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~<>~

In Zeiten des Lebens, Zeiten des Todes
Zeiten des Gebens, Zeiten des Brotes,
Immer warst du an meiner Seit'
Immer war auch ich nicht weit.

~<>~

~ Aria ~

Am nächsten Morgen hat der Wind aufgefrischt, der Winter kündigt sich in vollen Zügen an. Das Feuer ist erloschen und ich brauche sehr lange, um mich wieder aufzuwärmen.
Wenn ich nicht bald irgendwo ankomme war's das für mich! Aber wo soll ich hin? Meine Mutter hätte darauf sicher eine Antwort. Auch nach Vaters Tod ist sie viel gereist. Sie kennt diese Gegend wie ihre Westentasche, vorausgesetzt sie hätte eine. Flügelmädchen, Beschützer oder Berserker, sie kennt sie alle. Irgendwie hat sie es geschafft weiter zu machen.

Alle anderen sind gegangen, weil sie es nicht ausgehalten haben. Valka ist kurz darauf gestorben und es hält sich das Gerücht, dass sie sich umgebracht hat. Ich erinnere mich noch an die Trauerfeier so kurz nach der meines Vaters. Es waren weniger Menschen da, nur die engsten Vertrauten. Die Drachenreiter natürlich, Grobian, ein paar Berserker, Alvin und ich. Mehr waren es nicht.

Ihr Tod hat die Stimmung noch weiter gedrückt. Im Dorf haben sie Angefangen leiser zu reden. Die Symbole der alten Zeiten wurden vernachlässigt, es gab keine Drachenrennen mehr. Eine neue Generation von Drachenreitern wuchs heran, ich war ein Teil von ihnen. Die meisten hatten noch zu wenig von der alten Zeit mitbekommen, sie verstanden die gedrückte Stimmung nicht.

Sie kannten natürlich die Geschichten über den Frieden mit den Drachen und die Zeit danach. Manche haben mich für meine Verwandtschaft beneidet. Keiner von ihnen hat je verstanden, warum ich nicht darüber reden wollte. Kaum einer dieser neuen Generation konnte die Trauer um jemanden verstehen, der aus ihrer Sicht schon ewig tot war.

Eine einsame Schneeflocke trudelt zur Erde. Sie lässt sich vom Wind treiben und scheint den Fall zu genießen. Ihr folgen ein paar weitere, aber es ist noch nicht kalt genug für Schnee. Sobald die kleinen Kristalle auf dem Boden auftreffen schmelzen sie. Trotzdem ist es an der Zeit für mich weiterzuziehen. Gemeinsam mit meinem Drachen Windböe mache ich mich auf den Weg in irgendeine Richtung, ein Ziel habe ich nicht.

~ Perspektive 2 ~

Wenn du das hier liest habe ich bereits meine Ruhe gefunden. Ich weiß nicht, ob es letztendlich die Krankheit oder die Trauer war, die mich umgebracht hat. Doch ich bin froh, dass es nun endlich Zeit für mich ist zu gehen.
Sag Aria, dass ich sie immer geliebt habe, sag ihr, dass ich nun ihrem Vater folge.
Ich wünsche dir für die Zukunft alles gute und, dass du alles findest, was ich in der letzten Zeit verloren habe.

In Liebe V.

Der Brief lastet schwer in meiner Hand. Nie habe ich ihn irgendjemand gezeigt, aber eine Weile lang habe ich meine Schwiegermutter darum beneidet, dass sie gehen durfte. Die Zeit war nicht leicht für mich. Wenn Aria nicht gewesen wäre...

Innerhalb von kürzester Zeit hatte sich unsere Familie halbiert. Alles war plötzlich so schwer geworden. Auch für sie, sie hat es sich nicht anmerken lassen, aber ich habe es trotzdem gesehen.
Wie sie immer wieder innegehalten hat, wenn sie mit anderen Kindern zusammen war.
Wie sie immer aus dem Raum gerannt ist, wenn die Sprache auf ihren Vater kam.
Wie sie nie jemanden an sich heran gelassen hat.

Wir haben nie darüber geredet, einfach weil wir wussten, dass wir es nicht schaffen würden. Ich hatte wenigstens noch Heidrun und die anderen Reiter, aber sie hatte niemanden. Er stand ihr die meiste Zeit so viel näher als ich. Ich erinnere mich noch daran, wie er sie immer unterstützt hat, selbst wenn das Ganze so aussichtslos war. Er war es, der ihr abends Geschichten von früher erzählt hat. Er war es, zu dem sie gegangen ist, wenn es ihr schlecht ging und er war es, der immer Zeit für sie gefunden hat.

Heute glaube ich, dass ich ihr damals hätte beistehen sollen. Nun weis ich, dass ich mit ihr darüber hätte reden sollen. Dann wäre das alles vielleicht garnicht passiert...
Aber es ist zu spät und so kann ich nur noch warten und hoffen...

~ Perspektive 3 ~

Die Wolken verdichten sich, ein Sturm zieht auf. Trotz allem treibe ich meinen Freund immer höher. Dieses Wetter macht mir längst keine Angst mehr, so oft bin ich schon hindurch geflogen. So oft, hat es mich schon verschont. Ich fordere den Tod gerade zu heraus, meinen Lebensmut habe ich verloren. Wenn mein Freund nicht wäre, hätte ich mir wohl das Leben genommen.

Jeder unserer Familie stand seit der Zeit einmal an einer Klippe.
Sie, unsere Tochter und meine Mutter, keiner von ihnen ist je gesprungen.

Ich war froh, als meine Mutter gehen durfte. Sie war krank gewesen und wäre sie es nicht gewesen, sie wäre vielleicht gesprungen. Ich bin damals zu ihrer Trauerfeier gegangen, im Schutz der Dunkelheit hat mich niemand erkannt. Alle hatten die Köpfe gesengt und doch waren weniger Menschen da. Sie hat eine kurze Rede gehalten dann wurde der erste Pfeil abgeschossen. Ich stand einfach nur am Rand der kleinen Gruppe schon fast im Wald und habe zugesehen.

Heute frage ich mich, ob ich hätte hingehen sollen. Ob ich es hätte in Kauf nehmen sollen, entdeckt zu werden. Ich habe darauf keine Antwort und nun ist das Ende meines Lebens nicht mehr weit. Ich spüre den Tod bereits, wie er im Schatten lauert, aber noch will er mich nicht hohlen. In solchen Momenten frage ich mich, ob ich wie die großen Kämpfer nach Walhalla kommen werde oder nach Hel, wie alle anderen Seelen.

Ich erinnere mich noch an die Tage, in denen Rotzbacke dachte, er hätte die fünf Wegweiser gesehen. Damals war alles noch so einfach, aber auch so anders. Dagur war noch unser Feind und mein Vater hat noch gelebt. In solchen Momenten bin ich froh, dass er diese Zeit nicht mehr mitbekommt. Dort, in Walhalla, schlägt er sich sicher jedes mal die Hand vor die Stirn, wenn er mich sieht und er hat recht damit. Viel zu viel ist seit dem Tag schief gegangen, an dem wir fremde Schiffe am Horizont sahen.

Ich habe eine falsche Entscheidung getroffen und es war blöderweise die, die das ganze Leben verändert hat. Es sind Menschen gestorben, Menschen und Drachen. Ich habe mir das nie verziehen, bin oft von Berk weggeflogen. Sie hat gesagt, dass es irgendwann wieder besser  werde. Doch ich habe auf einer dieser Reisen eine weitere folgenschwere Entscheidung getroffen.
Eine Entscheidung, die zu dem Punkt geführt hat, an dem wir jetzt stehen. Zu diesem kalten dämmrigen Tag hat sie uns gebracht und zu diesem Sturm, der uns hin und her peitscht. Schließlich verliert mein Kumpel durch eine Windbö rapide an Höhe, wir stürzen ab!

Kalte NächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt