S I E B E N

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Ich massierte mir nachdenklich die Schläfen. Eva war vollkommen still, sie fragte mich nicht, sagte nichts und blickte starr aus ihrem Fenster. Ich legte meinen Kopf in meine rauen Hände und versuchte mich zu beherrschen, Eva saß im Auto. Ich wischte mir einmal mit meinen Fingern übers Gesicht und atmete tief ein und aus, schaltete das Radio ein und fuhr mit einem Schwung aus der Ford Lane hinaus. Auf der Fahrt nach Hause blickte ich suchend nach Emma, sah in jedem Supermarkt und in jeder Drogerie nach, klapperte jedes einzelne Modegeschäft ab und setzte schließlich meine zweitgeborene an unserem Haus ab, gab ihr meinen kleinen, silbernen Schlüsselbund, ehe ich weiter fuhr. Ich fuhr sogar zur maroden Brücke am alten Bahnhof, doch meine Emma war nicht da. Völlig erschöpft sprach ich die jungen Obdachlosen an. Meine Mutter würde sie Menschen von bildungsfernen Schichten nennen, ich blieb bei Menschen ohne Obdach. „Hey.“, sagte ich völlig entkräftet und mit meinen Händen in meinen Hosentaschen.

„Hallo.“, entgegnete mir ein junger Mann mit blondem, zotteligen Haar, ebenfalls die Hände in den Hosentaschen und einer weißen Zigarette im Mund. „Was kann ich für sie tun? Kenne ich sie? Sind sie vom Finanzamt?“,

er zog schnell seine Hände aus seiner hellen Jeans und nahm die Kippe aus dem Mund, ehe ich ihn beruhigen konnte: „Nein, nein, keine Sorge. Ich bin,“, ich starrte seine verdreckten, schwarzen Schuhe an, bis ich ihn normal ins Gesicht blickte und ihm ein Foto von Emma zeigte. „auf der Suche nach meiner Tochter. Kennst du sie?“ 

Der junge Mann drehte sich um, kratzte sich einmal am Hinterkopf und sprach die anderen, die direkt unter der Brücke saßen, an. Aus der Ferne erblickte ich, dass kein einziger von ihnen sich das Bild näher ansah oder auch nur mit dem Kopf nickte. Der junge Mann kam langsam zurück und wollte mir gerade das Abbild meiner erstgeborenen wieder geben, als ich ihm 100£ zusteckte.

„Bitte,“, stotterte ich, „frag sie nochmal.“,Tränen kamen mir in die Augen.

Er verschwand und nach einer kurzen Unterhaltung nahm sich jeder einzelne das Bild vor sein Gesicht. Als ich sah, wie jeder das Foto weiterreichte, ohne etwas zum zerzausten Mann zu sagen, stellte ich mir vor, wie er wieder zurück kam und mir das Bild, ohne jeden Laut, wieder aushändigte. 

Verstohlen sah ich nach links, es wurde langsam dunkler und die Straße wurde nun nur noch von den orange leuchtenden Laternen und dem Licht der Häuser erhellt. Mein roter Wagen, der auf dem sandigen Weg hielt, verfärbte sich dunkler und mir wurde kalt. Ich umklammerte mit beiden Armen meinen Oberkörper und wartete darauf, dass man mir mein, inzwischen zerknittertes, Foto zurück gab. Ich sah auf meinen Arm, es war zwanzig Uhr und drei Minuten, als man mir mein Bild wieder aushändigte und ich mich schon umdrehen wollte.

„Wo wollen sie hin, Miss?“, fragte mich der schlaksige Mann.

Ich zeigte mit meinem Finger auf die Straße nach Hause und stotterte: „Ich, Ich. Ich wollte eigentlich nach Hause.“

Mit meiner anderen Hand kämmte ich mir einmal über meine Haare und sah ihn an. „Hier meint einer, dass er ihre Tochter gesehen hat.“, er zündete sich geschmackvoll und lässig wieder eine Zigarette an und der Gestank umhüllte meinen Körper. „Kommen sie mit.“, er zeigte eine einladende Geste und ich folgte ihm.

Auf dem Weg zur Brücke fragte ich den Mann, wie er hieße und er antwortete Michael, er fragte auch mich und ich entgegnete, dass ich Grace hieß.

„Grace.“, begann er. „Müssten sie nicht arbeiten? Ich meine, sie sehen nicht so aus, als wären sie bedürftig.“,

ich lächelte ein wenig. „War das ein Kompliment?“, fragte ich und sah seinen Blick, als ich fortfuhr. „Ich bin Krankenschwester im St. Marys Hospital.“, ich rieb mir meine kalten Arme. „Aber heute habe ich mit jemandem den Dienst getauscht.“, mein zufriedener Blick sah ihn an. „Es ist etwas unprofessionell am zweiten Arbeitstag zu sagen, dass man seine vermisste Tochter sucht.“, nervös lächelte ich und sah, wie er noch einmal am Zigarettenstummel zog und ihn anschließend wegschmiss. 

Kinder sterben leiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt