1 - Die Flucht

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"Mila, wach auf."

Benommen öffne ich die Augen und versuche zu begreifen was los ist. Erst langsam kommen die Erinnerungen von gestern wieder hoch und ich verstehe den nervösen Gesichtsausdruck meines besten Freundes.

"Es wird Zeit."

Seine Stimme zittert und ebenso seine Hand, welche er nach mir ausstreckt. Normalerweise würde ich seine Hand ausschlagen, doch heute ist alles anders. Ab heute wird nichts mehr so sein wie zuvor.

Unerwartet kraftvoll hilft er mir aus meiner Pritsche und lächelt mich vorsichtig an. Obwohl wir seit vielen Jahren eng befreundet sind haben wir uns nie wirklich berührt. Es fühlt sich ungewohnt an ... aber gut.

Stimmengewirr und hektische Schritte lösen uns aus unserer Starre, woraus ich schließe das eine Wache dabei ist alle Türen zu öffnen. Ohne meine Hand loszulassen geht Chu auf den Gang. Menschen strömen mit schnellem Schritt in eine Richtung und wir schließen uns ihnen an.

Ich habe immer erwartet das Ende der Erde wird mit rotem Warnlicht und einer ohrenbetäubenden Sirene angekündigt. Stattdessen höre ich nur unruhige Stimmen und das Trampeln der Menschen auf dem Boden. Es herrscht Weltuntergangsstimmung, das kann ich deutlich fühlen. Trotzdem bleibe ich ganz ruhig. Wir wussten alle, dass dieser Tag bald kommen würde.
Chu scheint sich etwas beruhigt zu haben, wobei ich ihn gut genug kenne um zu wissen, dass es in seinem Inneren anders aussieht als er sich gerade gibt. Ich möchte ihm gerade beruhigende Worte zusprechen, da ertönt plötzlich eine schallend laute Durchsage.

"Achtung, Achtung! Alle Einwohner begeben sich umgehend zu Sektion Alpha 3! Achtung, Achtung! ..."

Immer mehr Menschen gehen aus ihren Zimmern auf den Gang und schließen sich der braunen Masse an. Die Einheitskleidung in unserem Bunker störte mich schon immer. Sie erinnert mich daran, dass auch wenn ich zu den letzten Menschen gehöre, ich vollkommen unbedeutend bin.

Vor uns entdecke ich Kayla und ich beschleunige meine Schritte. Da Chu immer noch meine Hand hält ist er gezwungen sein Tempo an mich anzupassen. Mit meiner freien Hand berühre ich sanft ihre Schulter. Vor Schreck zuckt sie kurz zusammen bevor sie sich zu uns umdreht.

"H-Hey Leute", begrüßt sie uns. Durch die laute Durchsage verstehe ich ihre Worte nicht, aber anhand der Bewegung ihrer Lippen kann ich mir denken was sie gesagt hat. Mit ihren geröteten Augen betrachtet sie uns ängstlich. Vermutlich konnte sie die ganze Nacht kein Auge zumachen. Als sie bemerkt, dass ich mit Chu Händchen halte schaut sie schnell in eine andere Richtung. Kaylas Wangen röten sich und auf einmal habe ich ein schlechtes Gewissen. Seit einiger Zeit fällt mir immer wieder ihr schwärmender Blick auf, wenn Chu in der Nähe ist. Ich werde ihr später das Missverständnis erklären.

"Hab keine Angst, es wird schon alles gutgehen." Mit meiner freien Hand greife ich nach der Ihren und halte sie fest. Im ersten Moment schaut sie mich verwirrt an, doch schnell begreift sie das ich den Halt ebenso sehr brauche wie sie. Keiner von uns weiß, ob wir die Flucht überleben werden. Zwar ist es besser als hier einen qualvollen Tod zu sterben, aber die Ungewissheit macht den Meisten noch mehr Angst.

Nach einer Weile des Schweigens erreichen wir endlich Sektor Alpha 3. Vor uns befindet sich der Einstieg in das Raumschiff, welches uns hoffentlich alle retten wird. Mit beklemmendem Gefühl steige ich hinter Chu die Rampe nach oben. Das wir dabei alle sterben könnten macht mir keine Angst, sondern wann und wo wir wieder aufwachen werden. Ob wir auf dem fremden Planeten wirklich überleben können und ob es dort anderes Leben gibt.
Chu muss meine Anspannung bemerkt haben, denn er streichelt sanft mit seinem Daumen meinen Handrücken. Ich bin ihm wirklich dankbar, dass er mich geholt hat. Ohne ihn würde ich wahrscheinlich durchdrehen, sobald ich mich in die Kapsel lege.

Eine Wache teilt uns in strengem Ton mit, wo unsere Kapseln sind und wie wir dort hinkommen. Die ganze Zeit über lassen wir uns nicht los, laufen in einer Kette hinter Chu her. Erst als wir vor unseren Kapseln stehen lösen wir die Griffe.

"Bevor wir für keine Ahnung wieviele Jahre schlafen und wahrscheinlich nie wieder aufwachen muss ich noch etwas loswerden.", sagt Kayla plötzlich mit gepresster Stimme. Ihre Wangen werden rot und nervös tritt sie von einem Bein auf das Andere. Chu und ich sehen sie verwundert an, auch wenn ich mir bereits denken kann was sie auf dem Herzen hat.
"Chu, ich bin schon eine Weile in dich verliebt. Ich konnte es dir nicht sagen weil ich Angst hatte, dass das unsere Freundschaft zerstören würde. Aber wenn ich daran denke, dass das unsere letzten lebenden Augenblicke sein könnten muss ich es einfach loswerden..." Die ganze Zeit hat sie ihren Blick gen Boden gerichtet, doch beim letzten Satz schaut sie Chu direkt in die Augen.
"Chu, ich liebe dich."

Geschockt von ihrem Geständnis schaut er erstmal mich an, was mehr sagt als tausend Worte. Sein Blick spiegelt Bedauern wieder. Er empfindet nicht das Gleiche für sie, sondern für mich.

"Kayla, ich-", wollte er auf ihre Aussage antworten, jedoch kam sie ihm zuvor.

"Nein, sag nichts. Ich habe das nicht gesagt weil ich das Gleiche von dir hören wollte, sondern weil ich es dringend loswerden musste. Es ist okey, wirklich. Ich weiß das du eine Andere liebst." In ihren Augen sammeln sich Tränen die sie krampfhaft versucht zurückzuhalten. Auch wenn sie sagt, dass es ihr nichts ausmacht wusste ich, dass sie es nicht so meinte. Sie wollte Chu lediglich kein schlechtes Gewissen machen. Langsam gehe ich auf Kayla zu und nehme sie in den Arm.

Ein lauter Warnton signalisiert uns, dass es Zeit wird sich in die Kapseln zu legen. Ich lasse meine beste Freundin los und beobachte wie sie sich in den engen Behälter hineinlegt. Der Deckel fährt mit einem leisen zischen automatisch herunter und verdeckt uns die Sicht auf sie.

Als ich in meine Kapsel steige bemerke ich an Chus Gesichtsausdruck, dass er mir auch noch etwas sagen will. Mit einem verständnisvollen Lächeln blicke ich ihn an und nicke, bevor der Deckel mich in völlige Dunkelheit taucht.

Ich versuche Ruhe zu bewahren als ich merke wie Gas in meine Kapsel einströmt und mich schläfrig macht. In Gedanken bin ich bei meinen Freunden und wünsche ihnen eine gute Reise.

Nichts wünsche ich mir sehnlicher als das sie es lebend schaffen.


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So, das war mein erstes Kapitel von der Geschichte "other life". :)

Ich habe eine gaaaanz grobe Vorstellung davon, was noch passieren wird. Darunter fällt natürlich auch die verwirrende Beschreibung :D

Ich würde mich über Vorschläge sehr freuen, was im weiteren Verlauf passieren könnte. Für das nächste Kapitel habe ich schon einen Plan, aber danach gibt es sehr viel Spielraum wie die Geschichte weitergehen könnte. Zwei bis drei Punkte sind fix aber ich bin mir sicher, dass ich einen Weg finde das zu verbauen :)

Viel Spaß beim Lesen. ^-^

Other lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt