Kapitel 1

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Der Tag hatte eigentlich so normal angefangen, wie ein Tag eben normal sein konnte. Wie allzu oft stellte ich den Wecker auf meinem Handy aus, als dieser am frühen Morgen klingelte und drehte mich noch einmal auf die andere Seite. Eine halbe Stunde später erwachte ich mit bis zum Hals klopfenden Herzen, sprang wie wild durch mein Zimmer, zog mein T-Shirt falsch herum an und rannte zur Bushaltestelle. In der Hoffnung unbemerkt zu bleiben, schlüpfte ich eine halbe Stunde nach Vorlesungsbeginn in den Hörsaal und prompt drehten sich alle Köpfe in meine Richtung um, als der Professor ins Mikrofon sagte: "Man sollte meinen, dass Sie mittlerweile alle wüssten, wann unsere Veranstaltung losgeht." Mit hochrotem Kopf, den Professor innerlich verfluchend, glitt ich in die letzte Reihe und kramte mein Zeug hervor. Ich verschlief jede Woche mindestens einmal. Im Nachhinein ärgerte ich mich immer tierisch darüber und scholt mich dafür, nicht einfach meinen Arsch aus dem Bett zu kriegen, aber wenn dann der Moment gekommen war und der Wecker klingelte, konnte ich einfach nicht die nötige Disziplin aufbringen. Ich hatte nur diese eine Vorlesung und zu allem Überfluss hatte ich das Thema schon in der vergangenen Woche vorbereitet, sodass der Professor mir nicht wirklich irgendetwas Neues erzählen konnte. Da ich aber nicht direkt wieder nach Hause fahren wollte, man fuhr knapp eine Dreiviertelstunde, um die 5km von der Uni zu meiner Wohnung zu kommen, beschloss ich, mich stattdessen in die Bibliothek zu setzen und die übernächste AG schon mal zumindest in Ansätzen vorzubereiten. Das beschäftigte mich tatsächlich auch bis zum frühen Nachmittag und ich war tatsächlich immer noch nicht ganz mit dem Erstellen meiner Powerpoint fertig, als ich zur Arbeit musste. Ich kellnerte in einem Restaurant in Bahnhofsnähe. Meine Eltern unterstützten mich zwar großzügigerweise, aber um die Wohnung, die teuren Lehrbücher, Strom, Internet und meine Bücher zu finanzieren reichte es einfach bei Weitem nicht. Besonders viel Spaß machte mir die Arbeit nicht und besonders in der Klausurenphase war es äußerst ätzend, sich von den Büchern loseisen zu müssen, um kellnern zu gehen. Aber wenn ich meinen Chef bat, mir eine Auszeit nehmen zu können, sagte er immer, dass ich mir gerne eine dauerhafte Auszeit nehmen könne und dass er eine ganze Liste Studenten hätte, die den Job gerne annehmen würden.

Aber immerhin, mit 15 Wochenstunden war ich nicht so arm dran wie einige meiner Kommilitonen, die teilweise über 20 Stunden arbeiteten.

"Hallo", grüßte ich, als ich in den kleinen Mitarbeiterraum kam. Meine beiden Kolleginnen grüßten freundlich, bevor sie wieder in die Küche verschwanden. Ich war eine Viertelstunde zu früh und machte mich ganz in Ruhe fertig. Die braunen Haare band ich zu einem strengen Dutt zusammen, legte meine Armbanduhr ab und schlüpfte in meine Arbeitskleidung, die aus einer schwarzen Jeans und einer weißen Bluse bestand. Zumindest das musste man meinem Chef lassen, unsere Klamotten waren hochwertig, nicht das Billigzeug aus Polyester.

Jannik, unser Barkeeper begrüßte mich mit einem Highfive als ich das Restaurant betrat.

"Na wie geht's?" Er schenkte mir ein breites Lächeln, das ich nur zu gern erwiderte. Mein Freundeskreis war nicht sehr weitläufig. Dadurch dass mein Studiengang so aufwendig war, ging ich keinen aufwendigen Hobbies nach und auch ansonsten war ich eher Einzelgängerin, weshalb es immer schön war, sich freundlich mit Jannik zu unterhalten.

"Ganz gut soweit, hab heute morgen wieder verpennt, aber ansonsten." Ich ließ den Satz unbeendet, zuckte stattdessen mit den Schultern und grinste schief. Er lachte und schüttelte den Kopf.

"Wie du mal im Berufsleben klarkommen willst ist mir schleierhaft."

"Mir auch.", seufzte ich. Shirin, eine meiner Kolleginen kam herüber und drückte mir ein Aufnahmegerät und ein Portemonnaie in die Hand.

"An Tisch sechs hat sich gerade ein Pärchen bedient, die kannst du übernehmen."

"Geht klar." Mit einem Zwinkern verabschiedete ich mich von Jannik und schlenderte zu Tisch sechs hinüber. Am Tisch saß eine brünette Frau und mit dem Rücken zu mir ein dunkelhaariger Mann.

Don't Judge MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt