4 - Die Anführerin

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Wie bei der Abreise von der Erde folge ich dem Strom der Menschen. Allerdings sind wir dieses mal auf dem Weg zu größeren Kapseln, die uns sicher auf den neuen Planeten bringen sollen. Chu läuft neben mir ohne mich zu berühren. Auch wenn er selbst trauert versucht er immer mich aufzuheitern, jedoch ohne viel Erfolg. Ich habe noch nie einen Menschen verloren weil wir alle ohne Familien aufwachsen. Dieses System wurde vor langer Zeit eingeführt und niemand hat dagegen etwas auszusetzen.

Ich habe einmal gelesen, dass tote Lebewesen früher aus Glaubensgründen beerdigt wurden. Obwohl ich den Sinn dahinter nicht verstehe würde ich Kayla gerne beerdigen. Leider geht das nicht, ihre Knochen wären nur unnötiger Balast. Der Platz wird laut Aussagen der Wächter für wichtigere Dinge wie Werkzeuge benötigt.

Chu packt mich am Arm und zieht mich nach links. Die Masse teilt sich und reiht sich in Schlangen ein, da so viele Menschen auf mehrere Kapseln verteilt werden müssen. Ich fühle mich wie benommen, komme mit dem schmerzenden Knoten in meiner Brust nicht klar.

Ich habe das Gefühl zu ersticken.

"Mila, du weinst." Chu reicht mir ein Taschentuch damit ich meine Tränen trocknen kann. Verwundert schaue ich das Tuch an und fasse mir anschließend an die Augen. Das ich weine habe ich nicht einmal bemerkt. Dankbar nehme ich es und trockne meine Augen.

Was ist mur mit mir los? Ich erkenne mich nicht wieder. Normalerweise bin ich die Starke in unserer Freundschaft, die für den Anderen da ist und ihn wieder aufbaut. Im Moment ist Chu mein Anker. Er hält mich fest bevor ich in meinem Gefühlschaos ertrinke.

"Danke", sage ich und lächle zum ersten mal seit Tagen. Es fühlt sich ungewohnt an und fast habe ich ein schlechtes Gewissen wegen Kayla. Jedoch hätte sie nicht gewollt, dass ich ihretwegen in Trauer versinke.

Mit dem Beschluss wieder zu kämpfen nehme ich einen letzten, tiefen Atemzug und betrete hinter Chu die Kapsel.

~*~*~

Bevor der Fallschirm aufgeht fühlt es sich an als würden wir alle gleich auf dem Boden zerschellen. Fest halte ich Chu's Hand und hoffe die Landung zu überleben. Wenn wir jetzt scheitern war der ganze Tripp umsonst gewesen.

Nun stehe ich auf dem neuen Planeten und schaue mich staunend um. Er sieht genauso aus wie die Erde auf den Bildern von früher, bevor die Sonne alles verbrannte. Zu dem Schutz von unseren Augen tragen wir spezielle Brillen, welche die Helligkeit der Sonne runterregeln. Die Luft fühlt sich fremd an und ich fühle einen leichten Schwindel je mehr ich davon einatme. Wir sind ohne die Werte davon zu testen einfach ausgestiegen. Wenn die Luft für uns nicht atembar wäre, wären wir früher oder später sowieso erstickt.

Mit offenem Mund betrachte ich die Umgebung. Wir befinden uns auf einem mit Gras bewachsenem Hügel. Vor uns erstreckt sich eine relativ flache Ebene, durch die ein Fluss seinen Weg sich bahnt. Zu unserer Rechten befindet sich ein Wald, mit so vielen Bäumen wie ich niemals zählen könnte. Am Horizont erblicke ich Berge deren Spitzen die Wolken berühren.

Ich hätte mir nie ausmalen können wie wunderschön ein Planet sein kann.

In einiger Entfernung sehe ich wie eine weitere Kapsel dank dem Fallschirm langsam zu Boden gleitet.

"Was sollen wir jetzt tun?", möchte Chu von mir wissen. "In unserer Kapsel war kein Wächter dabei der uns Anweisungen geben könnte." Mit musterndem Blick sieht er mich an. Wahrscheinlich fragt er sich woher mein plötzlicher Sinneswandel, die Trauer abzulegen um mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, kommt.

"Wir gehen zu den Anderen. Vielleicht ist bei ihnen ja ein Wächter dabei." Ich stelle mich auf einen Stein und schaue in die Gruppe Menschen, welche allesammt staunend die Umgebung betrachten.

"Hört mal her!", spreche ich mit lauter und sicherer Stimme. Sofort drehen sich alle Köpfe zu mir um und starren mich an.

"Das ist das Mädchen was einen Zusammenbruch hatte...", tuschelt ein Mädchen zu ihrer Freundin. Bei der Erinnerung an Kayla verspüre ich einen schmerzhaften Stich in meiner Brust, den ich mit einem tiefen Atemzug versuche zu ignorieren.

"Ich schlage vor, dass wir uns alle unten am Fluss mit den anderen Menschen treffen. Weil wir die erste Kapsel waren kamen wir auch zuerst an, doch wir dürfen nicht vergessen wieso wir hier sind. Wir kamen mit dem Ziel hierher die Menschheit zu retten und das gehr nur indem wir zusammen halten. Uns aufzuteilen würde nur das Gegenteil bewirken, vor allem auf einem fremden Planeten." Die Menschen nicken zustimmend, nur das Mädchen von eben verschränkt genervt ihre Arme. Ich warte überlege kurz wie ich weiter machen soll, weil meine Rede spontan ist und ich mir daher nichts überlegt habe.

"Was sollen wir tun?", fragt Chu mich so laut, dass alle es hören können. Ich denke einen Moment nach bevor ich ihm antworte.

"Jeder nimmt sich einen Rucksack und Werkzeuge aus der Kapsel. Die Mädchen nehmen zuerst und schauen was sie tragen können. Danach nehmen die Jungs den Rest. Da ich nicht weiß wie lange der Tag noch geht werden wir durchlaufen, so weit wird es ja nicht sein." Ich blicke in die Runde von Gleichaltrigen und warte, aber anstatt sich zu bewegen schauen mich alle an.

"Auf gehts", sage ich und begebe mich zur Kapsel um als Erstes einem Rucksack und ein Beil herauszunehmen. Zudem nehme ich einen Bogen sowie einen Köcher mit Pfeilen. Nachdem ich fertig bin nehmen die anderen Mädchen ebenfalls einen Rucksack.

Etwas unsicher stelle ich mich neben Chu, lasse mir allerdings nichts anmerken. Gerade jetzt muss ich stark sein. Für uns alle.

"Ich wusste schon immer, dass in dir die geborene Anführerin steckt", flüstert er mit leise in mein Ohr, bevor er ebenfalls zur Kapsel geht.

~*~*~

Die Sonne brennt heiß und unbarmherzig auf uns herab. Schon bald sind wir durchnässt von Schweiß und keuchen unter der Last der Dinge, die wir schleppen müssen. Der Sauerstoff in der Luft ist viel höher als gewohnt, wodurch mir bereits nach einigen Minuten schwindelig wird.

"Können wir nicht doch eine Pause machen?", ertönt eine Stimme von weiter hinten. Da ich die Führung der Gruppe übernommen habe laufe ich an der Spitze und gebe das Tempo vor. Da wir keine Uhren besitzen weiß ich nicht wie lange wir schon laufen, aber es ist sicher eine oder gar zwei Stunden gewesen.

Ich bleibe stehen und drehe mich um damit ich die Verfassung der Leute einschätzen kann.

Allen steht der Schweiß in Perlen auf der Stirn, welche durch die Sonne glitzerten. Mit offenem Mund keuchen sie und ein paar wanken bei jedem Schritt. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich es nicht schon eher bemerkt habe, dass die Gruppe dringend eine Pause braucht.

"Ja, natürlich. Setzt euch hin und ruht euch aus." Dankbar lassen alle ihre Rucksäcke fallen und setzen sich auf den Boden, immer noch nach Luft schnappend.

Wir waren unser Leben lang auf nicht allzu großem Raum eingesperrt. Erst unter der Erde und anschließend im Raumschiff, wodurch die Meistens ich noch nie wirklich bewegt haben. Das wird ein großes Problem für uns werden. Die andere Kapsel ist noch sehr weit weg und die Sonne ist bereits ein großes Stück gewandert.

Wahrscheinlich werden wir die Nacht alleine auf der Ebene verbringen müssen.

Irgendetwas sagt mir, dass das vermutlich keine gute Idee ist. Es ist ein Gefühl des Unbehagens, zumal wir weder ein Tier gehört, noch gesehen haben.

Wir sind hier ganz allein.

Other lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt