt, sie glaubten an einen Gott und ganz viele andere Propheten. Immer wieder erzählte Thes stundenlang irgendwelche langweiligen Geschichten darüber was diese heiligen Personen getan hatten, und Noa schaffte es meistens nach wenigen Minuten weg zu dösen oder gar einzuschlafen, weshalb Thes immer sehr wütend wurde. Lie im Gegenteil erzählte viel interessantere Geschichten, die nicht nur um irgendwelche Personen gingen, die irgendwann einmal irgendwas getan hatten. Lie gehörte nicht zu den Abrama. Er war Einsiedler und lebte auf einem Hügel in der Nähe des Dorfes. Immer wenn ihn jemand in Thes Gesellschaft erwähnte, beschimpfte sie ihn als Ungläubigen, Teufelsanbeter oder als Satan selbst. Viele der Dorfbewohner dachten genauso oder trauten sich nicht, etwas Gegenteiliges zu behaupten, aber wenn man Hilfe brauchte und man aus dem Dorf keine bekommen konnte, ging man zu Lie, denn dieser, da war Noa sehr überzeugt, war ein sehr kluger und weiser Mann, der sich in so gut wie allem auskannte, was es zu wissen gab. Gedankenverloren sah sie vom blauen Himmel weiter zum Bug des Bootes, wo sich nun die Bucht mit den vielen Holzhütten ausbreitete. Hinter den kleinen Häuschen erstreckte sich ein Meer aus Palmen, das den Berg im Hintergrund bis zu einem gewissen Punkt hoch floss, ehe es Erde und rauem Felsen Platz machte. Noa genoss diesen Anblick in der frühen Abendsonne. Das war ihre Heimat: Alura

Die dritte SintflutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt