Ungeduldig klimperte ich an einem der vielen Anhänger meines silbernen Armbands, ehe mir der dickbäuchige Mann hinter dem Tresen lässig einen orangenen Long Island rüber schob. Die kleine Cocktailbar in der 7th Avenue war nur leicht besetzt. Die wenigen Leute, die an ihren Stammplätzen saßen, unterhielten sich, leicht beschwipst, über die miserable Gesellschaft, die unkontrollierbare Politik und die verhurten Menschen, die so etwas befürworteten. Die schwarzen Ledersitze, auf denen sie saßen, bogen sich leicht nach unten und der gläserne Tisch, der vor ihnen stand, war durch die vielen Getränke schon fast vollgestellt. Trotz jenen angeheiterten Personen, die sich dennoch leise unterhielten, dem mürrischen Barkeeper, der die ganze Zeit Gläser putzte, niemals aufblickte und dem staubigem Licht, das von den vereinzelten Lampen an der Decke kam, herrschte eine angenehme und gemütliche Atmosphäre. Nicht ohne Grund verabredeten sich meine beste Freundin und ich in diesem Lokal um Anlässe gebürtig zu feiern. Seien es missglückte Diskussionen mit Emma, Pannen bei der Arbeit von Evelyn oder miserable Geschenke von Verwandten. Mein Blick, welcher bis eben noch den pappigen Untersetzer meines Cocktails anstarrte, schweifte hinauf zum Eingang des kleinen Gewölbes, welcher noch mehr verdunkelt war, als die Cocktailbar an sich. Hoffnungsvoll wartete ich darauf, dass eine rundliche Evelyn Adams durch den verdunkelten Gang schritt, was aber nicht der Fall war.
Ich holte mein dunkles Handy hervor und begann eifrig zu tippen und auf den Touchscreen zu hauen. Es war zwanzig Minuten nach Acht Uhr abends, als ich die letzten Buchstaben der kläglichen Nachricht eintippte und mich ungeahnt eine warme Hand auf meiner Schulter berührte. „Wo bleibst du, ich warte schon seit 10 Minuten.“, wiederholte Evelyn spöttisch meine Nachricht, lachte lauthals auf und fasste sich auf die Brust, ehe ich empört die Nachricht verwarf und die Augen rollte.
„Hey!“, begrüßte ich sie laut, drehte mich von der Bar weg, stand auf und umarmte sie, bis ich merkte, dass sich die alkoholisierten Leute stumm zu uns umdrehten und uns mit großen Augen anstarrten.
„Hoppla.“, lachte Evelyn leise und schüttelte mit heruntergezogenem Mund hektisch, als auch spielerisch ihren Kopf. Für sie war gar nichts mehr peinlich, nicht das geringste. Ich wusste nicht, wann das alles angefangen hatte. Ich dachte mir, dass es Stück für Stück kam, denn seit neuem war sie der absolute Anzieher jeder verlegenen Situation für mich und ich hatte nichts von ihrer Veränderung bemerkt, bis ich vorgestern über unsere lange Vergangenheit dachte.
„Hoppla.“, wiederholte ich und verdeckte meinen Kopf, so gut es möglich war, vor Evelyn, denn die gesamte Situation war mir zu peinlich. Ich bestellte noch einen Long Island, indem ich locker mit dem Finger schnippste, wobei mein Armband klimperte. „Na, wie gehts dir?“, fragte ich und erwartete eine beeindruckende Antwort, denn Evelyn war seit zwei Wochen mit Marc zusammen, welcher wiederrum ein Arbeitskollege von mir war.
Nach einer langen Pause antwortete Evelyn: „Wir haben uns getrennt.“, sie sah verlegen nach unten, ehe sie zu kichern begann und die Hand vor ihrem Mund hielt.
Ich zuckte mit den Augenbrauen und verdrehte den Kopf. „Warum das denn?“ Empört saugte ich am schwarzen Strohhalm meines Getränkes, wodurch sich meine Wangen nach innen bogen.
„Es hat sich nicht gut angefühlt.“, redete sie sich raus, doch ich glaubte ihr nicht. Ich beschloss selber mit Marc zu reden, irgendwann, und entschloss mich auch nicht näher nach zu fragen. Rechts von mir ertönte ein schütteln von Eis, Rum, Kokosnuss- und Ananassaft. Der Barkeeper gab nun auch, wohlgemerkt mürrisch, Evelyn ihr Getränk. „Egal,“, sagte sie, „heute feiern wir den 12. Jahrestag deiner Trennung! Prost.“, wobei sie extra das ,dein' betonte und mich anguckte, frei nach dem Motto: Du hast dich getrennt, also schlag vor, was ich mit dir machen darf, wenn du betrunken bist.
„Prost!“, erwiderte ich triumphierend, hob das Glas hoch und schüttete mir das restliche Getränk hinunter, ehe ich mit meiner Hand auf die glänzende Bar klatschte um den Schmerz des feurigen Nachgeschmacks besser zu verkraften. Wir feierten jedes Jahr die Trennung von Steve, Evelyn war von Anfang an nicht einverstanden mit ihm und freute sich deshalb umso mehr, Steve mit dieser Trinktour fertig zu machen und ihm eins auszuwischen. Im kleinen Lokal ertönte die Musik einer rauchigen Männerstimme und wenig später folgte darauf eine unverkennbare sanfte weibliche. Ich hörte nicht genau hin, dennoch war ich mir sicher, dass das Duett irgendetwas über süße Pfirsiche sangen.

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Kinder sterben leise
KorkuGrausame Kindermorde erschüttern London in der modernen Zeit, in der Zeit von Telefon und Internet. Doch was tust du, wenn dir niemand hilft? Grace Bonney verliert ihre 16 - jährige Tochter von jetzt auf hier, alles scheint ein Selbstmord zu sein do...