Z W E I

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Ich parkte meinen Wagen und suchte verzweifelt nach meiner Tochter. Meine flache Hand hielt ich über meine Augen um nicht geblendet zu werden. Glücklich erkannte ich meine Tochter und wollte sie nach Hause holen, ehe mir auffiel, dass ihre Position nicht die Idealste war. „Emma! Was machst du da?“, schrie ich entsetzt. Die untergehende Sonne, am unendlichen Horizont, erzeugte eine unangenehme Atmosphäre. Die Luft, die meinen Körper umgab, war schwül und überall schwirrten grässliche Mücken, was wohl davon kam, dass direkt vor mir der gesuchte Ort und der damit verbundene See war. Wild fuchtelte ich mit meinen Armen um zu meinem regungslosen Kind zu gelangen. Ich stoppte. Plötzlich und vollkommen unkontrolliert sah ich langsam nach rechts an die beigefarbene Hauswand, die merkwürdig besprenkelt schien, unglaubwürdig blinzelte ich. 

„Ist das?“, ich kniff die Augen zusammen um die Farbe besser erkennen zu können. Den begonnen Gedanken, auf den ich hoffte, dass er zerfiel, war ich nicht im Stande weiter zu führen. Langsam setzte ich neugierig Fuß vor Fuß, tastete mich durch das hohe, als auch nasse Gras um zur Hauswand zu gelangen und streckte anschließend unsicher meinen Arm aus. Meine zittrige Hand näherte sich der roten Kolorierung und fasste sie an. Benebelt fühlte ich die warme dunkelrote Farbe an meinen wunden Fingern und mit leicht geöffnetem Mund senkte ich meinen Kopf. Adrenalin schoss in meinen Körper, als sich meine Finger zu meiner Nase bewegten, welche den grausamen Geruch von Eisen und Zucker erkannte. Mir wurde alles klar, die kleinen und undurchblickbaren Puzzelteilchen setzten sich imaginär in meinem Kopf zusammen. Ich bewegte meine Finger rückwärts, meine Augen wurden groß und mein Schädel guckte erschrocken gerade aus. Ich zuckte zurück und rannte panisch zu Emma, welche mit dem Bauch im Gras lag. Mein dürftig zusammengesteckter Dutt löste sich langsam, Stück für Stück auf. Der Haargummi befreite sich von selbst aus meinen blonden Haaren und nun schwenkten meine Strähnen immer wieder unangenehm in mein Gesicht. Mein Herz pochte schneller, meine Arme bewegten sich nach hinten und nach vorne, das Blut schoss in meine Venen und mein Atem wurde schneller. Immer und immer wieder schrie ich verzweifelt: „Emma!“, ehe viele Tränen über mein Gesicht flossen, sich schließlich den Weg nach unten suchten, und ich immer langsamer wurde. Der leblose Körper schien so weit entfernt, als ob ich ihn nicht erreichen würde. Ich konnte nicht mehr, es schien, als würde ich nicht näher kommen. Auf einen Schlag erreichte ich erschöpft mein Kind, atmete angsterfüllt ein und aus und ich stüzte mich auf meine Oberschenkel. Ich war kurz davor Emma umzudrehen, ehe ich verschwitzt aus meinem nassen Bett aufwachte.

Meine großen blauen Augen starrten angsterfüllt die helle Tapete an, die im Licht der aufgehenden Sonne noch dunkler erschien. Ich sah und fühlte meinen Körper, welcher von einem klebrigen Schweißfilm überzogen war. Mein Blick schweifte auf die silberne Uhr, ich erkannte den großen und kleinen Zeiger, welche mir die Zeit verrieten. 4:55 Uhr. Wie aus einem schlechten Horrorfilm der 80er fasste ich mir ans Herz und spürte, wie es vor Angst und Panik puckerte. Einige Schweißtropfen rollten meine fahle Haut hinunter, ehe ich sie mit meinem Arm wegwischte und zum Fenster blickte. Ich klappte die helle Bettwäsche zur Seite, ging um mein Bett und lief zur kleinen Terrasse, welche mit zwei klapprigen Stühlen und einem alten, knarrendem Tisch bestückt war. Leise und ohne jeden Laut von mir zu geben, öffnete ich das Portal und schritt ruhig auf den kalten grauen Betonboden, welcher noch die Spuren vom Befüllen zeigte. Mein Zimmer lag im Erdgeschoss, die erste Tür links und zeigte raus zu unserem Garten, welcher um diese Jahreszeit in einer grünen Wonne lag, woran man sich nicht satt sehen konnte. Ich ging zum metallenem Gitter, welches das Ende meines verfügbaren Platzes darstellte, stützte mich mit beiden Händen ab, sah nach unten und schnaufte einmal aus. Ich hob mein Haupt, drehte es nach rechts und sah auf die, sich schnell veränderte, Fläche. Auf dem bebauten Nachbargrundstück wuchs die große Erle, mit breitem Blattwerk, wo ich mit meinen Kindern immer gespielt hatte, ehe das Anwesen vor ein paar Monaten versteigert wurde, hoch in den Himmel hinaus. Ihre dunkelgrünen Blätter raschelten ein wenig, der Wind war kaum zu spüren. Lächelnd bewegte ich meinen Kopf zum Haus meiner anderen Nachbarn. Ich blickte auf das Gebäude, was unser Gebiet beschränkte und jenes, was ohne Regung stand, im Hintergrund die leuchtende Sonne. Trotz des aufgehenden Feuerballs brannten noch einige gelb-leuchtende Laternen auf der Straße. Dies sah ich, als mein Blick über die Hecken schweifte, welche unseren Garten im Norden, zum grauen Asphalt, abgrenzten. Gedanklich sah ich auch auf unsere Vorderseite. Vor unserem Haus war der See, wo man zu diesen Temperaturen oft Menschen hört, die kreischend im Wasser spielten, die ersten würden gegen zehn Uhr kommen. 

Ich verschloss mit einem kräftigen Ruck die braun-umrahmte Terassentür, als ich für einen kurzen Moment ein dunkles Gesicht hinter dem Holzzaun meiner Nachbarn sah, jene Gestalt war jedoch schneller weg, als sie gekommen war und so dachte ich mir nichts, zog die einfache Gardine wieder zu und versuchte noch einmal einzuschlafen.

„Hab einen schönen Tag mein Schatz“, sagte ich lächelnd zu Emma und versuchte ihr einen Kuss zu geben, was mir nicht gelang.

Kinder sterben leiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt