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„Nenne dich nicht arm, weil deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind; wirklich arm ist nur, der nie geträumt hat."
~ Marie von Ebner-Eschenbach

Jasper wartet bereits am steinernen Weg auf uns. Er hat eine schwarze Steppjacke an und sich seinen Rucksack lässig über die Schulter geworfen. Es ist bereits nach vier Uhr, die orangene Sommersonne verschwindet schon langsam vom Himmelsfeld. Ich frage mich, ob es in dieser Dimension auch Jahreszeiten gibt, sowie auf der Erde. Tag und Nacht. Ebbe und Flut. All die Naturereignisse, welche bei uns für Aufruhr sorgen. Viele Dinge hier ähneln dem Erdenleben. Die Bewohner von Traumwelten gehen ebenfalls zur Arbeit, schließen Freundschaften und haben auch eine Staatsform.
Eine Monarchie. Es gibt Probleme, wie in jeder Gesellschaft. Jedoch besteht ein bedeutender Unterschied. Hier ist alles möglich. Denn auf meinem Heimatplaneten ist mir noch nie ein Einhorn begegnet. Auch blaue Blätter und Wiese gibt es auf der Erde nicht. Ich frage mich, ob es hier auch Liebe und Familie gibt. Schließlich haben weder Ozz, noch Jasper ihre Eltern erwähnt. Ich weiß nicht mal, ob sie welche haben.
Ozz unterbricht das Schweigen:

„Also wir haben erstmals einen weiten Marsch durch den Wald vor uns. Ich hätte geplant, dass wir im „Goldenen Ambos" übernachten. Das ist eine kleine Gaststube, welche auch Zimmer zur Verfügung stellt. Wir sollten, wenn alles gut verläuft, um neun dort sein."
Jasper fragt ihn: „Also jetzt immer der Nase nach?"
Ozz zerzaust sich sein Haar und nickt. Wir wandern los. Immer geradeaus, den Kieselweg entlang. Die erste Stunde verläuft ohne weitere Hindernisse. Da wir in der Ebene gehen, sind wir sehr schnell unterwegs. Vor allem ich genieße die Landschaft. Die Feen, die durch die Lüfte schwirren und ihren Staub verbreiten, haben mich schon seit meinem ersten Tag in der Traumwelt begeistert. Diese Parallelwelt ist so neu und aufregend für mich. Als wir an eine Kreuzung kommen, nimmt Ozz wieder seine Karte zur Hand.
„Wir müssen rechts gehen."
Ich blicke fragend in seine Richtung.
„Aber dort vorne rechts endet der Pfad?"
Ein paar Meter weiter findet die Kieselstraße ein abruptes Ende und führt tief in den Wald hinein.
„Ich weiß, Rosie. Aber wir müssen hier entlang, um zu unserer Unterkunft gelangen zu können. Wir werden uns bald einen Platz zum Rasten suchen."
Jasper, der den bisherigen Weg, bis auf einige abwertende Bemerkungen über Administrari und Frauen, relativ ruhig war, stöhnt auf. „Na, Endlich. Ich hoffe, du hast etwas Gutes zu essen eingepackt. Ich sterbe vor Hunger."
Wir waten einen holprigen Waldweg entlang, welcher von dichten Nadelbäumen umgeben ist. Je weiter wir uns in das Dickicht des Waldes hineinbegeben, umso düsterer wird es. Es scheint so, als würde und die Finsternis förmlich auffressen. Obwohl die Nachmittagssonne vom Himmel scheint, kann sie die Mauer, welche Äste und Blätter bilden, nicht durchdringen. Ich kann nur hoffen, dass Ozz den Weg kennt, denn alleine wäre ich verloren. Der Anblick von Glühwürmchen, welche durch die Umgebung schwirren zieht mich in seinen Bann, als Jasper plötzlich ein Geräusch von sich gibt:
„Pschhht! Habt ihr das gehört?"
Dumpfe Stimmen erklingen in der Ferne. Es scheint, als würden sie näherkommen. Schüchtern frage ich:
„Sollten wir uns verstecken?"
Jasper wirft Ozz einen fragenden Blick zu: „Verstecken oder natürlich verhalten?"
„Da wir nicht wissen, wer unseren Weg kreuzen wird. VERSTECKEN!"
Ozz nimmt jeden von uns an einen Arm und zerrt uns hinter einen großen Felsen.
„Jetzt ganz ruhig sein." Sagt er.

Ich bin aufgeregt und kann auch die Anspannung der beiden Jungen deutlich spüren. Welche Kreaturen werden uns in wenigen Minuten über den Weg laufen? Vielleicht diese komischen Sedah, die Jasper erwähnt hat. Eine Herde Einhörner, einfache Administrai oder sogar ein Drache. Ich höre Schritte auf uns zukommen. Als wir Drei einen Blick über den Felsen werfen, erkenne ich zwei kleine Geschöpfe. Von der Statur her ähneln sie stämmigen Männern mittleren Alters. Jasper atmet erleichtert auf:
"Ach, das sind bloß harmlose Gnome."
Er will gerade wieder zurück auf unseren Weg gehen, als ihn Ozz zurückhält.
„Warte, Jasper. Verwende niemals das Wort harmlos. Selbst Gnome könnten uns für verdächtigt halten und der Königin ausliefern. Wir warten besser, bis sie vorbei sind."
Jasper setzt seine übliche Miene auf und verdreht die Augen.
„Aye, Aye Captain!"
Als die Beiden an uns vorbei schleichen, lausche ich ihrem Gespräch. Der kürzere von ihnen meckert:
„Immer und immer wieder muss ich rücksichtnehmen. Nur weil wir armen Geschöpfe von ihnen erschaffen wurden, heißt das nicht, dass wir wertlose Gegenstände sind, die man rumschubsen kann. Ich habe auch Gefühle und bin ein sensibler, kleiner Kerl."
Der andere nickt zustimmend. Als der winzige Gnom erneut seinen Mund öffnet, um ihm weitere Beschwerden um die Ohren zu werfen, verschwinden sie aus unserer Sichtweite und ich kann kein Wort mehr verstehen. Wir begeben uns wieder zurück auf den Waldpfad und streben unseren ersten Half an.
„Elende Gnome. Sie können froh sein, dass wir ihnen das Leben geschenkt haben. Da stimmst du mir zu. Oder, Ozz?"
Ozz starrt nachdenklich zu Boden und antwortet:
„Naja. Irgendwie kann ich diese Wesen auch verstehen. Es muss hart sein, immer im Schatten der menschlichen Bewohner von Traumwelt zu stehen. Sie haben nur wenig Rechte und können bei Entscheidungen kaum mitbestimmen. Wir, als Crearis können uns leichterhand über Gesetze, Verwaltung und andere politische Angelegenheiten beschweren. Aber wer hört den schon Kobolden, Gnomen oder Elfen zu? Nur weil wir sie erschaffen haben, sehen wir sie als uns untergeben an. Doch gerade, weil sie unseren Mächten entstammen, sollten wir sie respektieren. Schließlich sind sie ein fester Bestandteil unserer Welt."
Anscheinend hat Jasper mit seiner Aussage einen wunden Punkt getroffen. Der blonde Junge erwidert schnippisch:
„Rede beendet? Kein Grund sentimental zu werden. Richtig viel zu reden haben wir ja alle nicht. Dignitas steht an der Spitze und das wars."
Ich versuche das Thema zu wechseln, bevor sich die Diskussion als ein Streit entpuppt. „Wir könnten dort vorne, an der Lichtung eine Pause einlegen."
Ozz nickt stumm und wir bewegen uns in die Richtung des Rastplatzes. Jaspar stöhnt genervt auf:
„Oh nein! Ich habe die Decke vergessen. Jetzt müssen wir uns auf die nasse, dreckige Wiese setzen."

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