N E U N

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„Hallo Grace.“, sagte die widerliche Stimme, die mit einem Messer um mich herum schlich und leise, Schritt für Schritt, auf mich zu kam. „Ich habe dich vermisst. Wie siehts mit dir aus?“, hauchte er mir ins Ohr, hielt das Messer an meinen Hals und ich versuchte mich vergebens von den kratzigen Seilen, die mich am Stuhl festhielten, zu befreien.

„Sei nicht so erbärmlich!“, schrie ich ihn an und deutete auf seine weiße Maske, welche keinen genauen Gesichtsausdruck besaß. „Binde mich los und wirf das Messer weg“, begann ich, „und dann kämpfen wir ehrenhaft von Mann zu Frau.“, ich zeigte mit meinem Kopf eine einladende Geste. Erst jetzt realisierte ich, wo ich mich eigentlich befand. Ich war in einem dunklen Zimmer, mit nur einer Lampe, ähnlich wie unser Keller. Auch hier war die Glühbirne nicht abgeschirmt und durchflutete mit ihrem befreiendem Licht kaum das gesamte Gewölbe. Jede Ecke hatte einen Schatten, worin man sich problemlos verstecken und den anderen, der im Licht stand, beobachten konnte. Hektisch sah ich mich genau um. Die Wände hatten alle die selbe blau - gräuliche Farbe, ebenso wie der Boden, wobei die Enden der Wände und des Bodens ineinander schwammen. Beim genaueren hinsehen erinnerte mich der Raum an einen Schuhkarton oder eine einfache Pappschachtel.

„Gut.“, langsam kam der Mann im blauen Anzug, der weißen Maske wieder auf mich zu und faltete seine Hände. „Machen wir es so, wie du es gesagt hast.“, er kniete sich hinter mich, wobei ein knacken seiner Knie ertönte und entfesselte meinen ersten Fuß, dann den zweiten. Ehe er meine Arme befreite, suchte ich mit meinem Blick hastig die Tür, die mich nach draußen bringen und mich aus diesem furchtbaren Raum befreien sollte, aber meine Suche blieb ergebnislos. Mein Plan ihn bewusstlos zu schlagen und dann abzuhauen löste sich mit einem Schlag in Luft auf und ich musste umdenken. Ich stand vom Holzstuhl auf, zog, wie in diesen albernen Westernflimen meine Lippe spielerisch nach oben um damit meine Zähne zu präsentieren und der Mann im blauen Anzug entfernte sich auf die andere Seite, nun stand er mir direkt gegenüber. Ich stürmte auf ihn los, krallte mich mit meinen spitzen Fingernägeln in seine, spürbar kräftig gebauten, Oberarme und bombardierte ihn mit Fragen, während ich versuchte ihn an die Wand zu pressen, was mir anfangs auch gelang.

„Was hast du mit Emma gemacht?“, schrie ich und versuchte dabei seine alberne Maske abzuziehen. Er stieß mich zurück und ich verlagerte mein Gewicht nach vorne, wobei meine Hand das tragende Element war, weswegen ich nicht rückwärts auf den Boden fiel. Ich erhob mich, wir gingen auseinander und liefen im Kreis, ich krempelte mir meine Ärmel hoch und stürzte auf ihn zu. „Wieso?“, ich würgte ihm am Hals, bis er mich zurückschlug und ich in eine der vier Ecken fiel. Ich fasste mir an die Nase und spürte eine klebrige Flüssigkeit, welche ich zwischen zwei Fingern zerrieb. Meine vorherige Feststellung, dass man alles im Schatten beobachten konnte, man selbst aber unsichtbar wirkte, machte ich mir geschickt zum Eigennutz. Still blieb ich in der Ecke kniend und wartete darauf, dass er auf mich zu kam. Danach würde ich ihn umlegen, nicht umsonst hatte ich ein paar Tage einen Kurs Wing Chun mitgemacht.

„Na, gibst du auf?“, fragte die Stimme boshaft und versuchte mich zu Orten. Wie wild lief sie im Raum umher. Plötzlich setzte sie sich in Bewegung, mit Kurs zu mir. Das laute Treten seiner dumpfen Schuhe wurde schneller und das Zimmer, in dem wir uns befanden, schien sich unrealistisch zu verzerren. Kurz bevor die Gestalt mit voller Wucht auf mich prallen wollte, wich ich aus und sah, wie sie klagend, mit dem Gesicht zur Wand, zu Boden sank. Ich schlich vorsichtig um sie herum und sah sie mir genau an. Um sicher zu gehen, dass sie wirklich bewusstlos war, tritt ich einmal, mit voller Wucht, gegen ihr Bein und drehte mich um. Ich war im großen Raum alleine und ging nochmal jede Wand ab, tastete den Boden an und sah zur niedrigen Decke. Nirgends präsentierte sich ein einladender Ausgang, als ich plötzlich einen harten Schlag auf meinen Hinterkopf bekam. Ich sackte zu Boden und lag kurze Zeit mit meinem Gesicht auf dem warmen, undefinierbaren Boden, bevor ich mich wieder hochhievte. 

Kinder sterben leiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt