Kapitel 9

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Fassungslos ging ich wieder raus. Ich setzte mich wie immer in Elias und meine Raucherecke und zündete mir eine Zigarrette an. Vor mich hinträumend merkte ich gar nicht, dass ich Besuch hatte.

"Ich dachte du hörst damit auf.", sagte er und nahm mir die Zigarrette ab.

Statt sie weiter zurauchen, wie ich es erwartet hatte, trat er sie aus und nahm meine Hand.

"Wohin?", fragte ich ihn perplex.

"Komm einfach mit. Vertrau mir.", antwortete er lächelnd.

Hand in Hand spazierten wir, ohne zu reden, die Straßen entlang. Irgendwann blieben wir mitten in der Stadt stehen.

"Was ist passiert?", diese Frage hatte ich befürchtet.

"Mein Vater war vorhin da und hat mir wieder nur Vorwürfe gemacht. Er meinte ich wäre selbstsüchtig, weil ich versucht habe mich umzubringen. Irgendwann hatte ich genug und hab ihn angeschrien, dass ich ihn und meine Mutter nie wieder sehen will."

"Das ist hart aber ich weiß, dass du das schaffst. Tief in dir drinnen bist du eine Kämpferin. Sonst hättest du es nicht bis hierher geschafft und wenn nicht für dich, dann kämpfe bitte für mich. Ich weiß das ist egoistisch, aber...", ich unterbrach ihn mit einem Kuss.

Schweigend gingen wir wieder zum Krankenhaus. Er auf seine Station und ich auf meine. In meinem Bett dachte ich noch über unser Gespräch nach und schlief grinsend ein. Diese Nacht hatte ich keinen Alptraum.

Zum Frühstück bekam ich Toast und Aprikosenmarmelade. Bevor ich etwas essen konnte, kam schon die Schwester mit meiner Chemo rein und mir war der Appetit vergangen. Nach einer halben Ewigkeit war ich endlich fertig damit und konnte mich ein wenig frisch machen. Anschließend ging ich zur Selbsthilfegruppe.

Voller Erwartungen blickte ich durch den Raum, aber Elias war nicht da. Enttäuscht setzte ich mich. Die Magersüchtige war noch dünner geworden und die Depressiven schienen dieses Mal auch schlechter auszusehen. Das einzigst gute war, dass Annie wieder nach Hause durfte (sie hatte einen Umfall, bei dem sie ihr Bein verlor und wurde danach Schmerzmittelsüchtig).

Nach der Therapie ging ich raus zum Rauchen. Elias saß da und starrte auf den Boden.

"Hey, warum warst du nicht bei der Gruppe?", fragte ich ihn leicht enttäuscht.

"Ach, das hat doch alles keinen Sinn. Erst denkt man alles wird gut und dann wird es nur noch schlimmer. Der Krebs ist wieder da. Die Ärzte denken, dass ich das gut überstehen werde, aber ich kann das nicht mehr. Nicht nochmal. Es ist vorbei, Game Over.", seine Worte zerstachen mir das Herz.

"Das kann doch nicht dein Ernst sein. DU hast mich gebeten nicht aufzugeben und jetzt gibst du selber auf? Ich fasse es nicht. Du bist der nächste, der mich in Stich lässt."

"Kannst du mal aufhören so egoistisch zu sein? Ich denke dein Vater hatte Recht mit dem was er gesagt hat.", das gab mir den Rest. Dieses Mal weinte ich nicht. Ich blieb stark und beschloss zu kämpfen. Nicht für ihn oder meine Eltern, sondern für mich.

Ruhig ging ich in mein Zimmer und las mein Buch weiter. Immer wieder ging mir das Gespräch durch den Kopf und es machte mich fertig. Der Drang mich zu ritzen stieg wieder an und ich sah an meinen Armen und Beinen herab. Sie waren mit Narben überseht. Ich widerstand dem Drang und malte eine Blumenranke auf mein rechtes Bein.

Die nächsten Tage ging ich nicht zur Selbstilfegruppe. Ich ertrug den Gedanken, Elias sehen zu müssen, einfach nicht. Ein großer Teil in mir schrie schon förmlich nach ihm, doch ein kleiner, der vernünftige, Teil wusste, dass es besser so war. Nach unserem Streit hatte ich mit dem Rauchen augehört.

Lebe bevor du stirbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt