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"Was machen wir jetzt?", fragte Vale und blickte zu ihr. Azura dachte nach. Sie war schon immer schlecht darin gewesen, Zeit tot zu schlagen. "Du könntest mir deinen Stall zeigen", schlug sie schließlich vor. Sie konnten beide etwas Abwechslung gebrauchen. Seine Augen leuchteten auf. "Gute Idee!" Er zog sie von ihrem Stuhl und nahm sie an der Hand. "Er liegt östlich. Etwas außerhalb der Stadt. Zu Fuß ist er gut zu erreichen." Sie nickte und folgte ihm. Etwas anderes blieb ihr auch nicht übrig, denn scheinbar hatte er nicht vor, ihre Hand wieder loszulassen. Als sie aus dem Haus traten, wurde sie beinahe von der trockenen Sommerhitze erschlagen. Heute war ein besonders heißer Tag. Auch Vale gab ein missbilligendes Schnauben von sich, dabei sollte er doch eigentlich an dieses Klima gewöhnt sein. "Ich vergesse immer wieder, wie heiß es Ende Juli wird." "Wieso ist es in deinem Haus immer so angenehm kühl?", fragte Azura interessiert und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. "Soll ich ehrlich sein? Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es an der Bauweise, oder so", mutmaßte er. "Hm", machte Azura und verbrachte die nächsten Minuten damit, in Gedanken nach einer Erklärung für dieses Phänomen zu forschen. Zusammen schlenderten sie Hand in Hand durch die vollen Straßen. Je weiter sie sich vom Stadtzentrum entfernten, desto weniger Menschen begegneten sie, bis sie fast alleine waren. Auf der flachen Ebene vor der Stadt wehte auch eine angenehm kühlende Brise, die vom nahen Meer kam und seinen salzigen Duft mit sich ins Landesinnere trug. Azura pfiff leise vor sich hin, als sie an Feldern und Olivenbäumen (#Klischee) vorbei wanderten. "Schöne Gegend", sagte Azura, während sie sich umsah. Er sah zu ihr und lächelte. Schon von Weitem konnte Azura das Hufgetrappel und Wiehern hören. Sie grinste. Als Kind hatte sie Pferde geliebt (#Doppelklischee). Auch heute noch hielt Azura Pferde für majestätische und wunderschöne Tiere. Ihre kraftvollen Bewegungen faszinierten sie.

Hinter einem kleinen Hügel tauchte endlich der Stall auf. Er war nicht besonders groß, hatte aber eine riesige Koppel für die Pferde. Azura zählte auf der eingezäunten Wiese sechs Tiere. Als sie das Stallgelände erreichten, lehnten sie sich an den Zaun und Vale zählte die Namen der Pferde auf: "Die Fuchsstute da hinten heißt Amber, der Dunkelgraue Skye und der Braune heißt Andy." "Andy?", wiederholte sie belustigt. "So hieß der Typ, von dem ich ihn geklaut habe", erklärte Vale achselzuckend. "Verstehe." Er pfiff einmal laut. Ein schwarzer Hengst mit gewellter Mähne hob den Kopf und sah zu ihnen. Er wieherte freudig und trabte an den Zaun. Eine hellgraue Stute und scheinbar ihr Fohlen folgten ihm. Vale legte eine Hand auf den weißen Stern in der Mitte der Stirn des Hengstes. "Das ist mein Liebling Raider", stellte er den Friesen vor. "Und sie?", fragte Azura und deutete dabei auf die Stute, die sie unsicher ansah. "Rys. Sie ist mir vor zwei Jahren zugelaufen und geblieben. Raider ist seitdem nicht mehr von ihrer Seite gewichen und ungefähr ein Jahr später kam dann Emerald gesund und munter auf die Welt", erzählte er fröhlich. Azura musterte das dunkelgraue Jungpferd, das auffallend grüne Augen hatte. Es stand schüchtern hinter seiner Mutter, die Azura beobachtete. Sie streckte ihre Hand aus, an der die Stute interessiert schnupperte. Azura strich ihr über die weiche Schnauze. Eine Weile lang schwiegen Azura und Vale einfach und beobachteten die Pferde, die friedlich grasend auf der Koppel standen. "Hast du noch mehr Pferde?", fragte Azura. "Im Stall steht noch eine alte Stute, Angel. Sie ist schon lange bei mir und wird immer müder. Ich werde sie vermissen. Sie war das erste Pferd in meinem Stall", seufzte er bekümmert. Sie schwieg. Nach einem tiefen Atemzug sagte er: "Ich denke, ich gebe dir Rys. Sie scheint dir zu vertrauen und bei ihr kannst du eigentlich nicht viel falsch machen. Die läuft immer nur Raider hinterher." Azura sah wieder zu der Stute mit ihrem Fohlen und lächelte. "Sie gefällt mir."

653 Wörter

AnnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt