Jungkook Pov
Es ist schon Ewigkeiten her seit ich das letzte mal zu dieser Uhrzeit in der Stadt war. Jin hat meistens nur Mittags Zeit, er ist Lehrer und muss jedes Mal recht früh auf stehen, da nehme ich ihm das nicht übel und bisher hat es mir auch nicht groß was ausgemacht, ich wusste immerhin noch nicht wie schön es hier in der Nacht aussieht. Bereits im Auto von Taehyung aus den Fenstern konnte man die vielen Lichter betrachten, die verschiedene Quellen haben. Das meiste kommt wahrscheinlich aus den Geschäften, die zu dieser Uhrzeit noch auf haben, aber mit den schönsten würde alles mögliche geschmückt, sodass die Innenstadt in vielen verschiedenen Farben leuchtet, von Blau über grün, rot, violett und vielem weiteren.
"Du siehst glücklich aus", sagt Taehyung und versucht mit meinen schnellen Schritten mit zu halten. Erst jetzt merke ich, wie wild ich durch die Gegend gerannt bin, ohne ein festes Ziel oder auf meine Umgebung und die Mitmenschen darin zu achten. Alles wofür ich Augen hatte waren diese Lichter, die eine mehr als nur willkommene Ablenkung zu dem dunklen Licht der Energiesparlampe in meiner Kanzlei sind. Das hier sieht aus wie ein Wunderland, eigens für uns geschaffen und so unwirklich, dass es mich von der Realität vollkommen ablenkt.
"Es ist so schön." Ich strecke die Hand aus, als könnte ich die Lichter, die an den hohen Gebäuden so winzig klein aussehen, fangen. Es war meine Idee hierher zu kommen, eine Maßnahme um Taehyung zu danken, auf eine andere Weise als damit ihn mit meinen Gerichten zu vergiften, aber es scheint ganz so, als wäre ich derjenige von uns beiden, der das hier mehr genießt. Taehyung schlendert lediglich durch die Gegend, die Hände in den Hosentaschen vergraben während er mich lächelnd betrachtet.
"Na los", sage ich und deute auf all die Geschäfte um uns herum. "Such dir etwas aus, was immer du auch willst. Heute geht alles auf mich."
Er runzelt erstaunt die Stirn und fängt nach einer kurzen Weile an zu lachen. "Für jemanden, der bis vor einigen Tagen noch nur wenige Cent auf seinem Konto besaß, bist du heute ziemlich spendabel."
Ich grinse und ziehe eine Augenbraue nach oben. "Dank einem gewissen jemandem, der mir das Internet erklärt hat, habe ich jetzt wieder einbisschen mehr als nur wenige Cent."
Ich kann es immer noch kaum fassen, was für einen Wandel das alles angenommen hat. Jahrelang habe ich mit einer Existenzkrise gelebt, jeden Tag hätte der Vermieter kommen und mich aus meiner Kanzlei schmeißen können, weil ich die Rechnung schon wieder nicht bezahlt habe, aber in wenigen Wochen hat Taehyung es geschafft das zu tun, woran ich solange gescheitert bin - mir Erfolg zu bringen.
Vielleicht liegt das einfach in seinem Blut, ich meine seine Bar lief von Anfang an gut, er hatte keine Flaute wie ich und er musste nicht erst einmal Verluste einstecken, bei ihm war es sofort ein guter Start und das hat mich schon immer fasziniert. Taehyung scheint einfach goldene Finger zu haben was Dinge wie diese angeht und damit hat er mich gerettet.
Er sieht mich weiterhin lächelnd an und tritt einen Schritt näher an mich heran. "Du musst mir nichts kaufen, ich bin nur froh das du hier bist. Das reicht mir." Seine Augen glänzen, was vielleicht an den Tränen liegt, die sich durch die Kälte gebildet haben, aber wenn das tatsächlich der Grund wäre, dann würde ich darin nicht diese Wärme erkennen.
"Verdammt", murmle ich unbeabsichtigt, kann aber nichts weiter tun als ihm in die Augen zu sehen, vollkommen gefesselt.
"Was ist?", fragt er, regt sich selber aber auch kein Stück. Für einen ziemlich langen Moment ist alles um uns herum vergessen, sogar die wunderschönen Lichter, die mich bis eben noch von allem abgelenkt haben, denn im Moment scheinen seine Augen noch heller zu strahlen. Die Lichter sind wunderschön, ohne jeden Zweifel, aber Taehyung anzusehen, den Menschen, der mir noch viel unwirklicher erscheint als diese weit entfernten Lichter, beruhigt mich. Es gibt mir das Gefühl angekommen zu sein.
Ich lächle und widerstehe dem Verlangen ihm den Pony aus dem Gesicht zu streichen um es besser betrachten zu können. "Deine Worte, sie sind perfekt. Das sind sie immer."
Wenn man selber eine Person ist, die sich mit Worten schwerer tut als mit sonst irgendetwas in der Welt, dann hat man für Personen wie Taehyung nicht nur Bewunderung, sondern fast schon Faszination übrig. Ich ruiniere Dinge mit Worten, sage oft das richtige aber in falschen Situationen und kann diese auch nicht so richtig lesen. Ich bin jemand, der ausspricht, was er denkt, ohne vorher darüber nachzudenken, weil er die Wahrheit für selbstverständlich hält, so habe ich das eben gelernt. Aber Taehyung denkt nach und er weiß, wie man jemanden beruhigen muss wenn er aufgebracht oder ängstlich ist, was vielleicht auch seiner tiefen, angenehmen Stimme zu verdanken ist. Er kennt die Menschen, er fühlt mit ihnen und das besser als ich es jemals könnte.
Er runzelt verwundet über diese Aussage die Stirn. "Das ist das erste mal, dass jemand das zu mir sagt", sagt er und kratzt sich peinlich berührt am Hinterkopf. "Aber genau genommen ist es auch das erste mal, dass ich so viel Zeit mit einem Menschen verbringe."
Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie überrascht ich über diese Aussage bin, zur gleichen Zeit aber auch irgendwie froh. Das Taehyung und ich etwas gemeinsam haben würden hätte ich nicht erwartet, bis jetzt hatte ich eher das Gefühl uns trennen Welten. Meine einzige Bezugsperson bisher war Jin und das, weil wir Brüder sind, die sich so gut verstehen wie Freunde. Taehyung allerdings ist der erste, nicht mit mir Verwandte, bei dem ich so weit gehen würde ihn einen Freund zu nennen und das macht mich noch glücklicher als ich es ohnehin bereits die letzten Tage Dank ihm war.
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Afterlife |Vkook|
Fanfiction«Standest du jemals vor der Entscheidung, bei der die Frage war, was du mit dem Menschen anstellst, den du liebst? Musstest du dich entscheiden, ob er den Himmel oder die Hölle verdient hat? Und warst du auch in der Lage, in der du ihm beides erspar...