"Ich glaube, ich habe dich enttarnt. All diese Fassade meiner Farben haben erfolgreich die deine verwischen können. Doch deine Fassade, sie wird durchsichtig, durchschaubar." Der Wind ließ die Blätter des Ahornbaumes rascheln, ließ eine Gänsehaut über ihren Körper wandern und den Mann vor ihr nur noch bedrohlicher wirken, auch wenn er sie an ein kleines Kind erinnerte. Mit roten Backen und Glitzerpartikeln in seinen Augen stand er dort, seine Präsenz war ein Wirrwarr aus Emotionen und Gleichgültigkeit und hätte sie nur näher hingesehen, hätte sie all die Schönheit dieser Erde in ihm erkannt. "Es ist nicht meine Aufgabe, der Ausweg aus deinem Rätseln zu werden. Atme den Mondstaub ein und lerne, mit Sternenstaub in deinen Lungenflügeln atmen zu können. Lerne, meine Farben anzunehmen, stoße sie nicht ab und lass sie mit deinem Blut vermischen, dein Herz soll sie durch jegliche Arterie pumpen, dein Gehirn benebeln und deine Unsterblichkeit unterstreichen lassen." Wie ein Objekt einer neuen Dynastie beobachtete er sie, zeichnete ihre Konturen nach, wie der stille Betrachter verfolgte er das Heben ihres Brustkorbes, fast schon intim doch zugleich so fremd glich ihr Verhältnis zueinander. "Unsterblichkeit ist ein großes Wort, eine Begierde, welche unmöglich zu erreichen ist. Wir sprühen mit unserem Grau, lassen die Welt in Rauch untergehen, stehlen mit Hass die Farben anderer, verbrennen sie, ertränken sie. Ich habe die Kunst verstanden, welche du hier so schmerzhaft schön fabrizieren willst. Vielleicht lässt mich der Alkohol begreifen, wie wir uns selbst auf den Kopf gestellt haben, die Farbenlehre verdreht haben und unsere Perspektive selbst eingeschränkt haben. Ein Kreisel, er wird mit voller Wucht angeschoben, doch er wird langsamer, so langsam, dass man langsam all die Hässlichkeit in ihm erkennen kann, bevor er stoppt, erbarmungslos, abrupt." Während sie die Worte aussprach, färbten sich ihre Augen langsam aquamaringelb, purpurblau und ockerschwarz. Ihre Fingerspitzen fingen zu beben an und sie wurde langsam von lieblichem Liliengrün umrahmt, ihre Lippen zu pastellorange geformt und ihre Haare silbergold gemalt. Zufrieden blickte er auf sein Werk, mit Vollkommenheit auf seinen Lippen und dem Geschenk der Unendlichkeit in der Hand, bereit, es ihr zu überreichen. "Ich habe deine Kunst verstanden, habe verstanden, wie man Farben atmen und Glückseligkeit malen kann. All die Pinselstriche, sie dienten einem höheren Zweck, etwas, welches mir schmerzhaft schön den Atem raubt." Sie griff nach seiner Hand, behutsam und sicher, bevor sie sie umschloss, in Sonnenblumenrot eingehüllt wurde und sanft auf die Wiese gelegt wurde.
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Seelenmaler
Short Story"Lass mich auf deine Seele malen." "Wie soll das gehen?" "Vertrau mir einfach."