Voller Entsetzen betrachte ich die vor mit im Wasser treibenden Leichen. Wie konnte das passieren? Sind sie gefallen oder ... wurden sie geschubst?
Wackelig stelle ich mich auf die Beine, damit ich mir einen besseren Überblick verschaffen kann. In meinem Magen grummelt es und mir wird übel, doch ich zwinge mich zur Konzentration.
Flussaufwärts erkenne ich zwei Flöße, wovon das eine halb über dem anderen liegt. Sie sind also kollidiert und wurden dadurch vom Floß geworfen. Jetzt bleibt nur noch die Frage, war es Absicht?
Langsam bewegen sich meine Füße flussaufwärts, da ich auf die Entfernung nicht genau ausmachen kann, ob die Körper, welche sich auf dem Floß befinden noch leben, oder ebenfalls ertrunken sind.
Chu erhebt sich ebenfalls und bleibt dicht hinter mir, während er versucht einen klaren Gedanken zu fassen.
Als ich näher komme, bemerke ich, dass die Menschen, welche sich am Floß festhalten, noch leben und verzweifelt versuchen auf unsere Seite zu gelangen. Doch da die Paddel von der Strömung fortgetragen wurden erweist sich das als äußerst schwierig. Mit einem Knoten in meiner Brust sehe ich auch, dass ein paar sich durch die starke Strömung nicht mehr am Floß festhalten konnten und nun im Wasser um ihr Leben zappeln. Hineinzuspringen und irgendwie zu versuchen ihnen zu helfen wäre Selbstmord gewesen, weswegen Chu und ich ihnen nur beim Ertrinken zuschauen konnten.
"Wir müssen doch irgendwas tun...", sage ich mehr zu mir selbst als zu Chu.
"Unsere Paddel", gibt er mir zur Antwort und läuft wie in Trance zu unserem Floß. "BEEIL DICH DOCH", brülle ich ihm zu und er scheint aus seiner Trance zu erwachen. So schnell ihn seine Füße mit der erhöhten Schwerkraft rennen lassen sprintet er zu unseren Paddeln und holt beide. Wieder bei mir angekommen drückt er mir eines in die Hand. Mit diesem laufe ich etwas Flussaufwärts, bis ich nah genug an den beiden Flößen war, um das Paddel den Menschen als Hilfe entgegenzustrecken.
Dabei muss ich stark aufpassen nicht selbst im Wasser zu landen. Zur Sicherheit halte ich mich an einem kleinen Baum fest, welcher am Ufer wächst. Er sollte stark genug sein damit sich zwei Menschen an ihm festhalten können. Etwas unbeholfen packe ich das Paddel an dem Ende, wo es dicker wird, damit es mir nicht aus Versehen aus der Hand rutschen und ins Wasser fallen kann.
"Schnell haltet euch daran fest!", schreie ich und streckte meiner Gruppe das Paddel entgegen. In Gedanken hoffe ich inständig, dass der kleine Baum das aushalten wird. Um alle nacheinander herauszuziehen bleibt keine Zeit und nicht genug Bäume flussabwärts. Die Strömung trägt die Flöße schneller, als ich hinterherrennen kann, weswegen dieser Versuch die einzige Chance ist um alle zu retten.
"Haltet euch aneinander fest!", brülle ich eine weitere Anweisung. Tom hält sich als erster an meiner improvisierten Rettungsleine fest. Mit beiden Händen umgreift er das nasse Holz und dreht seinen Kopf zu den anderen um.
"Schnell, umarme mich", sagt er zu einem Jungen direkt neben ihm. Dieser zögert keine Sekunde und umgreift mit beiden Armen den Bauch von Tom. Andere folgen seinem Beispiel, wodurch eine kleine Menschenkette entstand.
Mit aller Kraft umklammere ich mit meiner rechten Hand das Paddel. Meine nächste Sorge ist, dass das Holz brechen könnte. Mit meinem linken Arm umschlinge ich den Arm, denn die Kraft aus meiner Hand hätte nicht ausgereicht und mich mit in den Fluss gerissen.
Heute ist mein und aller anderen Glückstag. Mit aller Mühe und Kraft habe ich es geschafft, dass alle sicher ans Ufer gekommen sind und an Land kriechen konnten. Nun liege ich völlig erschöpft im Gras und schaue hinauf in den mir fremden Himmel.
Ich sollte lächeln vor Glück, aber mein Gesichtsausdruck ist völlig gleichgültig. Chu hatte es geschafft einen zu retten, aber die anderen sind entweder zu weit weg gewesen oder bereits tot. Wir haben in etwa 5 Gruppenmitglieder verloren. Über diesen Verlust kann ich einfach nicht lächeln. Natürlich bin ich froh, dass die anderen fünf es geschafft haben. Doch der Tod der anderen fünf war sinnlos.
Sie hätten einfach etwas warten müssen, bevor sie mit ihrem Floß ins Wasser gegangen wären. So einfach wäre es gewesen, doch nun sind so viele Menschen von uns gegangen. Ich kann es einfach nicht verstehen.
"Komm, wir müssen weiter." Chu hat sich über mich gebeugt und redet in einem sanften Ton mit mir, als würde ich zerbrechen, wenn er nur falsch mit mir redet. Mir ist nach weinen zumute, doch ich schlucke meine Trauer runter und richte mich auf.
Ich habe eine Gruppe, die ich sicher zu den Anderen bringen muss.
~*~*~
Die Sonne steht tief am Horizont als wie die anderen erreichen. Schweren Herzens muss ich ihnen mitteilen, was geschehen ist. Zwei fangen sofort an zu weinen, denn sie haben die Toten gut gekannt und waren mit ihnen befreundet gewesen. Zu gerne wäre ich mit eingestiegen in die Trauer, doch ich darf mich nicht ablenken lassen.
Die Gruppe, die vorausgegangen ist, hatte bereits gute Arbeit geleistet. Sie haben in Rekordzeit ein Lager aufgeschlagen, auch wenn es sehr klein ist. Leider haben wir durch die Kollision der zwei Flöße viele Ressourcen verloren, wie die meiste Nahrung. Wenn wir die Tage nichts zu essen finden werden wir alle verhungern.
In unserem Lager stehen unsere vier Zelte und ein kleiner Bereich für ein Lagerfeuer. Umzäunt ist es von Holzpflöcken, welche zwar keine Kreatur aufhalten würden, aber uns ein Gefühl der Sicherheit geben.
Dankbar darüber, dass wir im Lager nicht mehr helfen müssen begeben wir uns erschöpft von den Ereignissen des Tages in die Zelte. Diesmal bin ich mit Chu, Daon, Yuni und Tom in einem Zelt. Chu verdreht unmerkbar die Augen, als Tom das Zelt betritt.
Unser Zelt steht zwischen dem kleinen Lagerfeuer und den anderen Zelten, wodurch es niemand hören würde, wenn wir flüsternd unsere nächsten Schritte besprechen.
"Tom, magst du uns erzählen was heute im Fluss passiert ist?", versuche ich ein Gespräch anzufangen, da sich bei uns im Zelt eine unangenehme Stille ausgebreitet hatte.
"Eigentlich gibt es da nicht viel zu erzählen. Meine Gruppe ging als vorletztes in den Fluss und die Gruppe, die nach uns dran war, startete zu früh. Deshalb sind wir zusammengestoßen... Dabei ist die Hälfte in den Fluss gefallen." Er machte eine kurze Pause und atmete tief ein, bevor er weiter sprach. Man konnte deutlich das Zittern in seiner Stimme hören. "Ich konnte mich durch Glück am Floß festhalten, während meine ganze Gruppe fortgespült wurde. Einer aus der anderen Gruppe wurde ebenfalls umgehauen, weil er gestanden hatte. Wärst du nicht gekommen... wir wären alle nicht mehr hier. Ich wäre nicht mehr hier." Tom hörte auf zu reden und erneut breitete sich Schweigen im Zelt aus. Auch wenn Tom versuchte es zu verbergen merkte ich, wie er leicht schluchzte.
Vorsichtig bewegte ich mich im Dunkeln über Chu hinweg, sodass ich nun zwischen Chu und Tom lag. Von Chu gingen regelmäßige Atemzüge aus, weswegen ich mir sicher war, dass er bereits schläft.
Sanft berühre ich Tom an der Schulter, warte auf seine Erlaubnis. Als er sich nicht aus meiner Berührung löst, drücke ich ihn an mich und halte ihn in meinen Armen zum Trost.
Eine ganze Weile liegen wir so da, während Tom seinen Kummer an meiner Schulter auslässt, wodurch mein Kopf auf seinem liegt. Irgendwann merke ich wie er sich beruhigt und langsam in den Schlaf gleitet. Erst jetzt erlaube ich mir ein kleines Lächeln, lege mich gemütlich hin und schlafe ebenfalls ein.
Erst der verzweifelte Schrei nach Hilfe reißt mich aus dem Schlaf.
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Other life
FantasyMit pechschwarzen Augen sieht die Kreatur mich an. Ihr Gesicht zeigt keinerlei Ausdruck von Mitgefühl oder Schuld. Der Blick ist emotionslos. Wie ein Tier bin ich gefesselt. Hilflos, in der Falle. Niemals werde ich hier lebend rauskommen. Das eist d...