9 - Der Fluss

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  Der Himmel verfärbte sich erst orange und nahm anschließend ein dunkles blau an, als wir vollkommen erschöpft unser Lager an der Kapsel erreichen.

Die anderen Gruppen sind schon längst zurückgekehrt und erwarten unsere Ankunft hoffnungsvoll und mit der Sorge, wir würden es vor Einbruch der Dunkelheit nicht zurückschaffen.

"Na endlich, wir dachten schon ihr wärt einen von diesen Kreaturen begegnet..", begrüßt uns Amelia freudig.
Zur Antwort bekommt sie nur unverständliches Gemurmel und ein Grinsen meinerseits.

Erst als wir uns in der Kapsel eingeschlossen haben erhebe ich das Wort. Mittlerweile haben die Meisten bemerkt, dass wir einen Fremden mitgebracht haben und sehen ihn neugierig an.

"Auf unserem Ausflug auf der Suche nach Nahrung haben wir ein paar Dinge festgestellt beziehungsweise herausgefunden, die ihr dringend wissen müsst." Viele widmen nun mir ihre Aufmerksamkeit, wobei manche weiterhin verwirrt Daon anstarren.

"Das Wichtigste von allen ist, dass wir sobald morgen die Sonne aufgeht, wir den Fluss überqueren müssen." Nun murmeln die Meisten etwas ihrem Nachbarn zu. Vermutlich, dass ich wahrscheinlich den Verstand verloren habe. Von dem Gemurmel lasse ich mich nicht beirren und rede weiter.

"Auf unserer Reise heute sind wir genau zwei Lebewesen begegnet: einer Kreatur und Daon."

"Wie seid ihr entkommen?", ruft Tom dazwischen.

"Tagsüber sind die Kreaturen blind und können uns nur durch ihr Gehör aufspüren. Nachts dagegen können sie einwandfrei sehen. Dass wir auf offener Ebene vorgestern Nacht nicht angegriffen wurden, war pures Glück. Weil sie wasserscheu sind, müssen wir morgen dringend auf die andere Seite vom Fluss, wenn wir nicht als Futter für die Kreaturen enden wollen." Ich beende meine Rede und betrachte die verwirrten, ängstlichen Gesichter. Leider wird über den Fluss zu gelangen ebenso viele Probleme lösen, wie es Neue schaffen wird.
An dieser Stelle tritt Daon ein Stück nach vorne, soweit es bei dem geringen Platz in der Kapsel möglich ist.

"Mein LAger war auf der anderen Seite. Wir sind bereits ein Jahr hier und haben daher einige Dinge über den Planeten in Erfahrung gebracht..."

Während Daon seine Geschichte erzählt versuche ich mir einen Plan auszudenken, wie 21 Menschen unverletzt über einen reisenden Fluss gelangen.
Da ich mit meinen Gedanken woanders bin stupst Chu mich leicht in die Seite, damit ich wieder geistig anwesend bin.

"Ähm... genau. Deshalb müssen wir, drüben angekommen, ein Stück Fluss aufwärts unser Lager erreichten. Weil wir, im Gegensatz zu Daons Gruppe, von den anderen Wesen wissen können sie uns nicht einfach im Schlaf überrumpeln. Unser größtes Problem ist vorerst, wie wir lebendig über den Fluss gelangen. Gibt es Vorschläge?"

Schweigen breitet sich in der Kapsel aus.

"Wie hat es der Fremde über den Fluss geschafft?", möchte Tom wissen.

"Mein Name ist Daon und ich hatte einfach Glück. Außer mir versuchten noch drei weitere über den Fluss zu entkommen. Sie sind alle ertrunken." SEin Gesichtsausdruck verdüstert sich und er blickt zu Boden. Der Schmerz in seinen Augen kommt mir vertraut vor, aber ich frage ihn nicht danach. Nicht vor allen anderen.

"Wenn schwimmen nicht geht, wie wäre es dann mit fahren? Aus dem Holz, welches die Sammelgruppe geholt hat können wir mehrere Flöße bauen und auf die andere Seite paddeln."

Ich denke einen Moment über den Vorschlag nach. Meine Idee wäre gewesen zu der zerstörten Brücke von Daons Lager zu gehen und versuchen von dort aus auf die andere Seite zu gelangen. Allerdings hätte er diesen Vorschlag schon längst gebracht, wenn es möglich gewesen wäre. Daher bleibt uns nur der Versuch mit den Flößen.

"Gibt es noch weitere Vorschläge?" Schweigen. "Also gut, versuchen wir es. Gleich morgen bauen wir in Gruppen Flöße."

                                                                                           ~*~*~

Mein Schlaf geht unruhig, der morgige Tag bereitet mir Sorgen und der viel zu wenige Platz auf einem der Sitze trägt seinen Teil bei. Als ich aufwache, fühle ich mich nicht nur erschöpft, sondern auch verkrampft und angespannt. Mein Blick schweift über meine Gruppe. Alle scheinen friedlich zu schlafen, nur Daon ist wach und starrt durch die Tür nach draußen. Leise, um die anderen nicht zu wecken, erhebe ich mich aus meinem Sitz und stelle mich neben ihn.

Durch das Fenster sehe ich, wie die Sonne langsam aufgeht und den Planeten in ein rötliches und orangenes Licht taucht. Währen nicht die Kreaturen irgendwo da draußen könnte man fast schon meinen, dass es ein sehr friedlicher Planet wäre.

Seufzend öffne ich so leise es geht die schwere Tür und begebe mich nach draußen. Die Luft ist genauso schwül wie im Inneren der Kapsel, weswegen mir bereits in den frühen Morgenstunden der Schweiß auf der Stirn steht. Als ich die metallenen Stufen nach unten gestiegen bin, um mir das Holz anzusehen, bemerke ich, wie die Tür erneut geöffnet wird.

Zu meinem Erstaunen ist es nicht Daon der aus der Kapsel kommt, sondern Tom. Sich mit einer Hand die Augen vor der blendenden Sonne abschirmend steigt er zugig die Metallstufen nach unten, um sich direkt neben mich zu stellen.

"Hast du noch einmal über meinen Vorschlag nachgedacht?", fragt er mich frei heraus. Kein Guten Morgen, kein Wie geht es dir heute. Finde ich gut, das spart Zeit. Vor allem, wenn es den Gegenüber nicht wirklich interessiert, wie es einem geht, sondern einfach nur höflich sein möchte.

"Ja, viel sogar." Beim Reden schlendern wir langsam zu dem großen Stapel an Holz, den die Sammelgruppe am Tag zuvor beschafft hatte.
"Es kann einfach so viel schiefgehen", teile ich Tom meine Sorgen mit. Die Idee mit den Flößen ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit wie wir es an die andere Seite schaffen können, auch wenn es sehr gefährlich ist.

"Mach dir nicht zu viele Sorgen. Was haben wir denn für eine andere Wahl? Du hast selbst gesagt, dass wir nicht hier bleiben können mit den Monstern die hier leben. Wenn sie drüben nicht hinkönnen ist das schon mal ein großes Problem weniger. Um die Einheimischen machen wir uns erstmal gar keine Gedanken. Ein Problem nach dem anderen, habe ich Recht?" Tom zeigt mir sein strahlendstes Lachen, weswegen ich nicht anders kann, als ebenfalls zu lachen. Wie kann er in so einer beklemmenden Situation noch Lachen? Es erstaunt mich.

"Lachst du mich aus?" Sein eben noch so fröhliches Lachen verschwindet und seine Gesichtszüge wurden hart. Erschrocken weiche ich einen Schritt zurück und stolpere über einen im Weg liegenden Ast, welcher über Nacht wohl von dem Holzstapel heruntergefallen ist. Kurz bevor ich auf dem Boden aufschlage, packt Tom meine Arme und hält mich fest, um meinen Sturz aufzufangen. Anschließend lässt er mich sanft auf dem Boden ab.

"Entschuldigung, ich wollte eigentlich einen Scherz machen." Verlegen kratzt er sich am Hinterkopf und betrachtet das Holz. Als er sich wieder traut mich anzusehen, kassiert er einen bösen Gesichtsausdruck. Diesmal ist er es, der erschrickt und einen Schritt nach hinten ausweicht. Ich breche in Gelächter aus.

"Verarscht!", sage ich und lache, während ich versuche aufzustehen. Durch die Hitze und die Schwüle wird mir dabei leicht schwindelig, doch es legt sich direkt wieder. Nun beginnt auch Tom zu lachen.

"Du bist gemein, das zahle ich dir heim."

"Vergiss es, jetzt sind wir quitt. Lass uns lieber darüber nachdenken was wir als Paddel benutzen, um über den Fluss zu kommen." Nachdenklich fasse ich mir an mein Kinn und versuche mir vorzustellen, wie aus den Ästen ein Paddel wird.

"Vielleicht hat jemand aus unserer Gruppe auf dem Schiff Handwerker gelernt", wirft Chu plötzlich ein. Erschrocken drehe ich mich zu ihm um, fühlte mich auf gewisser Weise ertappt. Wieso ist mir unklar.

"C-Chu.. ich habe dich gar nicht kommen hören", stammle ich und schaue verlegen auf das Holz. Wieso ist es mir unangenehm, dass er gesehen hat wie Tom und ich uns geärgert haben? Naja, ich habe momentan weitaus wichtigere Fragen zu lösen. Mit einem tiefen Atemzug wende ich mich Chu zu und schaue ihn entschlossen an.

"Hast du eine Idee, wie wir die Flöße fortbewegen sollen?", frage ich ihn um Rat.

"Ich habe da eine Idee", wirft Daon in die Runde.

                                                                                           ~*~*~

Einige Stunden später sind wir stolze Besitzer von fünf Flößen. Anstatt Paddel haben wir lange, kräftige Stöcke genommen. Laut Daon ist der Fluss nicht sonderlich tief, doch die starke Strömung ist das Gefährliche. Deshalb werden wir nicht gleichzeitig fahren durch die Gefahr eines Zusammenstoßes. Keiner möchte sich ausmalen was für Folgen das haben kann.

Zuerst geht mein Floß ins Wasser. Darauf befinden sich unter anderem noch Chu, Daon, Neil und Yuni. Die Jungs manövrieren das wackelige Floß über den Fluss, während ich ihnen Anweisungen gebe. Yuni versucht ängstlich sich etwas zum Festhalten zu suchen, da die Strömung uns ganz schön durchschüttelt. Nach mehreren Minuten haben wir nicht einmal die Hälfte des Weges geschafft und die Strömung hat uns ein beachtliches Stück davon gespült. Unsere Gruppe ist bereits nicht mehr im Sichtfeld. Langsam werden wir nervös. Wir wissen nicht, ob der Fluss in einem Wasserfall enden wird. Oder ob Raubtiere im Wasser leben, welche uns kentern lassen und anschließend fressen. Sofern wir nicht zuvor ertrunken sind.

Mein Blick geht zu Chu. Voller Konzentration fokussiert er sich darauf uns lebendig auf die andere Seite zu bringen. Auf seiner Stirn bilden sich Schweißperlen von der Anstrengung.

Nach etlichem Kraftaufwand haben wir es auf die andere Seite geschafft. Chu und Daon legen sich keuchend ins Gras und strecken die Arme zu beiden Seiten aus. Yuni und ich haben solange das Floß aus dem Wasser geholt, vielleicht brauchen wir es noch einmal, wer weiß.

Schweigend setzen wir uns ins Gras neben Chu und Daon, welche sich mittlerweile hingesetzt haben.
"Ich hoffe die Anderen schaffen es auch so gut wie wir", teilt Yuni uns ihre Sorgen mit. In stummer Zustimmung schauen wir gedankenverloren flussaufwärts und hoffen auf das Beste.

Kaum fünf Minuten später entdecken wir ein Floß. Die Gruppe hat es fast geschafft auf die andere Seite zu gelangen, nur noch wenige Meter fehlen bis zum Ziel.
Gespannt beobachten wir, wie die zwei Jungen mit dem Paddel sich anstrengen, um das Ufer zu erreichen. Am liebsten würde ich ihnen laut zurufen, doch wer weiß welche Wesen wir mit dem Gebrüll anlocken.
Chu formt mit den Händen um seinen Mund eine Verstärkung für seine Stimme, doch ich stupse ihn schnell an und schüttle mit dem Kopf, während er bereits Luft zum Schreien geholt hat.

"Du weißt nicht wer das alles hört, oder was. Besser wir verhalten uns so ruhig wie möglich."

Endlich ist die Gruppe nah genug am Ufer, dass wir ihnen helfen können, indem jeder von uns einen auf dem Floß an den Händen packt und auf festen Boden zieht. Dabei fließt das Floß unkontrolliert weiter flussabwärts, doch im Moment ist das nicht wichtig.
Keuchend brechen die beiden Jungs, welche gepaddelt haben auf dem Gras zusammen. Allein ihr Überlebenswille und das Adrenalin hatte sie durchhalten lassen, weswegen sie nun völlig am Ende sind. Ihre Oberteile kleben von dem Schweiß der Anstrengung an ihren Körpern, während ihre Brustkörbe sich schnell heben und senken.

"Willkommen auf der anderen Seite, ihr habt es geschafft. Glückwunsch!", begrüßt Chu das Team. Mit einem freudigen Grinsen auf den Lippen gibt er jedem von ihnen einen kräftigen Händedruck.

"Sollen wir nicht schon einmal anfangen das Lader aufzuschlagen?", fragt Daon als die beiden Jungs wieder etwas zu Atem gekommen sind. "Hier herumsitzen kostet nur Zeit. Zwei können hierbleiben und dem Rest sagen, wo wir hingegangen sind und sie nachkommen sollen." Daon ist aufgestanden und blickt fragend in die Runde. Da er von uns allen am längsten auf dem Planeten ist und zudem der Älteste erheben isch die Leute und folgen ihm. Nur Chu bleibt mir mit da, um auf den Rest zu warten.

Schweigend setzen wir uns nebeneinander ins Gras und betrachten das fließende Wasser.

"Ist alles in Ordnung?", erkundige ich mich nach einer Weile bei Chu. Ohne mich anzusehen nickt er kurz zur Antwort.

"Mach mir nichts vor, da ist doch was das dich bedrückt."

Chu schweigt einen weiteren Moment, bevor er endlich seinen Kopf dreht und mir in die Augen sieht.

"Die ganze Zeit gab es nur mich, dich und Kayla. Jetzt ist Kayla nicht mehr da ... " Ich fühle wie sich bei diesen Worten mein Herz verkrampft und ich senke den Blick.
" ... und du findest neue Freunde. Ich hab' dich mit Tom gesehen, ihr scheint euch gut zu verstehen. Da habe ich ... ich hab' Angst, dass du eines Tages mich nicht mehr brauchst. Mila, ich-"

"Oh mein Gott."

Obwohl ich Chu zugehört habe und ihm gerne antworten würde waren im Augenblick seine Worte, aufgrund des Anblicks, welcher sich mir erbot, wie ausradiert.

Denn im Fluss schwimmen zwei Leichen an uns vorbei.

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Bitte wundert euch nicht, wenn ich plötzlich anstatt "Der Junge" oder "Das Mädchen" einfach Namen eingefügt habe. Mich stört es schon seit einer Weile, dass ich nur einer handvoll Personen ein individuelles Leben gegeben habe, weswegen ich künftig mehr Personen einbauen und sie individuell gestalten möchte. Da ich das noch nie gemacht habe wird der Start wohl etwas holprig, aber das wird schon :) Dafür übt man ja.

Other lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt