Kapitel 9
Angespannt drückte sie auf Absenden und sah danach auf ihr Smartphone in ihren Händen. Ob er schon schlief? Sie wollte ihn vorhin nicht so abblocken, aber es ging nicht anders. Nathaniel durfte nicht auch noch erfahren, dass er Chat Noir war. Es reichte schon, dass er nun ihr Geheimnis kannte. Sie musste wenigstens seine Identität bewahren. Auf die Frage, ob es Adrien wissen würde, hatte sie zwar notgedrungen mit Ja geantwortet, ebenso das Alya bescheid wusste. Aber als er wissen wollte, ob sie wissen würde, wer Chat Noir in Wirklichkeit wäre, hatte sie schnell verneint. Sie merkte zwar, dass er ihr nicht so ganz glaubte, aber er hatte glücklicherweise auch nicht weiter nachgefragt. Zum Glück waren Adrien und sie sich einig gewesen, dass sie, wenn sie in der Öffentlichkeit als ihre Superhelden-Ich's unterwegs waren, sich mit Liebesbekunden zurückhalten würden. Sonst hätte Nathaniel mit Sicherheit jetzt eins und eins zusammenzählen können.
Schwer atmend drehte sie ihr Handy in ihren Händen. Er war mit Sicherheit nun sauer auf sie, dass sie ihn so geblockt hatte. Aber sie wollte doch einfach in Ruhe mit ihm sprechen und nicht, wenn Nathaniel neben ihr saß und zuhörte. Sie wollte ihn direkt anrufen, wenn Nathaniel wieder gegangen war. Allerdings hatte ihre Mutter blöderweise, als sie ihren Klassenkamerad an der Tür verabschiedet hatte, gesehen, als sie zurück in ihr Zimmer wollte, dass sie humpelte. Natürlich hatte sie gleich gefragt, was passiert wäre und in ihrer Not, fiel ihr nichts Besseres ein, als zu behaupten, sie wäre die Treppe heruntergefallen. Dummer Fehler, wie sie prompt feststellen musste. Sofort hatte ihre Mutter sie besorgt gemustert und dadurch dummerweise auch noch ihren blauen Arm entdeckt. Egal, wie oft sie auch bekundete, dass es ihr gut gehen würde, ihre Mutter bestand darauf, sie zum Arzt zu bringen. Nach der Sache mit der Badewanne war sie übervorsichtig geworden und so hatte sie sie kurzerhand in die Notaufnahme geschleppt, wo sie dann von Kopf bis Fuß untersucht wurde. Erst als die Ärzte ihrer Mutter beteuerten, dass ihr Bein lediglich eine Prellung hatte und es ihr ansonsten gut gehen würde, war sie wieder beruhigt. Das ganze Prozedere hatte ewig gedauert. Allein darauf, dass ihr Bein geröntgt werden würde, musste sie über eine Stunde warten und so zog es sich beinahe drei Stunden hin, bis sie wieder nach Hause fuhren.
Ein tiefer Seufzer entwich ihr, als sie auf die Uhrzeit blickte.
„Er schläft bestimmt schon", murmelte sie leise und ließ sich rücklings auf ihr Bett zurückfallen.
Natürlich schlief er jetzt schon, es war bei ihm mitten in der Nacht. Sollte sie ihn vielleicht noch eine Nachricht schreiben, in der sie kurz erklärte, was passiert war?
„Du hast die Nachricht doch eben gerade erst abgeschickt."
Schwach lächelnd nickte sie ihrer kleinen Freundin zu. Zuckte dann allerdings kurz zusammen, als ihr Handy wenige Sekunden später begann zu klingeln. Sofort richtete sie sich wieder auf, nahm den Anruf entgegen und mit großen Augen hielt sie ihr Smartphone gegen ihr Ohr.
„Ich hoffe, ich hab dich nicht geweckt. Tut mir so leid. Ich wollte dich vorhin nicht abblocken. Es war nur. Nathaniel durfte doch nicht auch noch erfahren, dass du. Und dann hat meine Mutter auch noch gesehen, dass mein Bein verletzt ist und, als sie dann noch meinen blauen Arm entdeckt hat, hat sie mich zum Krankenhaus geschleppt. Das hat ewig gedauert. Sie mussten es ja unbedingt röntgten."
Ohne Luft zu holen, sprudelten die Wörter, ohne nachzudenken, aus ihr heraus und wild wedelte sie dabei, auch wenn es Adrien nicht sehen konnte, mit ihrer Hand in der Luft herum.
„Du glaubst gar nicht, wie lange so etwas dauern kann. Du bist bestimmt sauer jetzt auf mich."
„Du bist verletzt?", ertönte die entsetzte Stimme von Adrien am anderen Ende der Leitung, als sie eine kurze Pause machte, um Luft zu holen.
„Ja. Nein. Ach, es ist nur geprellt. Halb so wild. In ein paar Tagen ist das wieder gut. Schlimmer, als mein Arm wird es auch nicht werden. Hawk Moth hat offenbar im Moment Langeweile, da er einen Akuma nach dem anderen losschickt."
Sofort biss sie sich auf die Unterlippe. Sie wollte ihm das eigentlich gar nicht so erzählen, damit er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Aber sie war so durch den Wind, dass es ihr einfach raus gerutscht ist.
„Was?"
„Ich hab das schon unter Kontrolle. Mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut."
„Okaay", dehnte er das Wort in die Länge und sie wusste genau, dass er nicht überzeugt davon war. Bevor sie jedoch noch etwas dazu sagen konnte, sprach er plötzlich weiter.
„Warte. Moment. Was meinst du überhaupt damit, Nathaniel darf das nicht auch noch herausfinden?"
Tief atmete sie ein und begann dann alles zu erzählen.
„Über dich weiß er nicht bescheid. Daher musste ich vorhin auch so schnell auflegen. Nachher hätte ich irgendetwas zu dir gesagt, was ihn nachher doch auf die Fährte hätte bringen können."
Nervös beendete sie die Erzählung und wartete darauf, wie er reagieren würde. Angespannt atmete sie ein und wieder aus. Warum sagte er denn gar nichts? War er jetzt sauer auf sie? Enttäuscht? Mit Sicherheit war jetzt enttäuscht von ihr. Warum hatte sich auch nicht besser aufgepasst.
„A-adrien?", sprach sie nun mehr im Flüsterton, als das sie es laut aussprach, und knetete dabei die Finger in den Stoff der Hose.
„Die Hauptsache ist doch, dass dir gut geht."
Er versuchte wohl so normal, wie möglich dabei zu klingen, doch sie merkte sofort, dass er alles andere als normal war. Schwer musste sie daher schlucken.
„Ich ... Es ..."
„Meinst du Nathaniel hält sich daran, und wird dich nicht verraten?"
„Ja. Ich denke schon."
Davon ging sie wirklich aus. Nathaniel war kein schlechter Mensch. Und er schien sich wirklich Sorgen um sie zu machen.
„Ich hoffe, du hast recht. Sonst ..."
Sonst? Verwundert nahm sie ihr Handy kurz herunter und starrte auf das Display. Im ersten Moment dachte sie, die Verbindung wäre unterbrochen, doch dem war nicht so. Warum sprach er denn nicht weiter?
„Sonst?"
„Schon gut ... Ich glaube, ich sollte lieber, schlafen jetzt."