V I E R

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„Na? Wie gefällt dir das hier?“ Ich hob das neon-orangefarbene Top über meinen Oberkörper, während ich die vielen schwarzen Tüten abstellte und es von oben aus beschaute. Insgeheim gefiel mir es selber, doch ich war definitiv zu alt für Neon, warum gab es sowas nicht schon zu meiner Zeit?

„Naja, nicht wirklich.“ Gelangweilt rollte Emma die Augen und verschränkte ihre Arme. Sie klemmte ihre Strähne hinter ihr rechtes Ohr und schaute sich suchend um. Mit einem schiefgelegten Kopf marschierte  sie zum, erspähten gegenüberliegenden schwarzen, einfachen Holzregal und durchwühlte einige Kleidungsstücke des selben Schnittes, ehe sie zu das selbe Top in schwarz herauszog.

„Das“, begann sie laut und triumphierend, während sie es hoch in den Armen hielt. „gefällt mir.“ Sie spitzte ihre Lippen, holte das Top wieder vor sich und musterte das schwarze Kleidungsstück, überprüfte die Träger und die Schnallen, so wie sie es von mir gelernt hatte. Ich sah sie stolz an, ich konnte wirklich stolz sein, sie als Tochter zu haben, fast wäre mir eine Träne aus meinen Augen geflossen. 

Wir trafen ein paar Stunden später entkräftet zu Hause ein und hatten eine Menge Geld ausgegeben, mein Monatsbudget war damit wieder einmal überzogen.

„Geh mir aus dem Weg.“, sagte Emma und ging erbarmungslos an Eva vorbei, diese sah mich nur verwirrt an und lief ebenfalls die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Schweratmend verlies ich den Flur, um meinen Kindern keine Beachtung über ihr kindisches Verhalten zu geben und kam langsam und erschöpft in die Küche. Mein Blick sah den Berg voll dreckigem Geschirr und meine Wenigkeit wollte sofort wieder kehrt machen, wäre da nicht das morgige Treffen mit Alice.

Wehmütig schaltete ich den Fernseher im Wohnzimmer ein, der eher einem Radio als einem TV-Apparat diente. Schlurfend, als auch müde ging ich zurück in die Küche, gähnte einmal, drückte den silbernen Knauf des Waschbeckens hoch und wartete, bis das gesamte silberne Areal mit warmen Wasser gefüllt war. Ein weißer Teller nach dem anderen spülte ich mit meinen, inzwischen wunden Händen, ab und ärgerte mich immer wieder aufs Neue, dass wir keine Spülmaschine hatten. Wie einfach wäre es gewesen, wenn man ganz leicht alle Teller, Tassen, Gabeln und Messer in das silberne Gerät stellen würde und dann den einen oder anderen Knopf betätigen müsse? Es wäre so einfach gewesen. Aber nein, ich musste ja unbedingt eine Küche ohne Spülmaschine kaufen, warum auch immer.

Ich schüttelte einmal meine Hände und rubbelte jene am blau karierten Küchenhandtuch ab. Bereits nach einer dreiviertel Stunde war ich mit dem Abwasch und dem Abtrocknen des besagten Geschirrs fertig und ging an den Spiegel im Bad, welches sich in der zweiten Etage befand. Ich sah mich an, musterte die eine oder andere Falte, richtete meine Haare und beäugte meine aufgequollenen Finger. Ein Stöhnen entrinn meinem Mund, als ich meine Haut wieder los lies und diese in ihre ursprüngliche Form glitt, wobei sie wieder ihre Falten zeigte. Ich rückte mein weißes Top zurecht, wischte mir einmal über die Haare und ging aus dem Badezimmer hinaus, die Treppe hinunter und griff nach meinen Schlüsseln, wobei mir einfiel, dass ich meine Kinder ganz vergessen hatte. Eilig bestieg ich erneut die Stufen und ging den kleinen Flur entlang, der nur mit einer einzelnen Palme aber dafür sämtlichen Bildern, bestückt war. Ich klopfte einmal an die weiße Tür von Emma, wartete auf das wortkarge „Komm herein.“ und betrat den dunklen Raum

„Ich gehe eben zum Bäcker. Passt du bitte auf Eva auf?“, fragte ich, während ich meinen Kopf durch die kleine Lücke des Portals steckte und auf eine vielversprechende Antwort meiner erstgeborenen wartete.

„Nur wenn du mir ein Käsebrötchen mit bringst.“ Emma lachte und zwinkerte mir zu, wobei ich merkte, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Sie hatte ein schönes Lachen, eines der schönsten, dass ich kannte. Eva hatte dazu das bezaubernde Lächeln, sie waren wie Pech und Schwefel, gehörten einfach zusammen. Früher oder später würden sie das beide merken und sich jeden Tag treffen. Ich hatte diese Vorstellung schon sehr früh gehabt, immer wollte ich zwei Töchter, die sich jeweils ergänzen und unzertrennlich waren. Bei Eva und Emma war das noch nicht der Fall, aber wie bereits geschildert, noch. Bald würde sich alles ändern.

Kinder sterben leiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt