2

403 52 3
                                    

An dem alten Kinderspielplatz angekommen fiel ihr erst jetzt auf, wie still es doch war. Nur das Rascheln der Blätter im Takt des Windes ließen ihr zu verstehen geben, dass das Dorf nicht von bitterer Einsamkeit durchzogen war und hätten die Laternen die Straße nicht hell erleuchtet, hätte sie vermutlich geträumt. "Wie willst du das überhaupt machen?" Ihre Bewegungen stoppend sah sie ihn an, in seine von Edernholz überzogene Iris, welche sich in allen Richtungen schnörkelte und sie an das alte Hotel in den Bergen erinnerte, das sie jeden Sommer mit ihrer Familie besuchte. "Willst du Figuren auf mich hinaufschattieren?" "Ich habe Malen gesagt." Seine Stimme klang hart, jedoch sanft und warm zugleich, sodass es ihr eine Gänsehaut bescherte. "Was?", hakte sie nach und betrachtete seine schwarzen Lederschuhe, welche trotz des schlechten Wetters wie neu aussahen. "Von Zeichnen war nie die Rede." Seine Worte auf sie wirkend wartete sie auf eine Erklärung, doch er verstummte und sah sie abwartend an. "Worin liegt der Unterschied?", erwiderte sie und kurz darauf hörte man ein lautes Lachen, welches die Umgebung zum Vibrieren brachte und den Himmel von Blitzen durchziehen ließ. "Zeichnen beschreibt einen Prozess mit einem Bleistift, Genauigkeit, ein offenes Auge und viel Talent. Ich möchte keine Zeichnung vollenden, welche von Grau durchzogen wird, ich möchte erschaffen. Jede Farbe, jeden einzelnen Ton will ich auf deine Haut malen, sie völlig tapezieren lassen und die Dunkelheit ausschließen. Ich möchte in den Farbkasten greifen, Farben vermischen, Weiß hinzufügen, sie leuchten lassen, schweben lassen. Ich möchte dich vor Ästhetik fliegen sehen, deine Flügel weit ausgebreitet und das Lied des Lebens singend, werde ich hinauf sehen, mit einem Lächeln auf meinen Lippen und der Glückseligkeit an meiner Seite. Abstrakte Kunst geformt werde ich weiter nach Farbtönen suchen, ich will nicht genug davon bekommen und danach streben, danach dürsten. Du wirst alles sein, jedoch auch nichts, wirst die Dunkelheit sowie das Licht widerspiegeln, die Liebe und den Hass, das Leben und den Tod. Jeder soll dich anders wahrnehmen, keiner soll dein volles Bild auskosten dürfen und niemand wird jemals jede deiner Ecken erkunden können. Ich möchte, dass du hinsiehst, zuhörst und verstehst. Verstehst, wie man Farben hören und die Unendlichkeit schmecken kann."

SeelenmalerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt